Jens Zimmermann (SPD) plädiert für Recht auf Homeoffice und mobile Arbeit
Der Start in den Deutschen Bundestag war für Jens Zimmermann (SPD) eine Zitterpartie: Erst 17 Tage nach der Wahl stand fest, dass er über ein Ausgleichsmandat einen Sitz unter der Reichstagskuppel erhält. Inzwischen ist der promovierte Betriebswirtschaftler der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und ihr Obmann im Ausschuss Digitale Agenda und im Untersuchungsausschuss zu „Wirecard“.
Eine „Offensive für Bildung, Forschung und Digitalisierung“ hatten CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode versprochen, für „eine flächendeckende digitale Infrastruktur von Weltklasse“. Schulen, Gewerbegebiete, soziale Einrichtungen in der Hand öffentlicher Träger und Krankenhäuser sollten schon in dieser Legislaturperiode an das Glasfasernetz angebunden werden. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Deutschland in der digitalen Infrastruktur international zurückhängt. Und die Regierung hinter ihren Ausbauplänen, räumt Zimmermann ein: „Wir werden das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel nicht erreichen können, was ich sehr ärgerlich finde – und leider muss man sagen, dass das zuständige Bundesverkehrsministerium hier unnötig viel Zeit vertrödelt hat.“ Dennoch sei einiges auf den Weg gebracht worden: Förderprogramme für den Breitbandausbau seien vereinfacht und beschleunigt und die Förderhöchstbeträge verdoppelt worden.
Im Telekommunikationsgesetz wurde festgeschrieben, dass ein schneller Internetzugang Teil der Grundversorgung ist. Schwerpunkt der nächsten Wahlperiode müsse der flächendeckende Aufbau von vertrauenswürdigen Gigabit-Infrastrukturen als selbstverständlicher Teil der kommunikativen Daseinsvorsorge sein. „Homeoffice“ ist ein Schlagwort der Corona-Monate. Mobile Arbeit, lange diskutiert, wurde plötzlich für viele reale Arbeitswelt. Zimmermann verweist darauf, dass die SPD schon im Koalitionsvertrag auf mehr Zeit und Ortssouveränität gepocht habe und ein Recht auf Homeoffice oder mobile Arbeit erreichen wollte. „Zugleich muss der Schutz der Beschäftigten vor Entgrenzung sichergestellt werden, etwa durch ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit beziehungsweise Nicht-Reaktion.“ Den Entwurf des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD) habe der Koalitionspartner trotz entsprechender Vereinbarungen abgelehnt. Bei der Weiterbildung für die digitale Arbeitswelt habe Heil einiges bewirken können. Weiterentwickelt werden müsse die Mitbestimmung in der digitalen Arbeitswelt, auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Mobile Arbeit hat die nominell selbstständigen, oft aber von den Plattformen abhängigen Crowd- oder Clickworker hervorgebracht. ver.di fordert in ihren Wahlbausteinen „branchenspezifisch angemessene Vergütungen“. Damit scheiterte die SPD in den Koalitionsverhandlungen, berichtet Zimmermann: „Dennoch hat der Bundesarbeitsminister Eckpunkte für eine Plattformregulierung vorgelegt, die die Plattformen in die Verantwortung genommen und die Rechte und den Schutz der Beschäftigten sowie eine angemessene Vergütung sichergestellt hätten. Dies ist am Widerstand der Union gescheitert und wird Aufgabe der nächsten Legislaturperiode bleiben müssen.“ Ein solcher Rechtsrahmen für Plattformbeschäftigte werde dringend gebraucht: „Was hier zum Teil an digitaler Ausbeutung passiert, ist absolut inakzeptabel.“
Am 20. Mai wurde im Bundestag das neue Urheberrecht gemäß der EU-Richtlinie beschlossen. Es schaffe die Grundlage für ein faires und modernes Urheberrecht, meint Jens Zimmermann. ver.di hat das Gesetz dagegen kritisiert, die Regierung habe Chancen für Kreativschaffende vertan. Zimmermann weist das zurück: „Die Aussage, das Gesetz sei eine ‚vertane Chance‘, kann ich nicht nachvollziehen, denn gerade mit Blick auf die Verbesserungen im Urhebervertragsrecht warten viele Kreative, um ihre faire und angemessene Vergütung auch durchzusetzen.“
