Eiskalte Rache fürs Ausladen der Presse

Titel mal anders: Der Weser-"Kurier am Sonntag" vom 19. Januar 2020 berichtet aus Bremen.
Foto: Eckhard Stengel

Wie reagieren Medien am sinnvollsten darauf, wenn sie bei ihrer Arbeit behindert werden? Mit Empörung – oder lieber mit Spott? Der Bremer „Weser-Kurier“ hat sich für den Spott entschieden, als er jetzt wie alle anderen Medien erstmals vom traditionellen Festessen der Bremer Eiswette ausgeschlossen wurde. Alljährlich am dritten Januar-Samstag treffen sich bis zu 800 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Diesmal war jedoch einiges anders als gewohnt.

Das Bremer Eiswett-Fest ist ein gesellschaftliches Ereignis mit bundesweiter Ausstrahlung. Bislang war der Termin auch ein Muss für die Lokalpresse: Foto auf der Titelseite, Aufmacher im Lokalteil, möglichst ganzseitig, so lief das jedenfalls beim „Weser-Kurier“ (WK). Das beliebteste Fotomotiv: die weiß eingedeckten kreisrunden Tische im Bremer Kongresszentrum. Sie sollen Eisschollen symbolisieren. Drumherum sitzen, dicht aneinandergedrängt, die Gäste – seit 190 Jahren nur Männer. Im schwarzen Frack wirken sie ein bisschen wie Pinguine.

In diesem Jahr allerdings lief manches anders: Beim 191. Eiswett-Fest durften erstmals auch Frauen an den Eisschollen Platz nehmen. Zwar nur 30 an der Zahl, also rund vier Prozent der Gästeschar, aber immerhin: eine kleine Revolution. Denn jahrelang hatte sich das Eiswett-Präsidium mannhaft gegen immer lauter werdende Forderungen gewehrt, auch Damen zu dem Festbankett einzuladen, bei dem Konzernchefs und Politiker aus Deutschland und der Welt wichtige Kontakte knüpfen können. Wenn sie denn männlichen Geschlechts sind.

Erst als die Bremische Bürgerschaft 2019 alle offiziellen Repräsentanten des kleinsten Bundeslandes zum Boykott der frauendiskriminierenden Herrenrunde aufrief, gaben die Ausrichter nach. Doch der Verlust ihrer Herrlichkeit wurmte sie dermaßen, dass sie eiskalt Rache übten: Während sie nun erstmals Frauen zuließen, sperrten sie andere aus: den Bürgermeister und seine Regierungsmitglieder, aber auch die Medien. Denn sowohl die Regierenden als auch manche Kommentator*innen hatten das Eiswett-Präsidium für seine Gestrigkeit kritisiert.

In Leserbriefen wurden die Eiswett-Herren daraufhin als „beleidigte Leberwürste“ tituliert. Die WK-Redaktion konterte auf den Presse-Ausschluss so eiskalt, wie sie abserviert worden war: Statt des üblichen Riesenartikels über das Festbankett druckte die Lokalzeitung am nächsten Morgen ein einziges Foto von dem Event, allerdings ein sehr verfremdetes: Der „Weser-Kurier“ zeigte eine echte Eisscholle mit ebenso echten Pinguinen obendrauf. Den Bildtext lieferte Chefredakteurin Silke Hellwig: Beim Eiswett-Fest handele es sich um eine geschlossene Gesellschaft mit umfangreichen Regularien, „bei der Eisschollen eine tragende Rolle spielen“. Und weiter: „Ganz grob betrachtet, muss man sich das ungefähr so vorstellen wie hier abgebildet. Gewisse Ähnlichkeiten mit realen Personen sind allerdings rein zufällig.“ Rache ist süß, nein: eisig.

Auch „buten un binnen“, das regionale Fernsehmagazin von Radio Bremen, verzichtete auf aktuelle Berichterstattung über das achtstündige Bankett, bei dem FDP-Chef Christian Lindner die „Deutschland- und Bremen-Rede“ hielt. Stattdessen zeigte der Sender am Folgetag einen Beitrag über eine Eiswette in einer kleinen Umlandgemeinde: „Eiswette in Hagen: Hier sind Frauen von Anfang an dabei“. Gut gekontert.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »

Buchtipp: Das Prinzip Trotzdem

Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
mehr »

„PR-Puppen“ proben den Aufstand 

Kreative, die der Tech-Konzern OpenAI (ChatGPT, DALL-E) zu einem geschlossenen Produkttest eingeladen hatte, leakten den Testzugang kürzlich und griffen OpenAI in einem Protestschreiben öffentlich an. Sie warfen dem Unternehmen u.a. vor, sie für Marketing und PR zu missbrauchen und Art Washing zu betreiben.Eine teilnehmende Person schildert M , wie es zu dem Leak kam und was Techkonzerne künftig bei der Zusammenarbeit mit Kreativen besser machen können.
mehr »

Studienergebnisse: Worlds of Journalism

Was bedeutet es heute, Journalist*in zu sein? Welche Dynamiken und Entwicklungen lassen sich im Berufsfeld wahrnehmen? Was brauchen wir, um gute und professionelle Arbeit machen zu können? Zu diesen Fragen führt das Langzeitforschungsprojekt „Worlds of Journalism“ seit 2007 weltweit Befragungen durch. Von 2021 bis 2023 ging die Studie in die dritte Runde. Unterstützt von UNESCO und der International Federation of Journalists, fokussiert die aktuelle Umfrage auf den Themenkomplex Risiken und Ungewissheiten. Ein Blick in die Schweiz.
mehr »