Sehnsucht nach Normalität

Rechte demonstrieren nach dem Mord an Daniel H. am 27. August 2018 vor dem Karl-Marx-Monument in Chemnitz
Foto: REUTERS/Matthias Rietschel

Die Ereignisse rund um Chemnitz haben erschreckende Schlagzeilen gemacht. Nicht nur, weil sich der Rassismus in unserer Gesellschaft dort in Formen manifestierte, die man längst nicht mehr für möglich gehalten hätte. Sondern auch, weil die Pressefreiheit – mal wieder – auf dem Spiel stand. Trang Dang ist sowohl Journalistin als auch Bürgerin mit einem Migrationshintergrund. „Mein Sicherheitsgefühl ist schon seit längerem angekratzt“, sagt sie. Wie sich das auf ihre Arbeit auswirkt und warum sie sich entschieden hat, nicht nach Chemnitz zu fahren, erklärt sie im Gespräch.

Nachwuchsjournalistin Trang Dang sagt: „Mein Sicherheitsgefühl ist schon seit längerem angekratzt.“
Foto: Privat

M | Deine Eltern kommen aus Vietnam, dein Vater war Student und Vertragsarbeiter in der ehemaligen DDR. Nach der Wende habt ihr zuerst kurz in Plauen und später in München gelebt, bevor Du wegen Deines Studiums nach Leipzig gegangen bist. Würdest Du sagen, dass Rassismus und Rechtsruck ein auf Ostdeutschland begrenztes Problem sind?

TD | In Leipzig habe ich 2013 mein Journalistikstudium angefangen, habe dort unter anderem für das studentische Lokalradio Mephisto 97,6 gearbeitet, war vor und während meines 12monatigen Volontariats beim ZDF ein halbes Jahr im Landesstudio Sachsen und kenne daher die Verhältnisse dort gut. Sozialisiert wurde ich allerdings in München und aktuell arbeite ich als freie Mitarbeiterin des ZDF in Mainz – ich pendle zwischen Ost und West. Aufgrund eigener Erfahrungen kann ich also sagen, dass wir ein gesamtgesellschaftliches Problem haben, das nicht nur auf “den Osten” begrenzt ist. Auch andernorts hat die Fremdenfeindlichkeit zugenommen.

Mit den Montagsdemonstrationen des Pegida-Ablegers Legida war Leipzig ja eines der Symbole für den Rechtsruck in der Gesellschaft. Wie hast Du Dich damit auseinandergesetzt?

Tatsächlich ist mein Sicherheitsgefühl schon seit längerem angekratzt und Legida ist einer der Gründe dafür. Denn ich war ja nicht nur als Journalistin potentiellen Anfeindungen  ausgesetzt, sondern auch als Bürgerin mit einem erkennbaren Migrationshintergrund. Ein einschneidendes Erlebnis war für mich der 11. Januar 2016, der erste Jahrestag von Legida. An diesem Tag zogen rechte Gruppen marodierend durch Leipzig-Connewitz und haben das ganze Viertel aufgemischt. Da war für mich der Moment erreicht, an dem ich merkte, ich fühle mich nicht mehr sicher. Ich musste dann erstmal für eine Weile weg.

Und bist dann wiedergekommen…

Ja, denn ich verbinde ja auch viel Positives mit Sachsen und habe trotz allem versucht, mich hier gut einzuleben. Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich auch viel Zuspruch erfahren und Schutzräume gefunden habe.

Fühltest du dich nicht mehr sicher als Journalistin oder als Bürgerin mit Migrationshintergrund?

Eigentlich beides, wobei es mir ehrlich gesagt immer noch schwerfällt, das eine vom anderen zu trennen. Ich bin zum Beispiel beruflich zum zweiten Jahrestag von Pegida gefahren und habe versucht, mich meinen Ängsten auszusetzen. Doch als ich inmitten dieser Menschen stand und die zahllosen Parolen hörte, gelang es mir kaum, die Journalistin in mir von der Frau mit Migrationshintergrund zu trennen. Das ist ein sehr komplexer Verarbeitungsprozess, den ich noch nicht abgeschlossen habe.

Ist das auch der Grund, warum Du Dich entschieden hast, nicht nach Chemnitz zu fahren?

