Falsche Lösung für klar erkanntes Problem

Bild: Pixabay

Das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde heute in erster Lesung im Bundestag behandelt. Bei Netzgemeinde und Medienverbänden ist es schon jetzt durchgefallen. Viel Kritik wurde auch auf der diesjährigen re:publica geäußert. Nur MdB Ulrich Kelber (SPD), parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium, verteidigte den Gesetzentwurf – schloss eine „Nachbesserung der Mechanismen“ aber nicht aus.

Das NetzDG, in voller Länge das „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“, soll soziale Netzwerke wie Facebook, aber auch andere kommerzielle Plattformen, die mindestens 2 Millionen registrierte Nutzer_innen im deutschen Inland zählen, stärker in die Pflicht nehmen, was deren Umgang mit strafrechtsrelevanten Inhalten betrifft. Werden „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte nicht innerhalb von 24 Stunden nach Meldung an das Netzwerk gelöscht, drohen den Plattformbetreibern Bußgelder in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro. Andere rechtswidrige Inhalte müssen hingegen innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden. Darüber hinaus sollen die Netzwerke Ansprechpartner für Behörden in Deutschland benennen und sind entsprechend einer Änderung des § 14 Abs. 2 im Telemediengesetz (TMG) dazu verpflichtet, Behörden auf Anordnung, aber ohne richterlichen Beschluss, Auskunft über Nutzerdaten zu erteilen.

Am 5. April 2017 hatte das Bundeskabinett trotz massiver Kritik den dritten Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas mit nur unwesentlichen Änderungen beschlossen. Gleichzeitig hatte Maas das Gesetz der EU-Kommission zur Notifizierung vorgelegt, ein Verfahren, das bei Gesetzen mit technischen Vorschriften sicherstellen soll, dass der freie Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft in der EU nicht behindert wird. Noch bis Ende Juni hat die EU-Kommission Zeit, sich zu Maas’ Gesetzentwurf zu äußern. Ein vom IT-Branchenverband Bitkom in Auftrag gegebenes Gutachten äußerte nun aber bereits Zweifel an der Vereinbarkeit des NetzDGs mit Europarecht. Laut Gutachter Gerald Spindler von der Universität Göttingen widerspreche der aktuelle Gesetzentwurf sowohl der E-Commerce-Richtlinie als auch der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung. Letzterer, eben weil das Gesetz die Herausgabe von Daten ohne richterlichen Beschluss ermöglicht. Die im Vergleich zum Kabinettsbeschluss relativ zeitnahe Terminierung der ersten Lesung des Gesetzentwurfs auf den heutigen Freitag lässt vermuten, dass der Justizminister das Gesetz wohl noch in dieser Legislaturperiode verabschieden lassen will. Einen Strich durch die Rechnung könnte ihm nur noch die EU-Kommission machen.

Die anhaltende Kritik am Gesetzentwurf entzündet sich vor allem an zwei Aspekten. Zum einen an der Gefahr des sogenannten „Overblocking“, also der vorauseilenden und übermäßigen Löschung von Inhalten, um dem potenziellen Bußgeld bei nichterfolgter Löschung von strafbaren Inhalten zu entgehen. Gegner_innen des Gesetzes fürchten einen massiven Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit, der in keinem Verhältnis zur angestrebten Bekämpfung illegaler Inhalte stünde. Facebook würde somit zudem dazu ermächtigt, eigenständig über die Rechtswidrigkeit von Inhalten zu entscheiden, eine Aufgabe, die eigentlich dem Staat obliegt. Dies käme einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gleich. So mahnte etwa dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß in diesem Zusammenhang, dass im Zweifelsfall die Meinungsfreiheit vor der Löschung von Inhalten stehen müsse, auch wenn die dju Fake News und Hate Speech in sozialen Netzwerken ohne Frage aufs Schärfste verurteile.

Zum anderen entzündete sie sich an dem laut Gutachter Spindler zugleich europarechtswidrigen Auskunftsanspruch ohne richterlichen Vorbehalt. Auch Reporter ohne Grenzen (ROG) lehnt in einer Stellungnahme vom 19. April 2017 besagte Änderung des § 14 Abs. 2 TMG ab, „mit der Ermittlungsbehörden ohne richterliche Kontrolle die Identität von Internetnutzern erfragen können“.

