Whistleblower gesetzlich schützen

Diesen Appell richteten heute mehrere Vereine und Organisationen an die Bundesregierung im Rahmen einer vom Whistleblower-Netzwerk organisierten Pressekonferenz. Trotz einer entsprechenden Vereinbarung seien die Koalitionsparteien ihrer Verpflichtung zu prüfen, ob internationale Vorgaben zum Whistleblowerschutz in Deutschland hinreichend umgesetzt sind, bisher nicht nachgekommen. Vorgestellt wurde auch ein Rechtshilfefonds für Whistleblower.

„Eine offene Gesellschaft braucht heute mehr denn je Zivilcourage und zutreffende Information. Mit ihrer Untätigkeit in Sachen Whistleblowerschutz bestraft die Bundesregierung genau diejenigen, die sich für das Allgemeinwohl einsetzen“, sagte die Vorsitzende von Whistleblower-Netzwerk e.V., Annegret Falter. Der Verein, der sich seit 2006 ehrenamtlich für Whistleblower einsetzt, hatte zur Pressekonferenz in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) eingeladen, um im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 darauf aufmerksam zu machen, dass die Bundesregierung es bisher versäumt habe, einen umfassenden Whistleblowerschutz in Deutschland umzusetzen. Wie ein vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Auftrag gegebenes Gutachten zeige, seien internationale Vereinbarungen und Verträge, wie etwa die OECD-Konvention zur Verbrechensbekämpfung, von Deutschland zwar ratifiziert, bisher aber nicht im deutschen Recht umgesetzt worden, erläuterte Dr. Marta Böning, Rechtsanwältin beim DGB-Bundesvorstand. Derartige europäische und internationale Konventionen machten für Deutschland allerdings verpflichtende Vorgaben. Die Bundesregierung müsse nun entsprechend dieser Versäumnisse gesetzliche Regelungen schaffen, um einen wirksamen Hinweisgeberschutz umzusetzen, der potenzielle Whistleblower insbesondere vor Nachteilen im Arbeitsverhältnis schütze.

Eine der europarechtlichen Regelungen, die in den nächsten 18 Monaten in Deutschland umgesetzt werden müssten, sei die EU-Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen, erklärte Klaus Henneman, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht a.D.. Während zwar das Betriebsgeheimnis im deutschen Recht bereits seit 100 Jahren durch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb geschützt sei, fehle hingegen noch ein umfassender Whistleblowerschutz, um die Richtlinie adäquat umzusetzen. Aufgabe der Öffentlichkeit sei es daher, Druck auf den Gesetzgeber auszuüben, damit der Whistleblowerschutz auf Augenhöhe mit dem Geheimnisschutz umgesetzt wird.

Problematisch für Whistleblower sind aber nicht nur die Versäumnisse bei der Umsetzung internationaler Vorgaben. Einige in den letzten Jahren eingeführte Regelungen im deutschen Recht haben deren Situation tendenziell sogar noch verschlechtert. So hat etwa der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Ulf Buermeyer, gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen (ROG) und netzpolitik.org Verfassungsbeschwerde gegen den Datenhehlerei-Paragraphen § 202d StGB eingereicht, der als neu geschaffener Straftatbestand zusammen mit der Vorratsdatenspeicherung verabschiedet wurde. Dieser Paragraph stelle nicht nur die Verbreitung, sondern auch jedweden Umgang mit „rechtswidrig erlangten“ Daten unter Strafe. Damit würden Whistleblower ebenso wie die Journalist_innen, denen sie sich anvertrauen, kriminalisiert. Die Gefährdung der Pressefreiheit durch das Datenhehlerei-Gesetz sei so evident, dass eine Verfassungsbeschwerde gerechtfertigt sei, stellte Buermeyer klar.

Verfassungsbeschwerde wurde auch gegen die Vorratsdatenspeicherung (VDS) eingelegt. Zu den Beschwerdeführer_innen gehören Bürgerrechtsorganisationen genauso wie Privatpersonen. Auch das Whistleblower-Netzwerk hat sich angeschlossen. Die Bürgerrechtlerin und Netzaktivistin Katharina Nocun, die 2013, 2014 und 2015 die Kampagne für ein Asyl Edward Snowdens in Deutschland geleitet hat, bringt die Gefahr der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung für Whistleblower und Journalist_innen auf den Punkt: Daten sogenannter Berufsgheimnisträger wie Anwält_innen oder Journalist_innen dürften laut VDS-Regelung zwar nicht verwendet werden, würden jedoch trotzdem erhoben und ebenso wie alle anderen Daten für 4 bzw. 10 Wochen gespeichert. Da die Vorratsspeicherung allerdings erst im Sommer 2017 mit dem Einsetzen der Speicherpflicht für Telekommunikationsunternehmen in Kraft trete, appellierte Nocun an die Bundesregierung, doch noch eine Kehrtwende zu vollziehen und die umstrittenen Regelungen zu überarbeiten oder außer Kraft zu setzen, sodass ein angemessener Schutz von Berufsgeheimnisträgern gewährleistet wird.

Sie klingen ermutigend all diese zivilgesellschaftlichen Initiativen – stimmen jedoch auch nachdenklich. Eine Einschätzung, die Markwart Faußner, Initiator eines Rechtshilfefonds für Whistleblower, teilt. Warum müsse es eigentlich die Zivilgesellschaft übernehmen, Menschen zu schützen, die unserer Gesellschaft uneigennützig einen großen Dienst erweisen, fragte er. Der Münchner Unternehmer, der vor zwei Jahren einen Edward Snowden-Platz in Dresden eingeweiht hat, will mit seinem Rechtshilfefonds Menschen ermutigen, sich mit den ihnen bekannten Missständen an die Öffentlichkeit zu wenden. Die Konsequenzen, die dem Whistleblower mit diesem Gang an die Öffentlichkeit drohen, seien nicht zu unterschätzen. So erzählt etwa die ebenfalls bei der Pressekonferenz anwesende Whistleblowerin Inge Hannemann, die 2013 in ihrer Funktion als Mitarbeiterin des Jobcenters in Hamburg-Altona auf ihrem Blog kritisch über das deutsche Hartz-IV-System berichtet hat, dass sie bis heute mit den finanziellen und gesundheitlichen Folgen ihres Handelns zu kämpfen habe. Auf der Arbeit werde sie gemobbt, eine neue Tätigkeit in der Privatwirtschaft finde sie aufgrund ihres ‚Bekanntheitsgrads’ nicht mehr. Faußner sieht die Aufgabe seines Rechtshilfefonds darin, solchen Menschen bewusst zu machen, was auf sie zukommt, und ihnen im weiteren Verlauf notfalls auch auf dem Weg bis zum Arbeitsgericht beiseite zu stehen.


Weitere Informationen:  www.whistleblower-net.de

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