Alle wollen ins TV, und das wird eng. Neben den großen Online-Portalen wie Netflix oder Amazon, die mit ihren aufwändig produzierten jederzeit verfügbaren Serien das Publikum an eine neue Qualität des Bewegtbild-Konsums gewöhnten, steigen inzwischen auch die Telekommunikationskonzerne in das Geschäft ein. Mit ihrer Marktmacht könnten sie die gesamte Branche umkrempeln und kontrollieren, welche Inhalte das Publikum überhaupt zu sehen bekommt.
Es war sicher eine der spannendsten Nachrichten des letzten Jahres für die deutsche Medienbranche. Niek Jan Van Damme, damals noch Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom, kündigte auf dem Medienforum NRW an, nicht nur wie bisher Sportinhalte zu produzieren und auf den eigenen Plattformen ausstrahlen zu lassen, sondern zukünftig ebenfalls in fiktionale Filme und Serien zu investieren.
Der Schritt lag für die Bonner auf der Hand: Denn die Konsumenten verlangen mehr denn je nach attraktiven Inhalten wie Sport oder Serien – und sie bezahlen auch bereitwillig dafür. Insgesamt will der Konzern einen dreistelligen Millionen Eurobetrag für die Produktion eigener Bewegtbild-Inhalte aufwenden. Zurzeit wird beispielsweise für EntertainTV die Comedy-Reihe „Germanized“ vorbereitet: Mit Christoph Maria Herbst („Stromberg“) in der Hauptrolle entsteht in diesem Jahr nicht nur die erste Eigenproduktion der Deutschen Telekom, sondern ebenso das erste Gemeinschaftsprojekt von zwei Plattformen. Denn Amazon Frankreich beteiligt sich ebenfalls an der Geschichte über eine deutsche Firmenbelegschaft, die es in die französische Provinz verschlägt.
Außerdem hat die Telekom letzten Herbst ein eigenes Video on Demand Angebot mit zahlreichen US-Serien an den Start gebracht. Damit liegt der Bonner Gigant im Trend. Denn weltweit sind Telekommunikationsunternehmen auf Einkaufstour, um sich im Film- und TV-Geschäft zu etablieren. Letztes Jahr etwa überbot die British Telecom den englischen Sender Sky erneut beim Wettbewerb um die Übertragung der Champions League. Die US-Gesellschaft AT&T wiederum versucht gerade, für 78 Milliarden Euro einen der größten Medienkonzerne der Welt zu kaufen: Time Warner. AT&T versorgt in den Vereinigten Staaten Millionen von Haushalten sowie Nutzern mit Internet, Telefon, Mobilfunk und Kabelanschlüssen. Time Warner wiederum verfügt über attraktive Inhalte und Fernsehprogramme. Auch Warner Bros., eines der sieben großen Hollywood Major Studios, gehört zum Konzern. Zwar möchte das US-Justizministerium den Deal verhindern, aber bereits einige Jahre zuvor konnte der Internet- und Kabelbetreiber Comcast NBC Universal komplett übernehmen.
Geld für diese Aktivitäten ist bei den Telekommunikationsunternehmen jedenfalls mehr als ausreichend vorhanden. Allein die Telekom verzeichnet für das Jahr 2017 einen Umsatz von rund 75 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Sender der Mediengruppe RTL kamen im selben Jahr auf einen Umsatz von 2,3 Milliarden Euro.
Auf eine Presseanfrage an die Telekom im letzten Sommer, wie denn die Programmoffensive aussehen könnte und für wann sie geplant ist, übten sich die Pressesprecher noch in äußerster Zurückhaltung. „Über das Thema Inhalte auch über Sport hinaus wird bei uns nachgedacht, aber es gibt keine konkreten Pläne“, hieß es da beispielsweise. Dabei waren Gespräche zwischen den Bonnern und Fiction-Produzenten bereits in vollem Gang.
