Verteilungsplan hinfällig

Entscheidung der VG Wort im September: Wie geht es weiter?

Der Bundesgerichtshof hat in Sachen Verlegerbeteiligung bei der VG Wort entschieden – mit ernsten Konsequenzen vor allem für die Verlage. Sie dürfen nicht mit pauschalen Ausschüttungen an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaft beteiligt werden. Damit sind die Satzung und der Verteilungsplan der VG Wort „unwirksam”, schlussfolgert die VG Wort. Das gilt übrigens auch für andere Verwertungsgesellschaften wie VG Bild-Kunst, GEMA und VG Musikedition.

Der Börsenverein hat auf das BGH-Urteil vom 21. April 2016 (Az.: I ZR 198/13) anders reagiert als nach der Reprobel-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im November 2015. Damals hatte der Buchverlegerverband noch gedroht, die VG Wort sei gefährdet und Autorenhonorare würden gekürzt, wenn nicht auf EU-Ebene zügig ein Verleger-Leistungsschutzrecht eingeführt werde. Nunmehr sieht er mögliche „Rückzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe” und die „Insolvenz etlicher kleiner und mittlerer Verlage” voraus. Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis: „Wir brauchen umgehend eine gesetzliche Korrektur der Entscheidungen von BGH und Europäischem Gerichtshof”. Vom Verleger-Leistungsschutzrecht keine Rede mehr. Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang argumentierte in einem langen Aufsatz offen dagegen. Ein eigenes Leistungsschutzrecht ginge „zu Lasten des Urhebers (dessen Rechtsstellung geschwächt würde) oder zu Lasten des Verlegers (dessen Recht nur pro forma bestünde und nicht selbstständig durchsetzbar wäre)”. Sprang: „Bisher waren Urheber und Verlage von einem gemeinsamen Vorgehen innerhalb einer Verwertungsgesellschaft überzeugt; das könnte sich – von beiden Seiten aus gesehen – schnell ändern.”

Anders der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ): Im Verbund mit den europäischen Zeitungs- und Zeitschriftenverlegerverbänden EMMA, ENPA, EPC und NME haben sie eine Lobby-Kampagne für ein Verleger-Leistungsschutzrecht auf EU-Ebene gestartet. Bei den europäischen Journalistengewerkschaften werben sie um Unterstützung. Doch welchen Vorteil sollte es für Journalist_innen haben, wenn Zeitungsverlage gegen die illegale Übernahme von Artikeln vor Gericht gehen können, ohne nachweisen zu müssen, dass sie die Rechte der Urheber_innen erworben haben. Oft haben sie diese Rechte gar nicht oder durch Total-Buy-Out-Verträge zum Nulltarif geraubt. Ein Leistungsschutzrecht der Verlage würde die Rechte der Urheberinnen und Urheber schwächen.
Das sieht bei einer Beteiligung der Verlage an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften anders aus. Sie ist seit Jahrzehnten Praxis in den meisten europäischen Ländern und Voraussetzung für gemeinsame Verwertungsgesellschaften von Urhebern und Verlegern, die für beide Seiten von Vorteil sind. Da muss man nur mal einen Blick über die Grenze werfen, zum Beispiel nach Belgien, um zu sehen, wie schwer sich die Journalisten-Verwertungsgesellschaft tut, neue Lizenzverträge abzuschließen und wie hoch deren Verwaltungskosten sind.

Auch die VG Wort ist 1958 gemeinsam von Autoren_innen und Verlagen gegründet worden, übrigens nachdem eine reine Autoren-Verwertungsgesellschaft kläglich scheiterte. Um mit Verlagsvertretern zusammenzuwirken, muss man nicht eine „Solidargemeinschaft von Autoren und Verlegern” beschwören. Die gibt es im Pressebereich nicht und bei der Reform des Urhebervertragsrechts schon gar nicht. Eine Zusammenarbeit aber ist sinnvoll – wie beim Presseversorgungswerk oder im Presserat.

Dass ohne Verlegerbeteiligung künftig mehr Geld bei den Autorinnen und Autoren ankommt, ist eher unsicher. Schon beim Reprobel-Verfahren klagte ja Hewlett-Packard mit dem Ziel, die Kopiergeräteabgaben zu kürzen. Und nach dem BGH-Urteil forderte der Unternehmerverband BITKOM sofort, die „Urheberrechtsabgaben auf den Prüfstand” zu stellen.

Um eine Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften im EU-Recht abzusichern, haben Bundesjustizminister Heiko Maas und Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Februar einen Vorschlag an Kommissar Günther Oettinger geschickt. Das hat der Bundestag ausdrücklich unterstützt und sich zusätzlich für die Prüfung von nationalen Regelungen ausgesprochen.

Derzeit ist die Verlegerbeteiligung durch das Reprobel-Urteil europarechtlich in Frage gestellt und nach der BGH-Entscheidung eine pauschale Verlagsausschüttung grundsätzlich nicht zulässig. Die VG Wort muss jetzt also ermitteln, welche Rechte die Verlage in den letzten Jahren rechtmäßig eingebracht haben und auf dieser Basis einen dreistelligen Millionenbetrag neu verteilen, vermutlich mehr an Autorinnen und Autoren als an Verlage. Darüber und über die Zukunft der VG Wort wird im September 2016 bei den außerordentlichen Versammlungen entschieden.

Der Autor Rüdiger Lühr ist Fachjournalist für Urheberrecht und Mitglied des Verwaltungsrates der VG Wort.

 

Einordnung

des Urteils gegen die VG Wort von Rechts­anwalt Wolfgang Schimmel

Kommentar M Online

 

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