Editorial: Umgekrempelt und neu verzahnt

Es ist faszinierend: Nur noch zentimetergroße, millimeterflache Geräte speichern millionenfach Daten – ob Handy, MP3-Player oder iPod. Digi­talisierte Übertragungswege ermöglichen eine neue Angebotsvielfalt – Basis sind gigantische Datenströme. Deren Herstellung hat schon die Zeitungs-, Zeitschriften- und Radioproduktionen umgekrempelt und erreicht nun auch das etwas komplexere Medium Fernsehen.

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten stellen in diesem Jahr nahezu vollständig auf digitale TV-Produktion um. Arbeitsgänge, die zuvor nur nacheinander stattfinden konnten, laufen jetzt nahezu parallel ab, gesteuert durch intelligente Redaktionsysteme. ( titelthema: Produktion Digital)
Im Printbereich rollt schon die zweite Welle an: Multimediale Newsrooms nicht nur im Spinger-Konzern zeugen von der Wandlung der traditionellen Verlage zu europa- und weltweit agierenden Medienhäusern. Damit einher gehen geradezu revolutionäre Veränderungen der Beschäftigungsprofile und der Berufsbilder. Festangestellte Zeitungsredakteure, einst selbst Rechercheur und Autor, sind heute immer mehr crossmediale Redaktroniker und müssen den angebotenen Content für die Print-, Online- oder Podcast-Version auswählen und fertigstellen. Auch bei der Rundfunkproduktion wächst die arbeitsteilige Verzahnung zuvor getrennter Tätigkeiten, zugleich kommen Videojournalisten (auch Widjschäis genannt) immer mehr zum Einsatz. Die Rede von der eier­legenden Wollmilchsau impliziert die Zweifel an der Qualität des journa­listischen oder des künstlerischen Ergebnisses.
All das geschieht in rasantem Tempo. Und es stellt sich die Frage, wie werden die Medienbeschäftigten von den Arbeitgebern auf diese digitale Reise mitgenommen? Erhalten sie die notwendige Qualifizierung und das möglichst rechtzeitig? Oder ist weitgehend learning by doing mit erhöhtem Stressfaktor angesagt? Wie muss die Ausbildung künftiger Medienarbeiter aussehen, damit auf der einen Seite die Technik beherrscht wird und auf der anderen zum Beispiel Kreativität und hoher journalistischer Anspruch nicht völlig auf der Strecke bleiben? Werden die Interessenvertretungen in konzeptionelle Überlegungen einbezogen? Drängt man die „Alten“ raus, weil ihre Erfahrungen nichts mehr wert sind? Wie sieht es mit der Vergütung, mit den Honoraren und den Urheberrechten aus. Werden Tarif­verträge schneller zu Makulatur, weil technisch überholt? Schnell greifen derzeit Arbeitgeber à la Springer ( mehr… ) auf jegliche Nutzungsrechte zu. Schlagworte wie „Effizienzoptimierung“, „Bündelung von Personalressourcen“ sind die Vorboten für weiteren Arbeitsplatzabbau.
Und wenn Rainer Marquardt in unserem Titelthema fordert: Es sei dringend an der Zeit, eine organisierte gewerkschaftliche Debatte zu all diesen Fragen zu führen, kann frau dem nur zustimmen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »