Beim Thema Beauty dominieren weibliche, bei Politik männliche Youtuber*innen. Da sie als technik-affiner gelten, gibt es in Redaktionen immer noch mehr männliche als weibliche Datenjournalist*innen. In der digitalen Arbeitswelt leben Geschlechterklischees hartnäckig fort, mit Folgen für Bezahlung und Karrierechancen. Kein Wunder, dass die Arbeitswelt 4.0 nun Thema von Equal Pay Day und Internationalem Frauentag ist. Höchste Zeit, dass Frauen sie stärker mitgestalten!
„Faire Chancen für Frauen in der digitalen Arbeitswelt“ ist dann auch eine Forderung von Gewerkschafterinnen zum Frauentag am 8. März mit dem Motto „Wandel ist weiblich“. Dabei setzen sie auf „neue Formen der Arbeitsorganisation mit Aussicht auf höher qualifizierte Arbeit“ durch die Digitalisierung. Ein Füllhorn von Ideen bietet der Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung von 2021: Zu „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“ gibt es 101 Handlungsempfehlungen! Das Problem besteht darin sie umzusetzen, denn nicht nur in den Köpfen vieler Entscheidungsträger*innen geistern weiterhin Geschlechterklischees. Die Zeit, das „Gelegenheitsfenster“ zu nutzen, drängt.
„Die Corona-Krise hat die Digitalisierung am Arbeitsplatz vom Nebengleis auf die Hochgeschwindigkeitsstrecke befördert“, konstatiert Uta Zech von den „Business and Professional Women“, kurz BPW. Sie initiieren seit 2008 den Equal Pay Day in Deutschland, der in diesem Jahr auf den 7. März fällt. Dieser Tag markiert symbolisch, dass der durchschnittliche Bruttolohn von Frauen 18 Prozent unter dem von Männern liegt. Das diesjährige Motto „Equal pay 4.0 – gerechte Bezahlung in der digitalen Arbeitswelt“ begründet Zech damit, dass die Digitalisierungsprozesse „genauso mit bewussten oder unbewussten Vorteilen behaftet sind wie die Menschen, die sie gestalten“. Das habe „Auswirkungen auf die gleiche Bezahlung von gleicher und gleichwertiger Arbeit“.
Diskriminierende Daten und Algorithmen
Gestaltet werden diese Prozesse vor allem von Männern, die 80 Prozent der Beschäftigten in der Digitalbranche ausmachen. Wie sehr ihre persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen in die Technikgestaltung einfließen, zeigt das Beispiel der dunkelhäutigen Informatikerin Joy Buolamwini. Sie stellte fest, dass gängige Gesichtserkennungssysteme ihre Physiognomie nur erfassten, wenn sie eine weiße Maske aufsetzte. Der Grund: die Software wurde mithilfe von Daten programmiert, die vor allem weiße Männer abbilden.
Besonders problematisch sind solch diskriminierende Verfahren, wenn sie bei der Personalauswahl eingesetzt werden. So testete der Bayrische Rundfunk eine Software, die in Video-Vorstellungsgesprächen anhand von Mimik und Gestik der Bewerber*innen Persönlichkeitsprofile erstellen sollte – vorurteilsfreier als ein menschliches Gegenüber. Die Werte für das Persönlichkeitsmerkmal „Gewissenhaftigkeit“ veränderten sich aber stark, wenn dieselbe Probandin etwa ein Kopftuch trug, jedoch sonst nichts an ihrem Verhalten änderte.
Auch die Arbeit von Frauen kann durch Algorithmen entwertet werden. Als das Mainzer Unternehmen BioNTech im Herbst 2020 einen Covid-19-Impfstoff entwickelt hatte, schrieben die Medien den Erfolg dem Vorstandsvorsitzenden Uğur Şahin zu, denn „der Algorithmus der größten Suchmaschine in Deutschland“ hatte Özlem Türeci lediglich als seine Ehefrau und nicht als Leiterin der Entwicklungsabteilung ausgewiesen.
Klischeebilder verstärken Rollenaufteilung
Gängige Klischeebilder torpedierten auch die geschlechtergerechte Nutzung digitaler Arbeitsmittel und -formen in der analogen Welt – etwa eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch das Arbeiten am heimischen Computer. So führte das Homeoffice während der Corona-Pandemie nicht dazu, dass berufstätige Paare Erwerbs- und Sorgearbeit gerechter aufteilten. Es waren wieder vor allem die Mütter, die sich um Kinder und Haushalt kümmerten. Geschlechterstereotype, die Frauen eine „natürliche“ Begabung für Sorgearbeit zuschreiben, halten sich hartnäckig.
Selbst in der digitalen Welt mit ihren virtuellen Freiräumen transportieren Soziale Medien statt vielfältiger (Selbst-)Darstellungen von Geschlecht größtenteils traditionelle Bilder von Männern und Frauen und verstärken diese, heißt es in dem Gleichstellungsbericht. Eine Befragung von 14- bis 32-Jährigen zeige, je intensiver sie Instagram, YouTube und Co. nutzen, desto konventioneller und stereotyper denken sie über die Rollenverteilung von Männern und Frauen. Das hänge damit zusammen, dass die Vorbilder dieser jungen Menschen, Youtuber*innen und Infuencer*innen, sich auf den kommerziellen Plattformen durch Werbung finanzieren. Mädchen und Frauen kooperieren zumeist mit Mode- und Kosmetikfirmen, da sie besser Geld verdienen können, wenn sie für deren Produkte werben.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund: Youtuberinnen erleben nach einer Studie von 2018 „Beauty“ als einen geschützten Raum, in dem man „relativ sicher vor Hate Speech“ sei, da mit diesem Thema gesellschaftliche Erwartungen bedient würden. Influencer*innen oder Journalist*innen, die beruflich eine digitale Öffentlichkeit adressieren, seien „besonders angreifbar durch sexuelle Belästigung in digitaler Form“, heißt es im Gleichstellungsbericht.
„Digitalisierung ist kein Naturereignis, sie kann und muss vielmehr von Menschen gesteuert werden – und nicht ausschließlich von Technik und/oder von Marktprozessen“, konstatiert die Sachverständigenkommission für den Gleichstellungsbericht. Als Medienschaffende können wir vor allem zu einer geschlechtergerechteren Arbeitswelt 4.0 beitragen, indem wir Klischeebilder hinterfragen, die Frauen und anderen „Minderheiten“ den Zugang zu sowie die Gestaltung und die Nutzung von digitalen Technologien erschweren. Das geht am besten in diversen Teams mit unterschiedlichen Erfahrungen, Lebensentwürfen und Fähigkeiten. An diversitätssensibler Motivation und datenjournalistischer Qualifikation mangelt es dem weiblichen Nachwuchs in den Redaktionen sicher nicht!