Am Rückenschild, seit 1997 in Rot, sind sie auf den ersten Blick erkennbar, die bereits 457 Titel der Anderen Bibliothek im 12×22-Zentimeter-Format. Und sie macht munter weiter, die langlebige, vermeintlich schönste Buchreihe der Welt. Quasi als Haustürgeschäft soll die Unternehmung gestartet sein. Buchkünstler und Verleger Franz Greno, der zuvor in Nördlingen ausgemusterte Bleisatzeinrichtungen zum Schrottwert erworben hatte, wurde beim Literaten Hans Magnus Enzenberger vorstellig – mit dem Vorschlag, künftig gemeinsam monatlich ein hervorragend gestaltetes Buch herauszubringen.
Nach wenigen Wochen war man sich einig, auch über Namen und Logo. Alles entstand aus einer Unzufriedenheit mit dem vorherrschenden (Taschen)Buchmarkt. Um die Branche aufzumischen, hielt das Duo „Die Andere Bibliothek“, ein Mix aus Industrie und Manufaktur dagegen: Sorgfältig ausgewählte und lektorierte Bücher nach den traditionellen Regeln der Schwarzen Kunst in Blei gesetzt, auf säure- und holzfreies Papier gedruckt, mit Fadenheftung, Kapitalband, Lesebändchen und Titelschild versehen. Die Edition mit dem Kometen startete im Januar 1985, wurde rasch zum Erfolg, band Abonnenten und heimste Preise ein. Greno konnte auf Messingmatritzen von 2000 Schriften zurückgreifen. Für nummerierte Vorzugsausgaben war Büttenpapier mit eingeschöpften Lavendelblüten oder indisches Ziegenleder gerade gut genug. Man wählte farbnuancierte Überzugspapiere, nutzte Banderolen, Schlaufen, Schuber. Auch inhaltlich schier unbegrenzt, unterschied Herausgeber Enzensberger weder in literarische oder Sachbücher noch zwischen Klassikern und Neuerscheinungen: „Wir drucken nur Bücher, die wir selber lesen möchten.“
Der pure Luxus ließ sich ganze fünf Jahre durchhalten. Nach wirtschaftlichen Turbulenzen kam die Andere Bibliothek ab Oktober 1989 für mehr als zwölf Jahre beim Eichborn Verlag unter, gedruckt wurde zunächst weiter in Nördlingen. Erst mit Band 145 entschied Greno zu Jahresbeginn 1997, auf Computersatz umzustellen. Und als der jetzt kürzlich verstorbene Enzensberger Ende 2004 überraschend ausstieg, übernahmen andere Herausgeber. Der aktuelle und dienstälteste heißt Christian Döring. Er half mit, dass die Eigner des Aufbau Verlages die besondere Buchreihe 2011 aus der Eichborn-Konkursmasse herauskauften. Zunächst noch eigene Gesellschaft, wurde die Andere Bibliothek kürzlich zu einem Imprint, einem Einzelverlag der Gruppe Aufbau Verlage am Berliner Moritzplatz.
Auch Döring bekennt sich zur „Programmlosigkeit“. Die Buchreihe solle „Wundertüte sein in jeder Hinsicht: buchhandwerklich möglichst einzigartig und immer aufs Neue originell.“ Das mache sie nicht nur im deutschsprachigen Raum zur Marke. Das zeitweise etwas eingeengte Spektrum habe er „wieder Richtung Ursprung geweitet“. Die äußeren Markenzeichen wahre die Herstellung – seit 2017 in Person von Katja Jaeger, nun auch von Stefanie Kruszyk. Mit einem seit zehn Jahren moderat wachsenden „kleinen, qualitätsvollen“ Netzwerk oft namhafter Gestalter*innen würden die Bücher vom Inhalt her entworfen. Jeder Band erhalte ein Budget als Rahmen für buchgestalterische Phantasie: „wird sie zu teuer, muss eingeschränkt werden“.
Besonders erfolgreiche Originalausgaben, das hat Döring eingeführt, werden als Extradrucke wieder aufgelegt, bisher ca. 50 Bände. Und e-Books gibt es inzwischen auch. Noch immer auch etwa 1400 vorwiegend männliche Abonnenten (Sammeln sei wohl eher „maskuline Eigenart“), mit leider abnehmender Tendenz, so Döring. Er selbst hört im kommenden Sommer als Herausgeber auf. Über die Nachfolge hat die Eigentümerfamilie schon entschieden. Da es an programmatischen Äußerungen der neuen Herausgeber – erstmals auch eine Frau – noch mangelt, rät der jetzige, einfach „abzuwarten, welche Bücher entstehen werden“.