Wie Medienvertrauen gestärkt werden kann

Vertrauensgewinn durch Krisenberichterstattung. Symbolbild: 123rf

In der „Flüchtlingskrise“ 2015 brach das Vertrauen zu etablierten Medien ein, in der „Coronakrise“ 2020 konnten sie es zurückgewinnen. Die Kölner Journalistikprofessorin Marlis Prinzing hat das „Ringen um Vertrauen“ in der Broschüre “Ethik als Schlüssel für Medienvertrauen und Empowerment“ genauer unter die Lupe genommen und festgestellt, dass ethische Kompetenzen von professionellen Journalist*innen und ihrem Publikum das Vertrauen in Medien fördern.

Instanz für das Vertrauen, das die Mediengesellschaft zusammenhält, ist nach Prinzing der Journalismus, „denn kein Mensch kann alles selbst nachprüfen und steuern“. Für ihre soziale Teilhabe, ihr Empowerment, brauchen Bürger*innen ein Forum für den Austausch „über das, was uns in der Gesellschaft umtreibt.“ Dafür sei ein ethischer Kompass notwendig, der „hilft, auf einer gemeinsamen Wertebasis verantwortungsvoll zu handeln“. Prinzings Ansatzpunkte, wie Journalist*innen das für die digitale Gesellschaft so notwendige Medienvertrauen stärken können, wurden in einer Diskussionsrunde reflektiert. Die Friedrich-Ebert-Stiftung, Herausgeberin der Publikation, hatte dazu vier Medienpraktiker*innen eingeladen.

Beziehung zum Publikum „auf Augenhöhe“

Entscheidend sei zunächst die Haltung gegenüber dem Publikum, so Prinzing. Die einst Vertrauen stiftende „Leser-Blatt-Bindung“ werde durch die digitale Interaktivität zum „Gesprächsverhältnis auf Augenhöhe“. Es gelte Bedürfnisse, Erwartungen und Wahrnehmungen des Publikums ernst zu nehmen, denn: „Wer findet, Medien berichten nicht verständlich, nicht das Relevante oder ließen es an Vielfalt missen, verliert an Vertrauen in sie.“ Krisen seien „Vertrauenstreiber“, wenn es nicht um primär politisch polarisierende Themen wie Geflüchtete gehe, sondern um ein alle betreffendes (Gesundheits-)Problem wie die Coronapandemie.

Gerhard Kohlenbach, Chefredakteur Nachrichten der RTL News GmbH, bestätigt die Relevanz der von Prinzing angemahnten „Augenhöhe“ für den journalistischen Alltag. Es gelte, nicht als die „abgehobenen Leute von der Presse, die im Zweifel auch noch mit der Politik unter einer Decke stecken und sich nicht um die Probleme kümmern“ wahrgenommen zu werden. Wie etwa in der „Flüchtlingskrise“, als Medien die Ängste der Menschen nicht rechtzeitig zum Thema machten, sondern immer nur über „Welcome, welcome“ berichteten. Ob die Sorgen der Menschen berechtigt waren, sei dahingestellt, aber man müsse sie aufgreifen. In der Coronakrise hätten die Medien wieder Vertrauen gewonnen, weil sie die wachsende Nachfrage nach Information und Orientierung bedienten. Um auf dieses Bedürfnis einzugehen, baue RTL jetzt seine Nachrichtenangebote aus.

Bettina Schmieding, Redakteurin beim Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres, berichtete, um eine bessere Beziehung zu den Rezipient*innen herzustellen, suche man einen Rückkanal „und wir finden ihn auch immer öfter!“ Es gehe dabei weniger um die Menschen in Blogblasen, die möglicherweise „verloren sind für faktenbasierten Journalismus“, sondern eher um diejenigen, “die eine partielle Enttäuschung empfinden oder die, die einfach nicht verstehen, was ein Kommentar ist im Vergleich zu einem gebauten Beitrag“. Diese Leute, “die auf der Kippe stehen“, sollten gewonnen werden – mit medienkritischen Sendungen oder auch einem Podcast, der zusammen mit Hörer*innen produziert wird.

