Arbeit „von überall“ braucht klare Regeln

Märkische Allgemeine: Im Lokalen sind die Reporter besonders viel auf Achse
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Bei der Märkischen Allgemeinen, die ihren Sitz in Potsdam hat, sollen Reporter künftig von unterwegs arbeiten. „Neue digitale Arbeitsweise“ heißt das, was der Madsack-Konzern offenbar in seinen Tageszeitungsredaktionen bundesweit einführen möchte. Nach Erprobungen in der Hannoverschen Zentrale ist das Projekt zur Durchsetzung von „online first“ jetzt in Potsdam angekommen. Der Betriebsrat sieht erhöhten Regelungsbedarf.

Kolleginnen und Kollegen, die Termine außerhalb absolvieren und Geschichten recherchieren, sollen mit Hilfe des speziellen Reporter-Tools Eidos Swing, einer  verschlankten Variante des Redaktionssystems, künftig mobiler arbeiten. Die neue Technik soll es den Rechercheuren aus Haupt- und Lokalredaktionen erleichtern, Artikel, Videos oder Fotos für die unterschiedlichen Publikationskanäle unterwegs zu erarbeiten und „auch selbst zu veröffentlichen“.

Dass solche Innovationen notwendig sind, sehen sowohl der Betriebsrat als auch die Redakteur_innen, die Mitte April erstmals über die zu erwartenden Anforderungen informiert wurden. Ihnen geht es vorrangig um das Wie der Umsetzung. Noch seien zu viele Fragen offen: „Heißt das, dass unsere Kolleginnen künftig sofort nach dem Termin ihr Material zuliefern sollen – nötigenfalls von der Parkbank, aus dem Auto heraus oder einem Café? Heißt das, dass sie gar nicht mehr in die Redaktion kommen sollen oder dürfen? Müssen sie künftig ausschließlich mit Laptops arbeiten? Gilt das auch für die Freien? Und welche Konsequenzen hat das überhaupt für die Arbeitszeit?“ Solche und andere Fragen treiben Betriebsratsvorsitzende Karin Wagner um. Die Interessenvertretung hat bereits bei der Geschäftsleitung nachgefragt und keine befriedigenden Antworten erhalten. „Doch für mobiles Arbeiten gibt es rechtlichen Regelungsbedarf“, ist Wagner überzeugt. So verweist der Betriebsrat darauf, dass Veränderungen bei Einsatz und Nutzung von IT mitbestimmungspflichtig sind, bei der Arbeitsplatzgestaltung hat die Interessenvertretung laut Betriebsverfassungsgesetz sehr wohl mitzureden, auch den Gesundheitsschutz sehen die Betriebsräte berührt. „Wir haben jahrelang darum gekämpft, ergonomische Arbeitsplätze einzurichten, über Tischhöhen und Stühle debattiert. Und nun werden 60 Beschäftigte auf einen Schlag davon ausgeschlossen? Ein Laptop ist kein Dauerarbeitsplatz“, zeigt sich Karin Wagner überzeugt. Auch Fragen des Versicherungsschutzes stellten sich neu.

„Ich arbeite sogar sehr gern mit solcher neuen digitalen Technik. Doch muss der Einsatz für uns alle auf feste rechtliche Grundlagen gestellt werden. Und wenn zum Beispiel künftig Arbeitszeiten von 6 bis 23 Uhr abgedeckt werden sollen, dann braucht es dafür natürlich auch ausreichend Personal“, so Reporterin und Betriebsratsmitglied Andrea Müller. Besonders dringend wollen die Interessenvertreter im Zusammenhang mit der mobilen Beschäftigung deshalb Arbeitszeitfragen regeln. Schon seit längerem laufen bei der MAZ Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Die Interessenvertretung dringt auf eine verpflichtende und verbindliche Dokumentation von Arbeitszeiten. Das sei nun umso nötiger. Arbeitszeitregelungen müssten aus Sicht der Betriebsratsvorsitzenden auch die mobilen Anforderungen aufgreifen und entsprechend angepasst werden – „und zwar“, so Wagner, „bevor die neue Arbeitsweise eingeführt wird“. Die Geschäftsführung blockt ab. Dass eine Vereinbarung bereits vor Einführung des Reporter-Tools abgeschlossen sein müsse, sei nicht ersichtlich, heißt es. Ähnlich die Haltung zu den vom Betriebsrat geforderten Stellenbeschreibungen, die erst klarmachen würden, was die Reporter_innen künftig sollen und dürfen. Laut Geschäftsführung seien die Anforderungen den Ausschreibungen für Reporterstellen zu entnehmen; Arbeitsplatzbeschreibungen seien überdies nur Momentaufnahmen, die ständigen Veränderungen unterliegen.

Klar scheint, dass es bei der Einführung des neuen Redaktions-Interface nicht um eine rein technische Frage geht. Auch wird nicht nur die Arbeitsweise Einzelner berührt, sondern in redaktionelle Abläufe grundsätzlich eingegriffen. So soll keinerlei Kontrolle oder Korrektur durch den redaktionellen Desktop mehr stattfinden, bevor die Reporter_innen ihre Inhalte online stellen. Vielmehr würden vom Desktop in der Redaktion nachträglich einzelne Beiträge für die Printausgabe oder weitere Verbreitungswege abgegriffen. Das erhöht die Verantwortung für die mobil Tätigen, verändert Strukturen und berührt auch den Datenschutz. Doch davon aus der Chefetage kein Wort. Man versteift sich darauf, dass nur das Redaktionssystem „in gewisser Weise ein neues Gesicht“ bekomme.

Mobiles Arbeiten

Mobile Endgeräte ermöglichen mittlerweile, viele Jobs von unterwegs zu erledigen. Im Unterschied etwa zu Telearbeit (Homeoffice), die in der kürzlich erneuerten Arbeitsstättenverordnung direkt erfasst ist, sollte mobiles Arbeiten per Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung exakt beschrieben werden. Auch für mobile Tätigkeiten gelten die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeit, speziell Höchstarbeitszeitgrenzen. Kontrolle muss vereinbart werden, am besten durch schriftliche Dokumentation. Auch andere Regelungen, etwa tarifliche oder solche per Betriebsvereinbarung (BV), greifen für das Arbeiten „von überall“. Im Grundsatz gelten auch die Bestimmungen des Arbeitsschutzes, Gefährdungsbeurteilungen sind jedoch nicht vorgeschrieben, sondern könnten nur per BV geregelt werden. Betriebsräte haben umfassende Mitbestimmungsrechte. Die Interessenvertretung muss bereits der Einführung mobiler Geräte zustimmen, sofern sie auch nur potenziell zur Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden können. Mitbestimmung gilt auch bezüglich der Arbeitszeiten mobil Tätiger.

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