Dreiste Verknüpfung

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Was ist bloß los mit dem Sommerloch? Wann immer in früheren Jahren Boulevard-Redaktionen händeringend nach schaurigen oder skandalträchtigen Themen fahndeten, tauchte irgendwann zuverlässig „Nessie“ auf, das Ungeheuer von Loch Ness. Oder der „Killer-Wels“ aus dem Berliner Schlachtensee. In diesem tristen Corona-Sommer muss jetzt ein fünf Wochen altes Zweieinhalbminuten-Satire-Video herhalten, um den öffentlichen Erregungspegel vorübergehend hochschnellen zu lassen.

Es zeigt zwei leicht beschränkte Polizisten, die – unter dem Eindruck ihrer racial-profiling-Impulse – einen vermeintlichen Fahrraddieb eiskalt exekutieren. Ein gefundenes Fressen für „Bild“! Die mobilisierte sogleich einen Haufen christdemokratische Wutpolitiker, die unisono gegen diese verwerfliche Generalverdächtigung von Polizisten als Mörder und Rassisten wetterten. Und das auf einem öffentlich-rechtlichen Kanal, dem Jugendportal Funk!

Diese „offene Flanke“ mochte sich denn auch die CDU Sachsen-Anhalts nicht entgehen lassen. Bekanntlich haben sich die Christdemokratien dieses kleinen Bundeslandes der Mission verschrieben, die von den Ministerpräsidenten – auch ihrem eigenen – bereits abgenickte klitzekleine Erhöhung des Rundfunkbeitrags zu verhindern. Dazu erscheint ihnen kein Argument oder Anlass dämlich genug. „Das Maß ist voll“ schnaubt nun der Generalsekretär der Partei, und der medienpolitische Sprecher eskortiert, solche Videos „stärken nur die Anhänger, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen wollen“. Und stellten nichts weniger als die Erfüllung des Programmauftrags in Frage. Schon deshalb werde man die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags verhindern.

Die Dreistigkeit, mit der populistische Politiker in Sachsen-Anhalt ihre Zustimmung zur Beitragserhöhung mit Bedingungen gegenüber den Anstalten verknüpfen, war schon vorher bemerkenswert. Da wurden drastische Sparprogramme gefordert. Da wurden mit Hinweis auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie 86 Cent pro Monat mehr für die Programme von ARD, ZDF und Deutschlandradio als unzumutbare wirtschaftliche Härte gegeißelt. Da muss selbst ein belangloses (und nicht sonderlich originelles) Satire-Video dafür herhalten, im Verbund mit der rechtsextremen AfD gegen die Öffentlich-Rechtlichen zu schießen.

Dabei ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jede Verknüpfung der Beitragsfrage mit Programmfragen unzulässig. Dies bestätigte zuletzt auch ein von ver.di in Auftrag gegebenes Gutachten: Eine solche Koppelung  stelle in jedem Fall „einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die von der Rundfunkfreiheit geschützten Programmautonomie der Anstalten dar“. Vor allem dürfe der Gesetzgeber mittels der Entscheidung über die Abgabenhöhe keine medienpolitischen Ziele verfolgen.

Ob die CDU-Provinzfürsten Sachsen-Anhalts sich davon beeindrucken lassen? Man sollte erwarten, dass aufgeklärtere Kreise unter den Christdemokraten diesem Spuk im Interesse der Demokratie möglichst bald ein Ende bereiten. Bleibt die Hoffnung, dass sich im Landtag Sachsen-Anhalts die medienpolitische Vernunft durchsetzt, wenn im Herbst über den Rundfunkbeitrag abgestimmt wird.

 

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