Sekundengenau wissen, was funktioniert

Die UFA-Serie zeigt Teenies in Entscheidungssituationen. Foto: UFA

Mit einer databasierten Storyline als Besonderheit hat die UFA Serial Drama das Pilotprojekt #LIMITS gestartet. Unter ihrem Label „Hashtag Daily“ auf Instagram und TikTok erzählen fünf einminütige Folgen mosaikhaft von vier Teenagern und ihren Problemen. Im Interview berichten die beiden Produzentinnen Anna Juliana Jaenner und Lisa Hochhausen, wie sie digitale Daten im Entwicklungsprozess nutzen, sprechen von den Besonderheiten der Plattformen und den Potentialen des datenbasierten Erzählens.

Im Pilotprojekt #LIMITS* werden die Geschichten in den fünf einminütigen Folgen ergänzt von weiteren Kurzvideos, sogenannten Reels, die jeweils unter einer Minute lang sind.

M: Wann haben Sie mit den databasierten Storylines angefangen?

Anna Juliana Jaenner: Die ersten Überlegungen hatten wir bereits 2019, als wir die ersten „Hashtag Daily“-Projekte drehten. Bei Instagram können wir genau sehen, bei welcher Szene jemand aussteigt, bis wohin das Video geschaut wird, und welche Hashtags gerade gut ankommen. In den letzten zwei Jahren gab es viele neue Tools. Bei #LIMITS haben wir nun bereits vor der Entwicklung überlegt, welche Hashtags trenden, und wie gewagt unsere Inhalte auf den Plattformen sein dürfen, damit wir nicht geblockt werden. Anhand der Daten haben wir uns den Content genau überlegt.

Die Produzentinnen Anna Juliana Jaenner (l.) und Lisa Hochhausen
Foto: UFA/ Stefan Behrens

Lisa Hochhausen: Wir gucken sehr genau darauf, was gerade im Trend liegt. Auch, wenn wir von einem Thema noch wenig Ahnung haben oder uns etwas noch nicht beschäftigt hat, machen wir uns Themen zu eigen. Wir sind thematisch sehr flexibel. In der Fernsehlandschaft haben viele Leute ein Steckenpferd und arbeiten immer wieder damit. Wir hingegen arbeiten mit allem, was das Internet hergibt.

Überholen sich Social Media-Trends und Hashtags denn nicht sehr schnell?

LH: Im Vergleich zum klassischen TV sind wir schneller – in der Entwicklung, beim Drehen und im Schnitt. Wir arbeiten zwar nicht tagesaktuell. Aber wir versuchen, uns mit dem gedrehten Material trotzdem zu wenden. Ich habe vor unserem Gespräch gerade noch ein TikTok mit unserem Cutter geschnitten und parallel gesehen, dass ein Effekt-Trend dort neu erschienen ist. Also arbeiten wir jetzt diesen Effekt noch ein. Wichtig sind uns allerdings Themen, die keine Eintagsfliegen sind. Ein Hashtag, der drei Stunden trendet, den haben die Leute morgen wieder vergessen. Das wollen wir nicht, sie sollen sich länger mit unseren Serien und den Themen beschäftigen.

Sie haben die Sperren auf den Plattformen angesprochen. Wie gehen Sie mit dieser Abhängigkeit von Meta oder TikTok um?

 AJJ: Wir beschäftigen uns schon sehr lange mit Social Media. Wir atmen das. Wir wissen, was „Hot Topics“ sind und was man einfach nicht machen darf. Viele dieser Regeln haben ja auch ihren Sinn – auch, wenn der sich auf den ersten Blick vielleicht nicht gleich erschließt. Aber jede dieser Plattformen hat einen Wertekodex, ob wir den gut oder schlecht finden. Und angepasst an diesen Wertekodex versuchen die Plattformen, ihre Follower zu schützen – insbesondere auf TikTok ist das wichtig, weil dort eine sehr junge Zielgruppe ist.

LH: Natürlich können Videos geblockt werden. Vor „Hashtag Daily“ habe ich Online-Auftritte von TV -Serien betreut, dort gibt es auch Szenen, die man zwar nachmittags oder abends im TV zeigen darf, aber eben nicht auf den Plattformen. Da reicht dann meist ein kleiner Umschnitt. Wenn man lange mit Social Media arbeitet, weiß man ganz genau, was „too much“ ist, eine Blutlache zum Beispiel. Wir bringen dann trotzdem das Thema rein, aber es wird anders gedreht oder inszeniert. In meiner ganzen Laufbahn wurden bisher erst zwei Videos geblockt.