Bedrohung für die klassischen TV-Sender
Sollten die Telekommunikationsanbieter tatsächlich stärker als Inhalteanbieter auftreten, wären sie für das klassische Fernsehen eine weitaus größere Bedrohung als Netflix, Amazon und Co. Denn sie sind nicht nur wirtschaftliche Giganten mit gut gefüllten Kassen, sondern sie verfügen über direkte Beziehungen zu ihren einzelnen Kunden, können deren Konsumgewohnheiten besser erkennen als etwa RTL, wo Redakteure mittlerweile in ausgewählten Haushalten für eine Weile zu Gast sein müssen, um die „Zielgruppe“ besser kennenzulernen. Und sie sind vor allem Gatekeeper, wenn es darum geht, dass Angebote überhaupt bei den Zuschauern ankommen.
„Das Verhältnis zwischen Plattformen und Inhalteanbietern muss man sich generell gut anschauen“, urteilt Claus Grewenig, Bereichsleiter Medienpolitik bei der RTL Gruppe, der „Netzneutralität“ fordert, „genau darüber wird ja aktuell auch diskutiert: Über den Zugang beziehungsweise die Auffindbarkeit von Angeboten in der digitalen Welt. Da, wo der Plattformanbieter die Auffindbarkeit in der Hand hat, muss es klare Regeln geben. Umso mehr gilt das, wenn der Plattformanbieter dann auch eigene Inhalte oder Dienste präsentiert, wie auch das Google-Verfahren auf EU-Ebene gezeigt hat.“ Die Europäische Kommission ahndete einen Verstoß gegen das EU-Kartellrecht mit einer Geldbuße von 2,42 Mrd. EUR. Google habe seine marktbeherrschende Stellung als Suchmaschinenbetreiber missbraucht, indem es einem anderen Google-Produkt – seinem Preisvergleichsdienst – einen unrechtmäßigen Vorteil verschafft habe, hieß es in der Begründung.
Dass die Situation sowohl öffentlich-rechtliche wie private Sender angeht, und das in ganz Europa, das macht ebenfalls ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz klar: „Besonderes Augenmerk ist bei der Personalunion von Kommunikationsdienstleister mit Inhalteproduzent und -anbieter darauf zu legen, dass es zu keiner Diskriminierung von anderen Inhalteanbietern kommt, insbesondere nicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, es braucht also klare Must Carry- und Must be found-Regelungen.“
Was Deutschland angeht, sieht Grewenig die Staatskanzleien und Länderparlamente in der Pflicht, damit entsprechende Regelungen in den Rundfunkstaatsvertrag umgesetzt werden können: „Zurzeit konzentriert sich die Plattformregulierung nur auf die Netze, konkret auf den physischen Zugang zum Netz. Aber der Nutzer kann heute gar nicht mehr unterscheiden, von welcher Quelle die Inhalte stammen, die er sich auf seinem Bildschirm anschaut. Daher muss der Blick auf netzunabhängige Plattformen geweitet werden.“
Nachdenklich stimmt zudem, dass so viele Informationen über die Verbraucher in einem Konzern gesammelt werden: Neben Handy, Festnetz, Internet käme dann zusätzlich noch der Konsum von Filmen, Serien oder Dokumentationen dazu. Über die Telekom IPTV-Angebot „Entertain“ dürften heute mindestens rund drei Millionen Haushalte ihre Fernsehversorgung beziehen. Dort gibt es nicht nur die Programme der bekannten Fernsehsender und Anbieter, sondern auch eigene Spartenangebote: früher beispielsweise die Fußball-Bundesliga, heute mit Basketball oder Eishockey andere Live – Sport – Übertragungen.
Damit die Telekom diese Programme überhaupt verbreiten darf, greift der Konzern auf eine Hilfskonstruktion zurück. Er selbst ist „nur“ Rechteinhaber und beauftragt das Unternehmen thinXpool mit der Produktion, das damit zum Rundfunkveranstalter wird. Zusätzlich verpflichten sich die Bonner, nicht in die Programmgestaltung einzugreifen. Nach Prüfung von Staatsferne und Gewährleistung der Meinungsvielfalt gaben die zuständigen Regulierungsbehörden ihr Okay.
In Zeiten der Digitalisierung kommt dem Bonner Telekommunikationsmonopolisten, der außerdem Marktführer bei Telefon- und Handyanschlüssen ist, eine noch größere Bedeutung zu, wenn es um den Transport von Inhalten geht. „Wir sind kein Programmveranstalter, sondern haben nur die Medienrechte“, antwortete der Telekom-Sprecher Malte Reinhardt, „die Lizenzen vergeben wir an andere Unternehmen.“ Die staatlichen Kontrollorgane jedenfalls sind zurückhaltend, wenn es um die deutsche Telekom geht.
