Gleichberechtigung für Daten im Netz

Barbara van Schewick, leitet an der juristischen Fakultät der Stanford University in Kalifornien das Center for Internet and Society. Sie berät die US-Regierung zu Fragen der Netzneutralität und war als Sachverständige für die US-Regulierungsbehörde FCC tätig. Foto: Uwe Sievers

Alle Daten sind gleich, lautet der Grundsatz im Internet. Mit Premium- und Firstclass-Angeboten möchten Netzanbieter zusätzliches Geld verdienen. Weil Blockaden und Diskriminierung verboten sind, sollen spezielle Dienste bevorzugt werden. Schon sind andere Datentransfers benachteiligt. Noch gibt es Möglichkeiten, das zu verhindern. Die Zeit drängt: Bis zum 18. Juli haben Bürger, Aktivisten und Lobbyisten Gelegenheit, Einwände gegen die Regelung der EU zur Netzneutralität geltend zu machen. Während die Lobbyisten ihre Möglichkeit nutzen, ist das sonstige Interesse eher gering.

Netzneutralität ist ein trockenes Thema, von dem die meisten Menschen denken, es gehe sie nichts an. Dabei steht viel auf dem Spiel: Die Auswirkungen der bevorstehenden Entscheidung betreffen so ziemlich jeden, denn ob Telefon oder Fernsehen – fast alles läuft inzwischen über das Internet.
Im Oktober letzten Jahres hatte das EU-Parlament in einem Entschluss die Netzneutralität festgeschrieben. Damit sollen alle Daten, ob von Einzelpersonen oder Konzernen, gleichbehandelt werden. „Diese Verordnung verbietet die Blockierung einzelner Dienste sowie bezahlte Überholspuren und die Netzbetreiber dürfen auch keine eigenen Anwendungen bevorzugen“, erläutert Barbara van Schewick, führende Expertin im Bereich Netzneutralität, während eines Vortrags auf der re:publica in Berlin. Doch die Entscheidung des Parlaments war ein Kompromiss, „sie enthält viele Ausnahmen und Hintertüren“, erklärt sie. Deshalb soll das Gremium der europäischen Netzregulierer, BEREC, bis Ende August Einzelheiten in Leitlinien zur Umsetzung regeln. Für Deutschland übernimmt diese Aufgabe die Bundesnetzagentur, Regierungspolitiker halten sich auffällig zurück.

Schewick berät die US-Regierung zu Fragen der Netzneutralität und war als Sachverständige für die US-Regulierungsbehörde FCC tätig. Wenn sie unter US-Politikern verkehrt, höre sie des Öfteren: „Wenn Sie etwas Böses planen, verstecken Sie es am besten in etwas Langweiligem“. Genau das drohe nun Europa, wenn die Regeln für Netzneutralität ausgehöhlt werden, befürchtet die deutschstämmige US-Wissenschaftlerin. Daran interessiert sind insbesondere Staaten mit international agierenden Netzkonzernen, wie die Deutsche Telekom, die spanische Telefonica oder die britische Vodafone. Diese versuchen, zuzahlungspflichtige Überholspuren als Spezialdienst zu tarnen, denn für Internet-Dienste, die besondere Übertragungsanforderungen stellen, gelten Ausnahmeregeln. Gedacht ist das für Bereiche, wie den autonomen Straßenverkehr, wo Daten ohne Verzögerung übertragen werden müssen. Hier bietet sich ein Tor für Missbrauch, betont Schewick: „Die Gefahr ist jetzt, dass Netzbetreiber das Label Spezialdienst auf ihre Angebote kleben und so die Netzneutralitätsvorgaben aushebeln“. Das hätten die großen Netzbetreiber bereits in den USA versucht, berichtet sie, „doch anders als in den USA existiert in Europa keine Debatte um Spezialdienste.“ In den USA hatte es millionenfach Beschwerden an die Regulierungsbehörde FCC gehagelt, was letztlich zum Erfolg geführt habe, erläutert Schewick, die an der juristischen Fakultät der Stanford University in Kalifornien eine Professur hat und dort das Center for Internet and Society leitet.

Ein Zwei-Klassen-Internet bedrohe insbesondere kleine und alternative Angebote im Netz und damit viele Startups, kleine Medienanbieter und Verlage. Das betrifft auch Internet-Aktionen von Gewerkschaften oder Non-Profit-Organisationen. Schewick führt aus, dass erfolgreiche Innovationen oft mit geringem Budget beginnen und Netzneutralität deren Chancen gegenüber Marktführern erhöht: „Mark Zuckerberg hat 52 US-Dollar für einen Server bezahlt, als er anfing Facebook aufzubauen. Hätte das damals führende soziale Netzwerk Myspace eine Überholspur gemietet, wäre Facebook chancenlos geblieben.“ Wer nicht für eine Überholspur bezahlen kann, wird ausgeschlossen, denn langsame Angebote wirken unattraktiv. Ohne Netzneutralität droht also eine stärke Monopolisierung im Netz.

Weitere Lücken der EU-Verordnung können die Gleichberechtigung im Netz unterwandern, wie das sogenannte Zero-Rating. Das sind Zusatzdienste, die in Mobilfunkverträgen vom monatlichen Transfervolumen ausgenommen werden, etwa eigene Video-Angebote oder Audio-Streaming vom Mobilfunkanbieter. Sie erscheinen für Nutzer_innen zunächst lukrativ, doch den Mobilfunkanbietern geben sie einen Vorwand, das monatliche Datenvolumen zu senken. „Anwendungen mit Zero-Rating werden gegenüber Konkurrenten attraktiver, deshalb wirken sie wettbewerbsverzerrend“, kritisiert Schewick. In den Niederlanden wurde Zero-Rating gerade verboten. Das Land zählt in Europa zu den Vorreitern, wenn es um Netzneutralität geht. Allerdings werden nationale Regeln gekippt, wenn die BEREC-Entscheidungen umgesetzt werden müssen.

Am Ende verlieren alle Internet-Nutzer_innen, wenn die Gleichbehandlung der Daten aufgegeben wird: „Je schlechter die Qualität der normalen Internet-Verbindungen ist, desto größer wird das Interesse an Überholspuren“, erklärt Schewick. Deshalb hätten Netzbetreiber ein Interesse an schlechter Leitungsqualität. „Studien zeigen jedoch: Verzögerungen von wenigen Millisekunden beeinflussen das Kundenverhalten“, so die Expertin. Kunden bevorzugen dann den schnelleren Online-Shop oder Dienst. „Sobald es eine Überholspur gibt, haben die Anbieter im normalen Netz keine Chance mehr“, prophezeit sie. Deshalb warnt Schewick: „Es geht um die Grundfrage: Wer bestimmt wie wir das Internet nutzen?“ Um der Öffentlichkeit die Mitsprache daran zu erleichtern, wurde die Webseite http://savetheinternet.eu/ eingerichtet.

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