Leservertrauen aufs Spiel gesetzt

Gespräch mit Cornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di

M | Ihr erster Impuls nach Bekanntwerden der Google-Initiative Ende April war Ablehnung. Wie sehen Sie die Kooperation heute?

„Ich bin entsetzt darüber, für wie wenig Geld sich sehr namhafte Verlage aus Deutschland und aus ganz Europa auf ein solches Angebot einlassen“, sagt Cornelia Haß. Foto: Jan-Timo Schaube
„Ich bin entsetzt darüber, für wie wenig Geld sich sehr namhafte Verlage aus Deutschland und aus ganz Europa auf ein solches Angebot einlassen“, sagt Cornelia Haß.
Foto: Jan-Timo Schaube

CORNELIA HASS | Nach sorgfältiger Prüfung, diversen Gesprächen und Recherchen komme ich nicht zu einer positiveren Sichtweise auf die geplante Kooperation. Das kleinste Übel wäre, dass gar nichts passiert, außer dass innovative Projekte mit wenig Geld gefördert werden. Ich glaube aber nach wie vor nicht, dass dies die eigentliche Intention von Google ist. Ich denke, dass Google versucht, sich über sehr billige Methoden einen Platz im Meinungsmarkt und im Journalismus zu erkaufen. Ich bin entsetzt darüber, für wie wenig Geld sich sehr namhafte Verlage aus Deutschland und aus ganz Europa auf ein solches Angebot einlassen. Mir erschließt sich nach wie vor nicht, dass da nicht als Bedingung gestellt wurde, dass Google zum Beispiel eine Stiftung ins Leben ruft. Hier wäre es sehr viel einfacher, Aufsichtsgremien zu implementieren. Wenn ich daran denke, was es für eine Aufregung gibt um die Stiftung Partizipation und Vielfalt der nordrhein-westfälischen Landesregierung, dann kann ich nicht verstehen, dass so leichtfertig das Vertrauen aufs Spiel gesetzt wird, mit dem die Verlage ja ihr Geld verdienen. Qualitätsjournalismus, Aus- und Weiterbildung und Google in einem Atemzug zu nennen, verbietet sich aus meiner Sicht.

Viele Kollegen befürworten die Kooperation. Ein Argument lautet, dass Google Erfahrung hat mit der Monetarisierung und Auswertung von Daten aller Art. Von diesen Erfahrungen könne man profitieren. Wäre das nicht etwas, wo die Verlage tatsächlich lernen könnten?

Wird es nicht vielmehr so sein, dass Google Daten und Erkenntnisse über Daten gerade von den Verlagen rezipiert und weiterverarbeitet? Welches Interesse sollte Google daran haben, seine Erkenntnisse, die Ergebnis seiner Datensammelwut sind, mit den Verlagen zu teilen? Sicher, die Verlage haben ein veritables Interesse an der Verwertung und zielgenauen Anwendung von Leserdaten. Darüber mache ich mir keine Illusionen. Aber auch da würde ich sagen, das Pfund, mit dem die Verlage wuchern können, ist das Vertrauen ihrer Leser. Und das Vertrauen der Leser wird beschädigt durch eine Zusammenarbeit mit Google. Man sollte sich sehr genau überlegen, mit wem man bei der Auslesung von Daten zusammenarbeitet.

Auch Facebook ist auf die Verlage zugegangen. Wie sehen Sie das Projekt „Instant Articles“?

Auch hier wird es primär darum gehen, an Nutzerdaten zu kommen. In dem Fall profitieren die Verlage davon – und geben Inhalte aus der Hand, an ein Unternehmen, das prinzipiell eher fragwürdige Geschäftspraktiken auch hinsichtlich des Datenschutzes hat. Insofern muss man auch hier fragen: Haben das die Verlage nötig, indem sie das Vertrauen der Leser verspielen? An dieses Vertrauen wollen die Internetkonzerne ran. Darüber wollen sie Meinung beeinflussen. Davon bin ich ganz fest überzeugt.

Die Verlage erhoffen sich, durch die vielen User auf Facebook ihre Leserzahl deutlich zu erhöhen. Außerdem beteiligt Facebook die Verlage an den Werbeeinnahmen, sie erzielen quasi im doppelten Sinne einen Gewinn. Und können sich wieder zurückziehen, wenn es dann nicht so läuft.