Ich habe lange hin und her überlegt und mich auch mit Freunden und Bekannten beraten. Ich wollte dahin, eine selbstauferlegte – journalistische – Pflicht sozusagen, und habe es dann doch nicht gemacht. Sich zu überwinden, dann dort die geballte Ladung zu erwarten und auch noch Empowerment zu betreiben – das Gefühl der Ohnmacht war einfach stärker. Doch ich bin froh, dass es so viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die mutig genug sind, dort “rauszugehen”, um das Grundrecht auf die Pressefreiheit zu verteidigen. Manchmal fehlt mir persönlich aber einfach die Kraft dazu und ich sehne mich nach Normalität.

Du hast ja sicherlich die „Hetzjagd-Debatte“ um die Äußerungen von Verfassungsschutzpräsident Maaßen im Nachgang zu Chemnitz verfolgt?

Ja, das habe ich. Als wäre es nicht schon schlimm genug gewesen, dass ein Mensch zu Tode gekommen ist, was dann von Rechten instrumentalisiert wurde, kam dann auch noch diese unsägliche Debatte hinzu. Sicherlich gibt es genug Belege dafür, dass an der Aussage Maaßens, es habe keine Hetzjagd stattgefunden, so einiges falsch ist. Allerdings denke ich, dass ein Streit über die Deutungshoheit von Begriffen nicht die Debatte ist, die wir führen müssen. In Chemnitz hat man klar gesehen, dass die Gesamtstimmung gekippt ist. Wir haben eine neue Dimension erreicht. Das in den größeren Kontext einzuordnen, darum muss es jetzt gehen. Es gab im Zuge von Chemnitz eine Zunahme fremdenfeindlicher Angriffe, wie von Opferberatungsstellen berichtet wurde. Und das ist die Diskussion, die wir jetzt führen müssen, eine Debatte über die Zunahme von ausländerfeindlichen Übergriffen insgesamt.

Du sagtest, die Gesamtstimmung sei gekippt. Wie kann die Politik dieser Lage begegnen bzw. welche Erwartungen hast Du an die Politik?

Von Politik und Behörden erwarte ich, dass sie dafür sorgen, dass Menschen mit Migrationshintergrund/ People of Color sich wieder frei bewegen können, ohne Angst haben zu müssen. Man holt jetzt in der sächsischen Landesregierung das Mantra hervor: „Wir müssen die Zivilgesellschaft fördern.“ Ein Mantra, das seit Jahren durch die Politik geistert. Dabei gibt es ja eine bestehende und sehr engagierte Zivilgesellschaft. Die Politik war allerdings in all diesen Jahren eher zurückhaltend. Ich erwarte daher konkrete Maßnahmen, um das Sicherheitsgefühl der Menschen zu verbessern, die in diesem Land Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt sind.

Und was muss getan werden, damit Du Dich als Journalistin wieder sicherer fühlst?

Ich als Nachwuchsjournalistin wünsche mir zunächst einmal, dass wir für solche Situationen wie Chemnitz besser geschult werden. Wie reden wir mit den Rechten? Wie schaffen wir es, die Situation nicht eskalieren zu lassen? Ich habe das Gefühl, im Moment versucht jeder, seine eigenen Methoden zu entwickeln, zum Beispiel sich auf Demonstrationen oder Großveranstaltungen nicht zu erkennen zu geben. Aber das kommt ja gerade für mich als Journalistin mit Migrationshintergrund schon mal gar nicht in Frage.

Von Politik und Behörden erwarte ich, dass sie den Medien Rückendeckung geben und sie nicht dauernd in Kritik und Frage stellen. Medien wollen eine Öffentlichkeit schaffen, doch im Moment hat man immer mehr den Eindruck, dass gerade das von der Politik nicht gewünscht und schon gar nicht wertgeschätzt wird.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »

Gewalt gegen Medienschaffende

Eine erneut alarmierende Bilanz zieht die internationale Organisation Reporters Sans Frontiers (RSF), die weltweit Angriffe und Gewalttaten gegen Journalist*innen und damit gegen die Pressefreiheit dokumentiert: 55 getötete, 550 inhaftierte, 55 in Geiselhaft genommene und 95 unter unklaren Umständen vermisste Medienschaffende sind bis Anfang Dezember für dieses Jahr zu beklagen.
mehr »

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »