Die Videoabteilung der größten spanischen Tageszeitung „El País“ soll ausgelagert werden. Der Betriebsrat fürchtet, dass die zwölf betroffenen Kolleg*innen auf diese Weise künftig deutlich schlechter gestellt werden. Nachdem die Belegschaft Streiks angekündigt hatte, erklärte sich der zuständige Medienkonzern PRISA zu Gesprächen bereit. Die Streiks sind damit erst mal vom Tisch, die Verhandlungen sollen bis September andauern.
„Diese Ausgliederung betrifft 3,5 Prozent der Belegschaft“, sagt Patricia Rodríguez, Journalistin in der Auslandsredaktion und Vorsitzende des Betriebsrates. „Die Folge: Sie fallen aus dem Haustarifvertrag von ‚El País‘. Die Betroffenen werden weiterhin am gleichen Arbeitsplatz sitzen, mit der gleichen Ausrüstung arbeiten, aber anders behandelt als ihre Kolleg*innen einen Tisch weiter.“ Eine Zukunft, die mehr an die Automobilindustrie mit ihren Subunternehmen erinnert als an eine Redaktion.
Die zwölf Mitarbeiter*innen der Videoabteilung von „El País“ sollen in das Unternehmen Lacoproductora überführt werden, eine Produktionsgesellschaft für audiovisuelle Inhalte, die der Medienkonzern PRISA aufgekauft hat. Offenbar hat PRISA hat mit Lacoproductora Großes vor. Quellen aus dem Unternehmen sprechen von „Synergien“. Die Umstrukturierung bei der Videoproduktion solle den Ablauf effektiver machen und neue Geschäftsfelder außerhalb der hauseigenen Medien eröffnen. Die Produktionsgesellschaft soll auch von anderen Medienunternehmen des Hauses die Videoabteilungen übernehmen. Lacoproductora soll dann Inhalte für alle PRISA-Medien, aber auch für Plattformen wie etwa Netflix erstellen.
Was den Betroffenen Sorge bereitet: Bei der Produktionsgesellschaft Lacoproductora arbeitet der Großteil der bisherigen Belegschaft mit Zeitarbeitsverträgen an Projekten. Einmal fertiggestellt, geht es in die Arbeitslosigkeit, bis zum nächsten Auftrag.
„Ich verstehe die Bedenken der Belegschaft“, sagt ein Unternehmenssprecher. Der Vorschlag: Den Betroffenen sollen acht Jahre lang die Regelungen aus dem Tarifvertrag ihrer ursprünglichen Redaktion garantiert werden. Sollte Lacoproductora schließen oder PRISA die Aktionärsmehrheit verlieren, soll eine Rückkehrklausel für die Betroffenen in die Redaktion der „El País“ vereinbart werden.
Dem Betriebsrat bei „El País“ ist dies zu wenig. „Denn sollte Lacoproductora wegen schlechter Ergebnisse einen Sozialplan mit Entlassungen auflegen, wären die Betroffenen auf der Straße“, sagt Betriebsrätin Rodríguez. Sie wird jetzt verhandeln. Die PRISA-Führung hat Gesprächen erst zugestimmt, nachdem die Belegschaft bei einer Urabstimmung Streiks androhte.
Kurz vor geplantem Streik kam eine E-Mail
Der erste Streiktag sollte zu Beginn der Woche sein. Am Samstag davor erhielten alle „El País“-Mitarbeiter eine E-Mail, in der der PRISA-Vorsitzende Carlos Nuñez höchstpersönlich Verhandlungen anbot. „Bis zum 15. September werden mindestens vier Verhandlungsrunden stattfinden“, sagt Rodríguez. Sie wertet das Angebot als Erfolg. Denn so lange die Verhandlungen laufen, werde der Plan, die Video-Belegschaft auszulagern, nicht umgesetzt. „Damit ist die Befürchtung vom Tisch, das Unternehmen könne über den Sommer vollendete Tatsachen schaffen.“ Aus diesem Grund setzte die Belegschaft den Streik in einer erneuten Mitarbeiterversammlung aus.
Rodríguez und mit ihr der Betriebsrat stehen unter Druck, ein gutes Ergebnis zu liefern. Denn viele Mitarbeiter*innen von „El País“ befürchten, dass die Auslagerung der Video-Abteilung nur der Anfang einer größeren Umstrukturierung sein könnte. Auch wenn der PRISA-Vorsitzende Nuñez in seiner E-Mail zu verstehen gibt, dass dem nicht so sei – es halten sich Gerüchte, dass etwa gemeinsame Redaktionen für Sport für alle PRISA-Medien rund um die Zeitung „AS“ oder für Ökonomie rund um das Wirtschaftsblatt „Cinco Días“ entstehen sollen. „Wir wollen versuchen, eine schriftliche Zusicherung zu bekommen, dass es keine weitergehenden Pläne gibt“, sagt Rodríguez.
In den vergangenen zehn Jahren habe die „El País“-Belegschaft immer wieder Einbußen hinnehmen müssen, sagt Rodríguez und erinnert an das Jahr 2012. In Folge der Eurokrise, die zum Rückgang der Abonnentenzahlen und der Werbeeinnahmen führte, wurden damals fast 150 Kolleg*innen entlassen. Die Löhne wurden gekürzt. „Trotz der anhaltenden Verärgerung stimmte die Mitarbeiterversammlung in der Pandemie der Kurzarbeit zu“, sagt Rodríguez. „Wir haben immer geholfen, die Zeitung zu retten.“ Sie hofft auf eine Einigung, die für beide Seiten akzeptabel ist.
Der Medienkonzern PRISA ist die größte Medienholding Spaniens. Neben „El País“ gehören ihr auch die Wirtschaftszeitung „Cinco Días“ und die täglich erscheinende Sportzeitung „Diario As“. Hinzu kommen zahlreiche Radiostationen, wie etwa der meistgehörte Sender Spaniens Cadena SER. Auch in Portugal und Lateinamerika ist die Medienholding tätig.