Ein „Klima vor 8“ oder vielleicht mehr ARTE?

Foto: WDR/Annika Fußwinkel

Zukunftsdialog: Die ARD fragt die Bürger*innen

Die ARD will über die eigene Zukunft debattieren. Was Bürger*innen von den öffentlich-rechtlichen Sendern perspektivisch erwarten, hatte ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant Tom Buhrow bereits am 8. Mai mit zufällig Ausgewählten in einer Videokonferenz besprochen. Inzwischen ist die öffentliche Plattform ard-zukunftsdialog.de freigeschaltet, wo sich Interessierte bis 27. Juni in verschiedenen Themenräumen mit Ideen und Kommentaren beteiligen können. Ein Podcast soll vernetzen. Jetzt gab es eine erneute Live-Diskussion.

„Uns ist wichtig, dass auch diejenigen zu Wort kommen, für die wir das Programm machen: die Bürgerinnen und Bürger“, so Tom Buhrow zum Anliegen des ARD-Zukunftsdialogs. „Wir sind aufrichtig daran interessiert, unmittelbar zu erfahren, wie die Menschen im Land die ARD in Zukunft sehen.“ Der Aufwand, den die ARD dafür in mehreren Projektphasen hauptsächlich im Netz betreibt, ist nicht gering: Rückmeldungen und Ideen aus der Onlinebeteiligung werden ausgewertet und nach dem Sommer in den Landesrundfunkanstalten diskutiert. Im November soll es eine virtuelle Abschlussveranstaltung mit Bürgerbeteiligung, bis Jahresende auch einen Abschlussbericht geben.

Momentan befindet man sich also mitten im Prozess. In den „Themenräumen“ mit Titeln wie Generation Zukunft, Menschen und Meinungen, Wissen und Hintergründe oder Region und Lebensgefühl haben sich bereits Ideen – zumeist in niedriger dreistelliger Zahl – und Kommentare angesammelt. Den größten Zuspruch fanden bislang „Programmideen“ mit über 1100 Wortmeldungen und „Menschen und Meinungen“ mit mehr als 2000 Kommentaren. Jeder Themenraum wird von zwei Pat*innen aus unterschiedlichen ARD-Studios begleitet.

Bei der Programmideen-Debatte am 9. Juni dabei: Moderatorin (oben li.), Pat*innen (re.) und ein Gebärdendolmetscher.
screenshot: ard-zukunftsdialog.de

Am 9. Juni tauschten sich die ARD-Themenpat*innen Anja Würzberg, Programmchefin NDR Kultur, und Reinhard Bärenz, Hauptredaktionsleiter Kultur beim MDR, zu den bisher eingereichten Vorschlägen zum Thema „Programmideen“ aus. Aus der Fülle bisheriger Anregungen destillierten sie gemeinsam mit Moderatorin Valérie drei Themenschwerpunkte: Musik und Kultur, Nachhaltigkeit sowie Unterhaltung. Das einstündige Zoom-Gespräch bezog Chatanfragen des Publikums ein, eine Debattenatmosphäre entstand allerdings nicht. Auch die Teilnehmerzahl blieb unbekannt.

Enttäuschte Jahrmarktbetreiber

Wenn das, was die Pat*innen für diesen Themenraum feststellten, verallgemeinerbar ist, hat die ARD vor allem ein Sichtbarkeitsproblem. Mitunter habe sie den Eindruck eines „enttäuschten Jahrmarktbetreibers“, berichtete Anja Würzberg. Sein tolles Riesenrad und die exquisiten gebrannten Nüsse würden vom Publikum offenbar gar nicht wahrgenommen: denn bei vielen Programmvorschlägen stelle sie fest, dass solche und ähnliche Formate im Angebot schon existierten. Man müsse wohl besser „erzählen, was es im Programm bereits alles gibt“, verwies auch Kollege Bärenz etwa auf Filme in ARD Retro und vorhandene Musikformate. Gleichzeitig attestiere er den Teilnehmer*innen am Zukunftsdialog, dass sie sehr konstruktiv-kritisch, mit großer Ernsthaftigkeit debattierten und Medienkompetenz bewiesen.

Die NDR-Kulturchefin machte als übergreifendes Thema vieler Programmideen die Frage aus: „Wie bewältigen wir unser Leben – gesund, qualitätsvoll, nachhaltig?“ Lebensbewältigung sei nach der Pandemie ganz offensichtlich als zukunftsträchtiges Thema für die Öffentlich-Rechtlichen von besonderer Wichtigkeit.

Zum Schwerpunkt Kultur und Musik wurde der Vorschlag erörtert, mehr regionale Musikbands vorzustellen, wobei die Expert*innen auf bestehende Formen in den dritten TV- und Radioprogrammen verwiesen, aber zugleich bestätigten, dass „Präsenz in den Medien vor allem für junge Musiker ungemein wichtig“ sei. Etwas aus der Reserve gelockt wurden die Pat*innen durch den Chateinwurf von „Rudi“, der fragte, ob Kultur nicht sinnvollerweise den Privatsendern überlassen werden sollte. Würzberg verwies auf den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und auf die Tatsache, dass allein die ARD über 1800 Kulturpartner im Land verfüge – Bühnen, Museen, Ensembles – die da gut aufgehoben seien, wo „frei von kommerziellen Interessen“ agiert werde.

