„Rettet das Colosseum“ war die Losung, hinter der sich seit Schließung des traditionsreichen Lichtspielhauses an der hauptstädtischen Schönhauser Allee nicht nur frühere Beschäftigte, sondern auch eine breite Kiezöffentlichkeit versammeln. Um den zwangsweise verwaisten Kino- und Kulturstandort zu erhalten, mit neuem Konzept zu betreiben und ihn vor der Umwandlung in einen weiteren Bürokomplex zu schützen, hat sich jetzt die Genossenschaft „Colosseum – UnserKINO eG“ gegründet.
Seit eineinhalb Jahren sind die Türen des „Colosseum“ im Prenzlauer Berg geschlossen, Fenster verklebt, die Fassade mit Graffiti bemalt. Das soll sich schnellstmöglich wieder ändern, verkündeten am 21. September 2021 Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder der zwei Tage zuvor gegründeten Kulturgenossenschaft bei einer Pressekonferenz vor dem Seiteneingang des Lichtspielhausees. Die Genossenschaft will das Kino mit neuem Konzept selbst betreiben und als Gesprächspartner sowohl gegenüber den Eigentümern als auch gegenüber möglichen Erwerbern und einer neugewählten Landespolitik fungieren. Dabei machte man keinen Hehl daraus, dass man weiter versuche, „die Stadt Berlin dazu zu bewegen, das Gebäude zu erwerben“, so Linda Vierecke vom ehrenamtlichen Genossenschaftsvorstand für die Gründungsmitglieder der „Kinorebellen“.
Mix zwischen Arthouse und Mainstream
Ihr Vorstandskollege Michel Rieck, der selbst vier Jahre am Haus gearbeitet hat, erinnerte an Highlights in dessen Geschichte: zu DDR-Zeiten fungierte es als Premieren-Kino, später war es Berlinale-Standort. An solche Traditionen wolle man anknüpfen, sei bereits mit verschiedenen Festival-Veranstaltern und Verleihern im Gespräch, plane Foyer-Gespräche und Themenwochen, wolle aber auch die Gamingszene an Bord holen: „Das Haus soll wieder öffentlich werden!“ Das Konzept gehe davon aus, dass künftig sieben oder acht Säle für den Kinobetrieb bereitgestellt werden, der einen hohen Anteil von originalsprachigen Streifen und einen „guten Mix zwischen Arthouse und Mainstream“ bieten soll. Daneben will man weitere Säle für Theater, Kabarett und Lesungen zur Verfügung stellen. „Wir wollen ein Ort sein, wo Jung und Alt gleichermaßen gern Zeit verbringen“, so Rieck. Auch prominente Schauspieler wie Milan Peschel, Institutionen wie das Kinomuseum Berlin und andere Partner unterstützten das Projekt.
Eigentümer wollen verkaufen
Damit, dass das Kino nach der zunächst Corona-bedingten Schließung am 14. März 2020 nicht wieder geöffnet werden sollte, hatten sich die ehemals 43 Beschäftigten des Hauses Schönhauser Allee 123/ Ecke Gleimstraße nie abgefunden. Seit Juli vorigen Jahres organisierten sie Protest, während die Besitzer, die Erben des Film-Moguls Artur Brauner, Insolvenz anmeldeten. Nicht nur mit mehreren großen Demonstrationszügen durch den Prenzlauer Berg, auch mit Kiezspaziergängen, Siebdruck-Aktionen und einer Ausstellung an der Umzäunung der nahegelegenen Gethsemane-Kirche hielt die „Colosseum“-Belegschaft das Bewusstsein für das Traditionskino wach. Sie suchten und fanden Verbündete im Kiez wie bei politischen Entscheidungsträgern im Bezirk und auf Landesebene. Die Bewegung mündete im Mai 2021 in die Gründung eines Vereins „Rettet das Colosseum“. Parallel gingen die meisten ehemaligen Angestellten gegen ihre Kündigung vor, der Betriebsrat streitet um Interessenausgleich und Sozialplan. In den juristischen Auseinandersetzungen wurde von Arbeitnehmerseite, unterstützt durch ver.di, auch die Frage nach einem Betriebsübergang aufgeworfen – umso mehr, da der Insolvenzverwalter Immobilie und Inventar bereits im September 2020 an die Artur & Theresa & Sammy Brauner GbR zurückgegeben hatte. Die Brauners allerdings wollen am Standort kein Kino mehr betreiben, signalisierten stattdessen wiederholt Verkaufsinteresse, womöglich auch an eine private Hamburger Investorengesellschaft, die einen weiteren Bürostandort plant. Damit steht eine fast 100jährige Tradition des Lichtspielhauses auf dem Spiel, zuletzt mit zehn modernen Kinosälen, darunter dem denkmalgeschützten Saal 1 mit 525 Plätzen, und dem ebenfalls unter Denkmalschutz stehenden Foyer.
Basisdemokratisch und gemeinwohlorientiert
Warum die Rechtsform einer Genossenschaft für den Fortbetrieb des „Colosseum“ gewählt worden ist, begründete Angelika Noss vom Gründungsvorstand: Das Kino diene nicht nur den Interessen der eigenen Mitglieder, sondern strahle in die Gemeinschaft aus und sei gemeinwohlorientiert. Dazu passe die basisdemokratische Gründung, die sehr offen auch geeignet sei, „einer möglichst großen Zahl von Mitgliedern ein großes Mitsprachrecht zu sichern“.
Ziel der Initiatoren sei es, 5000 Genossenschafter*innen zu gewinnen, die mindestens einen Mitgliedsanteil von 150 Euro erwerben. Das und eventuelle Förderung aus dem Fonds „Neustart Kultur“ werde den Betrieb über die kritische Anfangsphase bringen und am Laufen halten, zeigte sich Aufsichtsratsvorsitzender Klaus Mindrup, MdB, überzeugt: „Die Kraft von Genossenschaften wird oft unterschätzt.“ Er verwies auf gut funktionierende genossenschaftliche Modellprojekte im näheren bezirklichen Umfeld. Harald Steinhausen vom Tourismusverein Berlin-Pankow setzte auf eine Ausstrahlung auch ins Umland.
Für die früheren Kinobeschäftigen gehen die juristischen Auseinandersetzungen ungeachtet dessen weiter. Nachdem fast 20 Kündigungsschutzklagen in erster Instanz gewonnen wurden, erfolgten erneute Kündigungen, gegen die wiederum vorgegangen wird. Auch die Frage eines möglichen Betriebsübergangs beschäftigt Gerichte, der Streit um Interessenausgleich und Sozialplan wird frühestens zum Jahresende fortgesetzt, so Michel Rieck am Rande der Pressekonferenz am 21. September auf Nachfrage.
Über das Konzept und eine mögliche Mitgliedschaft informiert die Webseite der Kulturgenossenschaft „Colosseum – Unser KINO eG“.
Siehe auch hier:
https://publik.verdi.de/ausgabe-202008/kcolossaler-verteidiger/