Journalistische Professionalität und Transparenz

Sorgfältige Faktenprüfung, verantwortungsorientierte Recherche sowie erklärendes und differenziertes Einordnen sind nach Prinzing journalistisches Handwerk und zugleich ethisch begründete Orientierungslinien in der Abwehr von Desinformation. Eine solche journalistisch qualitätsvolle Arbeit und der damit verbundene Aufbau von Vertrauensbeziehungen sei aber nur möglich, wenn Redaktionen nicht unter Spar-, Kosten- und Zeitdruck stehen.

Das bestätigt Sascha Borowski, Chief Digital Editor der „Allgäuer Zeitung“ und Sprecher des Deutschen Presserats für den Community-Aufbau im Internet. Wenn Redaktionen sich Social media-Auftritte leisteten, bräuchten sie auch die Infrastruktur und die Ressourcen, um mit den Leser*innen in einen Diskurs zu treten und ihre Arbeit zu erklären – was sie wissen und was nicht, oder wenn sie einen Fehler gemacht haben.

Wie wichtig das Erklären, die Transparenz für Vertrauen ist, erläutert Alice Echtermann, stellvertretende Leiterin CORRECTIV.Faktencheck. Jeder Rechercheschritt müsse nachvollziehbar sein. So werde etwa die E-Mail an den Virologen veröffentlicht, verlinkt mit seiner Biografie und einem Screenshot seiner Antworten auf die gestellten Fragen. Damit reagiert das Team auf die Medienskepsis, den “komischen Grundverdacht, dass die Journalist*innen sich das alles ausdenken“. Wenn man das durch radikale Transparenz widerlege, werde man zwar immer noch angegriffen – aber selten auf Faktenebene.

Kommunikative Grundbildung und ethischer Kompass

Um selbst verantwortungsbewusst zu veröffentlichen und um wertzuschätzen, welche Rolle Journalismus in unserer Gesellschaft spielt, brauchen Bürger*innen nicht nur einen ethischen Kompass (z.B. Menschenrechte), sondern auch eine kommunikative Grundbildung, so Prinzing. Sie müssen etwa verstehen, wie „soziale Medien“ funktionieren und erkennen, welchen Quellen man vertrauen kann. Dass es daran noch hapert, erläutert Faktencheckerin Alice Echtermann. Viele Menschen, die den Medien nicht mehr trauen, hielten Meinungen für Fakten und regten sich dann darüber auf. Sie migrierten zu Onlineblogs, wo es diese Trennung nicht gibt. Das sei den Leuten aber egal, Hauptsache die eigene Meinung werde bestärkt.

Das gehöre zum Geschäftsmodell von großen Plattformen. Sie vereinnahmen die Menschen – etwa in privaten Messenger-Apps – und die Medien durch Förderung oder als Ausspielkanal für Inhalte, kritisiert Prinzing. So steigen Apple, Google und Facebook in das Geschäft mit Medieninhalten ein, indem sie gegen Bezahlung journalistische Inhalte von Medienunternehmen in einem separaten News-Feed anbieten. Eingespeiste Inhalte blockieren sie eigenmächtig. Prinzing fordert deshalb eine Regulierung der Plattformen. Ansätze seien das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, der Entwurf eines europäischen Digital Services Act oder der neue Medienstaatsvertrag von 2020, nach dem die Landesmedienanstalten Plattformen beaufsichtigen sollen, wenn sie sich nicht einer Selbstkontrollinstanz wie dem Presserat anschließen. Aber es gebe keine gemeinsame Strategie und keinen gemeinsamen Kodex. Sie plädiert für einen ethischen Kompass, der in der digital geprägten Mediengesellschaft das institutionell sichern muss, „was diese zusammenhält: Vertrauen“.

Marlis Prinzing: Ethik als Schlüssel für Medienvertrauen und Empowerment. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, FES Medienpolitik, 2021. 22 Seiten, ISBN 978-3-96250-930-9, kostenloser Download hier

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