Für ver.di entspricht eine solche Regelung jedoch nicht der Realität. Ihre Ansprüche individuell einzufordern, davor schrecken viele Kreative wegen zu erwartender beruflichen Schwierigkeiten und der Aussicht auf lange Prozesse zurück. Der Auskunftsanspruch gegen die Verwerter sei durch einen „Verhältnismäßigkeitsvorbehalt“ quasi torpediert worden. ver.di hatte deshalb ein Verbandsklagerecht gefordert. Diesem Klagerecht stimmt Zimmermann zu, aber: „Es ist uns in dieser Koalition – und zwar weniger aus inhaltlichen als aus grundsätzlichen Überlegungen seitens der Unionsfraktion – nicht gelungen, ein wirkliches Verbandsklagerecht auf den Weg zu bringen, wie es auch ver.di gefordert hat. Dieses ist schon deswegen wichtig, um das Blacklisting zu verhindern, und es bleibt auf der politischen Agenda.“ Noch zu regeln sei ebenfalls eine rechtssichere Online-Leihe bei Bibliotheken, die eine angemessene Vergütung für Urheber*innen bringe.
„Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist durch die Urheberrechts-Richtlinie vorgegeben und wir haben dieses im Rahmen der Reform umgesetzt“, erklärt Zimmermann einen weiteren Punkt im neuen Gesetz. „Ich habe aber nach wie vor Zweifel, ob das Leistungsschutzrecht das richtige Instrument ist. Vielmehr habe ich die Sorge, dass dieses – wie bisher – eher die Monopole stärkt.“ Immerhin, so Zimmermann, „ist in § 87k klar festgeschrieben, dass Journalistinnen und Journalisten an den Einnahmen aus dem Presseverleger-Leistungsschutzrecht angemessen beteiligt werden müssen – und zwar mindestens zu einem Drittel. Hiervon kann und darf nur abgewichen werden, wenn es eine Vereinbarung auf gemeinsame Vergütungsregeln oder einen entsprechenden Tarifvertrag gibt“.
Die Pandemie habe zu mehr Hassbotschaften geführt, sagen Beobachter*innen der Netzwelt. Vor vier Jahren hatte Justizminister Heiko Maas (SPD) versucht, „Hate Speech“ durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), einzudämmen. Die Koalition, so Zimmermann, habe das NetzDG evaluiert und eine Weiterentwicklung beschlossen. Dabei sollen die Berichtspflichten konkretisiert und vereinheitlicht werden, damit verschiedene Netzwerke besser verglichen werden können. „Beim Beschwerdemanagement haben wir klargestellt, dass dieses schnell, einfach und niedrigschwellig auffindbar und organisiert sein muss und keine zusätzlichen Hürden etwa zwischen Meldung nach NetzDG und nach Hausregeln haben darf.“
Neu sei ein Widerspruchsverfahren gegen Sperrungen, erläutert der SPD-Digitalpolitiker. Alle Verfahren können an den „Zustellbevollmächtigten“ übergeben werden. „Dies war notwendig, weil sich die Plattformen noch immer der Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden entzogen haben.“ Und der Wissenschaft würden die Plattformen Auskunft geben müssen über ihren Umgang mit Beschwerden und den automatisierten Verfahren.
Ein Aspekt der Digitalisierung steht oft im Hintergrund: der Energieverbrauch. Digitale Technologien können Helfer nachhaltigen Wirtschaftens sein, verbrauchen aber viel Strom, zum Betrieb und zur Kühlung von Rechenzentren. In der „Umweltpolitischen Digitalagenda“ wird gefordert, die Rechenzentren in einem Monitoring zu erfassen, um Energie- und Ressourceneffizienz zu fördern sowie eine Kopplung etwa mit kommunaler Wärmeversorgung zu ermöglichen. Zimmermann: „Eine Haltung im Sinne von ‚Digitalisierung ist für alles gut‘, wäre blauäugig. Die Entwicklungen rund um die Kryptowährung Bitcoin und deren immensen Strombedarf zeigen beispielhaft Fehlentwicklungen.“