Ich habe auch Stimmen gehört, die davon ausgehen, dass künftig alle Online-Auftritte von Publikationen über diese neue Zwischenebene bei Facebook laufen werden. Die Frage ist ja, ob man sich, wenn eine solche Bewegung einmal entstanden ist, tatsächlich wieder wird zurückziehen können. Es ist zu hoffen, dass wir es hier einfach mit dem Versuch zu tun haben, möglichst viele Leser an den Verlag als Marke zu binden. Ich kann noch nicht sehen, dass dies tatsächlich gelingen wird. Ich vermute, die Verlage setzen mit Begeisterung auf diesen neuen Trend, weil sich keiner nachsagen lassen will, wieder eine Bewegung verschlafen zu haben. So war es ja in den Anfängen des Internets, als man gehofft hatte, dieser Trend werde sich wieder von allein geben. Deshalb hatten die Verlage ihre Inhalte gratis rausgegeben und damit die Konsumenten daran gewöhnt, dass sie alles umsonst haben können. Da sind ganz viele Weichen falsch gestellt worden. Was jetzt passiert, scheint mir eine – nachvollziehbare – Reaktion darauf zu sein.

Beobachter sagen, Facebook betreibe eine Deinstitutionalisierung des Journalismus. Wie würden Sie das bewerten?

Ich würde das nicht von der Hand weisen wollen. Ich sehe zwei gigantische Monopolisten im Internetmarkt, die nach Macht und immer mehr Geld streben, aber auch versuchen, politisch ihre Interessen durchzudrücken. Da gehört die Umarmung der deutschen Verlage zur Geschäftspolitik, zur Strategie, diese Ziele zu erreichen. Ich will das nicht dämonisieren. Das ist marktkonformes Verhalten. Die Frage ist nur, tun sich die Verlage einen Gefallen, wenn sie sich dem unterwerfen? Ich würde das infrage stellen.

    Es fragte: Vera Linß

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie weiter mit der Finanzierung für Funk?

Die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) der ARD hält das Online-Jugendangebot Funk von ARD und ZDF für eine wichtige Plattform. Mit Blick auf Akzeptanz und Innovation der Rundfunkanstalten sei der Stellenwert von Funk hoch, erklärte die GVK auf Nachfrage. „Die Erreichung der jüngeren Bevölkerungsteile ist für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags wesentlich.“ Das bedeute aber, Funk über einen Teuerungsausgleich auch angemessen zu finanzieren und „eine bedarfsgerechte Mittelsteigerung“ vorzusehen.
mehr »

Ampelbilanz: Von wegen Fortschritt

"Mehr Fortschritt wagen" wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvereinbarung von 2021 – auch in der Medienpolitik. Nach der desaströsen medienpolitischen Bilanz der vorausgegangenen Großen Koalition, so die Hoffnung, konnte es nun eigentlich nur besser werden. Von wegen. Die meisten der ohnehin wenig ambitionierten Vorhaben der Ampel blieben im Parteiengezänk auf der Strecke. Für den gefährdeten Lokal- und Auslandsjournalismus bleibt weiterhin vieles im Unklaren.
mehr »

Österreichs Rechte greift den ORF an

Eines muss man Herbert Kickl lassen – einen Hang zu griffigen Formulierungen hat er: „Die Systemparteien und die Systemmedien gehören zusammen, das ist wie bei siamesischen Zwillingen,“ sagte der FPÖ-Spitzenkandidat auf einer Wahlkampfveranstaltung im September. „Die einen, die Politiker, lügen wie gedruckt, und die anderen drucken die Lügen. Das ist die Arbeitsteilung in diesem System“. Seinen Zuhörenden legte Kickl mit seinen Worten vor allem eins nahe: Die rechte FPÖ könne dieses dubiose System zu Fall bringen oder zumindest von schädlichen Einflüssen befreien.
mehr »

Die Entstehung des ÖRR in Deutschland

Im Jahr 1945 strahlten die deutschen Radiosender Programme der Militärregierungen aus. Zum Beispiel Norddeutschland. Dort hatte der nationalsozialistische Reichssender Hamburg am 3. Mai seine Tätigkeit eingestellt. Nur wenige Stunden später besetzten britische Soldaten das Funkhaus und schon am 4. Mai erklang eine neue Ansage: „This is Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government.”
mehr »