Eine weitere Zuschauerfrage zielte darauf, die ARTE-Angebote stärker ins ARD-Hauptprogramm zu ziehen und die Mediatheken zusammenzulegen. Beide Experten brachen eine Lanze für den deutsch-französischen Kultursender. Würzberg konnte nicht recht erklären, „wieso es zusätzliche Impulse braucht, ARTE in angemessener Weise wahrzunehmen“. Für Bärenz gehörte ARTE „unbedingt dazu“. Es sei eine Bereicherung, dass ARTE-Produktionen nun auch in der ARD-Mediathek auffindbar seien. Noch mehr Kooperation sei angeraten.

Wissenschaft nicht als Glaubensdebatte

Der Themenschwerpunkt Nachhaltigkeit ist nach Meinung von Bärenz für viele Dialogteilnehmer*innen „zentrales Zukunftsthema“. Es solle in der ARD künftig „sehr prominent platziert werden, informieren und mit Unwissenheit und Mythen aufräumen“. Die Pandemie habe gezeigt, wie wichtig die Kommunikation von Wissenschaft sei, wo es darauf ankomme, wissenschaftliche Erkenntnisse und darauf basierende Entscheidungen zu erklären. Ein Chatteilnehmer forderte, dass nicht nur in speziellen Sendungen – ein Publikumsvorschlag zielte auf eine regelmäßige Reihe „Klima vor 8“ – zu behandeln, sondern auch in Nachrichten- und anderen Formaten. Das geschähe bereits, warf Würzberg ein und verwies auf Erklärbeiträge als Teil von Wetterberichten, Tier- und Landschaftsdokumentationen bis zu speziellen Themenwochen. Wissenschaft müsse im Programm verständlich gemacht werden, das sei aber keine „Glaubensdebatte“.

Die Dringlichkeit und Bedrohlichkeit des Themas ausreichend zu zeigen, sei schwierig, weil individuell unterschiedlich wahrgenommen. Doch habe sie aus der jetzigen Pandemie gelernt, „dass Zeit ein wichtiger Faktor bei der Bewältigung von Krisen“ sei. Die verbleibenden Jahre zu Erreichung des 2-Grad-Zieles seien tatsächlich eine kurze Spanne. Bärenz verwies auf unterschiedliche Plattformen für unterschiedliche Zielgruppen. Da sei der ARD – etwa mit Blick auf Nachrichtensendungen – in jüngerer Vergangenheit ein Transfer „außerhalb linearer Fernsehsendungen durchaus gelungen“. Praktische Tipps zu umweltfreundlichem Leben sah Würzburg künftig noch stärker in Serviceformaten umzusetzen.

Spiel mit offenem Ende

Beim Schwerpunkt Unterhaltung wurde der Publikumsvorschlag einer europäischen Spielshow, verbunden mit einer interaktiven App, debattiert. Gut fanden es die Themenpat*innen, die europäische Idee auch spielerisch und im Rahmen von Familienunterhaltung umzusetzen. Das passe gut zur ARD. Einzuwenden sei lediglich die auch von Zuschauer*innen kritisierte Vielzahl von bereits bestehenden Quizsendungen.

Live-Experimente „wie auf Netflix“ brachten Zuschauerinnen ebenfalls in die Diskussion. Würzburg sah es als „Megatrend, dass das Publikum über Programm und Inhalte mitentscheidet“. Interaktive Möglichkeiten, wie zuletzt bei Schirach-Literaturverfilmungen oder beim „Radio-Tatort“ seien spannend, so Bärenz, aber zugleich „eine komplexe, anspruchsvolle Sache“, da von den Machern mehrere Ausgänge von Geschichten vorausgesehen werden müssten. Doch trügen solche Formate dazu bei, dass Zuhörer und Zuschauerinnen „nicht nur passiv vor der Glotze sitzen“.

Die als Livestream gestaltete vollständige Debatte ist weiter auf der Plattform des ARD-Zukunftsdialogs abrufbar. Nächste solche Themendebatten sind für den 16. und 23. Juni geplant. Dann soll es u.a. um Mediatheken und Korrespondentennetze gehen.

Das Publikum ist weiter aufgefordert, per mail oder über die „Themenräume“ auf der Dialogplattform Vorschläge und Meinungen einzubringen. Dem Megatrend Nutzer*innenbeteiligung gemäß.


Der Podcast zum ARD-Zukunftsdialog

News und Korrespondenten – wie Nachrichten entstehen | Talk mit Natalie Amiri und Ingo Zamperoni – ARD-Zukunftsdialog. Der Podcast. | ARD Audiothek

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