Viele Reels von #LIMITS wurden rund 5.000 Mal geschaut, andere kommen auf rund 50.000 Views. Wie entstehen diese großen Unterschiede?

AJJ: Alle Plattformen haben einen Algorithmus. Der ist zwar auf jeder Plattform etwas unterschiedlich, aber je häufiger ein Video geguckt wird, umso häufiger wird es Leuten angezeigt. Und daran sehen wir dann, was besser funktioniert, was schlechter – welche Sounds, welche Erzählformen. Das genau ist dann „data driven“:  Wir schauen, welche Reels oder Videos am besten funktioniert haben und warum.

LH: Von außen sieht man nur die View-Zahlen. Wir sehen viel mehr. Wie viele Views kommen von Nicht-Followers, wie viele von Followers? Welche Reichweite haben wir? Wie oft wurde das Video ausgespielt? Wie lange haben sie beim Video verweilt? Wo sind sie ausgestiegen? Man sieht, dass unsere Folgen als Videos auf Instagram weniger Aufrufe haben als die Reels, denn Reels sind vom Algorithmus dafür konzipiert, Reichweite und Viralität aufzubauen. Wir sehen aber auch bei den Videos, dass die Reichweite stimmt. Und bei der nächsten Serie wissen wir dann nochmal mehr, worauf wir achten müssen. So wird jede Serie, jeder Content immer mehr auf die Daten hin entwickelt. Bislang werden noch kaum fiktionale Serien für Social Media produziert, so wie wir das machen. Wenn jedes Video gleich performen würde, fände ich es weniger interessant. Ich finde wichtig, dass wir diese Varianz haben, um zu lernen.

Bei zwei der sehr erfolgreichen Reels sollten die Zuschauer entscheiden, ob sie in dieser Situation A, B, oder C wählen würden.

AJJ: #LIMITS handelt ja von einer Gruppe Jugendlicher, die eine Gruppentherapie machen müssen. Es war nicht eine Entscheidung, die sie dahin gebracht hat, sondern es waren viele Entscheidungen. Wir zeigen, welche das waren und fragen, bei welcher Entscheidung du als Zuschauer*in vielleicht Nein gesagt hättest.

Und Sie als Produzentinnen werten die Daten dann aus?

AJJ: Diese Daten sind immer noch eine Statistik und natürlich gibt es eine Kausalität hinter der Statistik, die wir dann zunächst als Hypothesen formulieren. Nehmen wir die Entscheidungsfragen: Eine Entscheidungsfrage formulierten wir so, dass du als Zuschauer*in direkt angesprochen wirst. Und bei der anderen fragten wir: Was soll Sam tun? Wenn wir A und B gegeneinanderstellen, hat Video A besser funktioniert, und wir können annehmen, das liegt an der Ich-Perspektive. Dann gucken wir uns alle anderen Videos mit Ich-Perspektive an, um noch mehr herauszufinden.

LH: Ich finde es total spannend, wenn wir vor den Zahlen sitzen und die Diskussionen anfangen, woran das liegen könnte. Irgendwann findest du den Moment, in dem du sagst: Jetzt habe ich verstanden, was es ist. Jetzt müssen wir prüfen, ob es das wirklich stimmt. Ich frage mich, ob die TV-Branche das auch so detailliert und sekundengenau überprüft und hinterfragt.

Wer bereitet Ihre Daten auf? Entwickeln sich da neue Berufsfelder?

LH: Eine Agentur arbeitet mit uns vor und im Entwicklungsprozess. Und eine zweite wertet die Daten nachträglich aus, nachdem die Folgen online gehen. Gleichzeitig unterstützt uns das Research-Team der UFA. Das werden wir auch so beibehalten. Zusätzlich suchen wir gerade auch eine Person mit Datenexpertise für unser Team, die sich Fulltime mit beiden Themen beschäftigt und sich komplett in dieses Feld einarbeitet.

*Die fünfte und letzte Folge von #LIMITS wurde am 24. April auf den „Hashtag Daily“ Kanälen @hashtagdaily_tv (Instagram) und hashtagdaily (TikTok) veröffentlicht. Alle Folgen und Videos sind dort weiterhin abrufbar.

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