Markus Beckedahl
Foto: Martha Richards

Auf der re:publica, die vom 8. bis 10. Mai 2017 am Berliner Gleisdreieck stattfand, wurde zudem mehrfach gegenüber Justizminister Maas der Vorwurf laut, er habe das Gesetz „ohne eine offene Debatte mit der Zivilgesellschaft durchgeprügelt“ – so die Worte von Markus Beckedahl in seinem Netzpolitischen Jahresrückblick. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club ergänzte auf einem anderen Panel, dass der Minister noch nicht einmal die Frist für die Einreichung von Expertenstellungnahmen abgewartet habe, um der EU-Kommission seinen veränderten Referentenentwurf zur Notifizierung vorzulegen. Sie zeigt sich brüskiert über den gesamten bisherigen Gesetzgebungsprozess, ein Vorgehen, dass ihr bisher noch nicht untergekommen sei.

Constanze Kurz. Links daneben: MdB Saskia Esken (SPD)
Foto: Martha Richards

Zur Ehrenrettung des NetzDG war auf der re:publica der parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium Ulrich Kelber angetreten. Auf einem Podium mit der grünen Europapolitikerin Rebecca Harms verteidigte er den Gesetzentwurf als Reaktion auf Facebooks mangelnde Bereitschaft, sich an die in der Task Force gemachten Zusagen zu halten. Im Rahmen dieser ebenfalls von Maas initiierten Initiative, eine Art runder Tisch zwischen Unternehmen und Politik, hatte der kalifornische Konzern zugesagt, dass deutsche Mitarbeiter_innen die Inhalte auf der Plattform auf deutsches Recht prüfen würden und nicht auf die Facebook-Gemeinschaftsregeln. Da allerdings auch das zweite von Regierungsseite beauftragte Monitoring ergeben habe, dass bei Facebook nur 39 Prozent der strafbaren Inhalte gelöscht worden seien, habe man ja sozusagen den Gesetzesweg gehen müssen, rechtfertigte Kelber das Vorgehen seines Chefs.

V.l.n.r.: Matthias Spielkamp (Mitgründer und Redaktionsleiter von iRights.info), Rebecca Harms, Ulrich Kelber
Foto: Martha Richards

Auf den Vorwurf, das neue Gesetz würde Facebook zur Zensur bemächtigen, reagierte er mit einem Hinweis auf den kommerziellen Nutzen auch strafbarer Inhalte für die sozialen Netzwerke. Da also jedes (voreilige) Löschen negative Auswirkungen auf Facebooks Einnahmen habe, sei die Gefahr des Overblocking gebannt. Zudem lasse die Formulierung „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte für ihn wenig Spielraum zu, wie er auf Nachfrage erläutert. Komplizierte rechtliche Sachverhalte würden ohnehin nicht unter die neuen gesetzlichen Regelungen fallen. Und für den Fall, dass es doch Probleme geben sollte, sei ein Nachjustieren an den Mechanismen nicht ausgeschlossen. Zudem verpflichte das Gesetz Facebook und Co. auch zu Transparenzberichten über seine Löschpraktiken.

Ein Passus im neuen Gesetz, den auch ROG in besagter Stellungnahme positiv hervorhebt. Ebenso wie die geplante Einrichtung einer Kontaktstelle für Strafermittlungsbehörden, um „Verfahren wirksamer durchführen zu können“. Doch ob das reicht, ist fraglich. Kelber ist es jedenfalls scheinbar nicht gelungen, die Zweifel auszuräumen. Einen Tag nach seinem Auftritt auf der re:publica bezeichnete Dr. Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte, gegenüber dem Portal Legal Tribune Online (LTO) das Sperren und Löschen von fragwürdigen Inhalten noch immer als „allenfalls die zweitbeste Lösung“. Aus seiner Sicht sei der gangbarste Weg, Menschen, die in sozialen Netzwerken strafbare Inhalte verbreiten, so schnell wie möglich zu verurteilen. Eine Kontaktstelle zur besseren Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaften sei hier ein wichtiger erster Schritt.

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