Was darf die Deutsche Telekom?
Dass der Staat für seine Bürger mitunter eine Gefahr sein kann, das hat die Geschichte immer wieder bewiesen. Es ist noch nicht einmal ein Menschenleben her, dass in Deutschland ein diktatorisches Regime sein Ende fand. Aber bereits angesichts der Nazi-Propaganda-Maschinerie versuchten die Gründer der Bundesrepublik, Lehren zu ziehen: Der Staat sowie Unternehmen, an denen er mehrheitlich beteiligt ist, dürfen keinen Rundfunk veranstalten.
14,5 Prozent des ehemaligen staatlichen Unternehmens Deutsche Telekom gehören allerdings noch heute dem Bund direkt, 17,5 Prozent der bundeseigenen Förderbank KfW. Die abrufbaren Inhalte der Bonner gelten jedoch nicht als Rundfunk. Das ist nur bei linearen Angeboten der Fall. Dabei beträgt der Marktanteil des Telekommunikationsriesen beim Breitbandangebot, über das Filme und Serien hauptsächlich abgerufen werden, über 40 Prozent.
Zum Vergleich: Wenn eine Sendergruppe über einen Zuschaueranteil von mehr als 30 Prozent verfügt, muss die KEK, die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, tätig werden, um die Meinungsvielfalt zu sichern. Hat ein Rundfunkunternehmen einen Anteil von 25 Prozent in seinem Marktsegment, müssen die Medienwächter ebenfalls in Aktion treten. Und so beschwert sich KEK-Vorsitzender Georgios Gounalakis: „Das derzeitige Rundfunkkonzentrationsrecht bei der Beurteilung crossmedialer Sachverhalte läuft weitgehend leer.“ Eine Megafusion von zum Beispiel Vodafone und Liberty, über die zurzeit spekuliert wird, könnte nach aktuellem Stand nicht reguliert werden. Denn sie gelten nicht als klassische Rundfunkanbieter. Desgleichen, wenn Player wie etwa Amazon sowie Netflix ein gemeinsames Videoportal gründeten. Und ebenso die aktuellen und künftigen Aktivitäten der Telekom als Bewegtbild-Anbieter.
„Das ist keine Situation, die man so belassen sollte“, mahnt der Kommunikationswissenschaftler und ehemalige Chef der NRW-Landesmedienanstalt Jürgen Brautmeier, „das Recht ist veraltet, der alte Rundfunkbegriff passt nicht mehr und auch von Verbreitungswegen unabhängige, virtuelle Plattformen müssen betrachtet werden.“ Er und andere Experten fordern eine Neufassung des veralteten Rundfunkbegriffs: Nicht die Technologie, über die Inhalte ausgeliefert werden, sondern die Qualität der Inhalte bzw. ihre Relevanz für die Meinungsvielfalt sollen als Maßstab für die Bewertung, was Rundfunk ist und was nicht, gelten. Dass der Staat an einem Telekommunikationskonzern beteiligt ist, macht für Brautmeier keinen Sinn mehr. Und das nicht nur aus Wettbewerbsgründen, sondern eben auch aus einem historischem Verständnis heraus: „Was wir in anderen Ländern erleben zeigt, wie schnell sich die politischen Verhältnisse ändern können und wie schnell ein unguter staatlicher Einfluss entstehen kann. Da sollte uns unsere eigene Geschichte eine Lehre sein.“
Beim Finanzministerium, das für die Anteile des Bundes zuständig ist, heißt es dagegen: „Als Minderheitsaktionär hat der Bund wie alle Aktionäre der Deutschen Telekom AG gemäß dem aktienrechtlichen Kompetenzgefüge keine Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten auf das operative Geschäft des Unternehmens.“ Das operative Geschäft des Unternehmens und damit die inhaltliche Gestaltung von Content-Angeboten liege, so die Auskunft eines Pressesprechers, in der alleinigen Verantwortung des Vorstandes. Er sei gemäß Aktienrecht einzig dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Kontrolliert wird der Vorstand allerdings vom Aufsichtsrat, in dem unter anderem Finanzstaatssekretär Johannes Geismann sitzt.
Der Medienrechtler und Hochschullehrer Winfried Kluth, der als Gutachter für einen neuen Medienstaatsvertrag im Einsatz war, rät jedenfalls, die Situation genauer ins Auge zu fassen: „Es gibt da eine Menge von Rechtsfragen und man sollte mal schauen, ob hier die Vorgaben, die wir kennen, eingehalten werden. Dass jemand seine Marktmacht über das Genre Unterhaltung ausbaut und dann auch andere Themen bedienen kann, liegt nicht fern.“
Film- und TV Produzenten mehr denn je gefragt
Inzwischen haben sich große europäische Telekommunikationsanbieter zu Atrium TV zusammengeschlossen. Der TV- Serien „commissioning club” richtet sich ausdrücklich an Videoplattformen und Plattformbetreiber, die die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit ausloten werden. Neben der Deutschen Telekom versammeln sich dort weitere wichtige Player wie Orange aus Frankreich oder die British Telecom.
Warum aber wollen Telekommunikationskonzerne sich nicht mehr nur auf die Bereitstellung von Übertragungswegen beschränken wollen, sondern ebenso Sport, Filme und Serie offerieren?
Ein Grund sind vermutlich die neuen LTE-Mobilfunknetze sein, die hohe Übertragungsraten ermöglichen und die Kabelleitungen der klassischen Telekommunikationskonzerne möglicherweise überflüssig machen. Da könnte das Geschäft mit attraktiven Inhalten Ausgleich schaffen. Das klassische Fernsehsendermodell zumindest, mit festgefügter Programmstruktur, das zurzeit sowieso schon wackelt, könnte durch weitere Wettbewerber vollends zum Auslaufmodell werden. In der Branche wird bereits darüber spekuliert, ob nicht große Telekommunikationskonzerne mittelfristig private Sendergruppen wie RTL übernehmen werden. Geld dafür hätten sie.
„Die Kunden erkennen die Grenzen zwischen Live TV, Streaming oder Video on demand immer weniger und sie akzeptieren sie auch immer weniger“, sagt der Geschäftsführer von Warner TV Deutschland René Jamm, „es muss schon heute stets auch die Wahl des zeitunabhängigen Konsums gegeben sein.“ Da sind große Internetplattformen mit einer bestehenden Infrastruktur allerdings im Vorteil. Diese „Aggregatoren“ können alles anbieten, so wie die Deutsche Telekom. Sie bietet mit EntertainTV ihren Abonnenten Zugriff auf die klassischen Fernsehsender, auf Pay TV Sender wie SKY oder auf Videoportale, darunter Netflix und Maxdome.
RTL, ProsiebenSat.1, ARD, ZDF und co. haben zwar alle eigene Apps implementiert, aber es ist für die Nutzer zu mühselig, jedes Programm – insofern es überhaupt abrufbar ist – auf dem jeweiligen Angebot zu suchen und anzuschauen.
Für die Film- und Fernsehproduzenten schließlich ist die Situation ideal. In der Branche herrscht Uneinigkeit darüber, wer letztlich überleben wird. Klar ist, dass die Attraktivität der Inhalte darüber entscheiden wird. Aber die neuen Player, die eigentlich andere Geschäftsfelder haben, kommen immer mehr ins Spiel und verstärken den enormen wirtschaftlichen Erfolg anspruchsvoller Serien. Diese Einschätzung bestätigt auch Jamm: „Es ist eine gute Zeit für Produzenten, wir stehen in Kontakt mit allen Anbietern, die eigene Inhalte zeigen möchten, und sie werden immer mehr.“
Netzneutralität
Die großen Provider und Telekommunikationsriesen sind Gatekeeper, wenn es um die Programmauswahl geht. Und genau das sehen nicht nur klassische Fernsehsender kritisch, denn sie befürchten Missbrauch. Ihre Forderung: Netzneutralität. In der guten alten Fernsehwelt war klar: Die einen, nämlich die Sender, machen Programm und strahlen es aus. Die anderen, die Telekommunikationskonzerne, stellen dafür die Übertragungswege zu den Zuschauern zur Verfügung. Heute bieten die Telekommunikationskonzerne verstärkt auch eigene Inhalte an, treten damit zu den Sendern, die von ihnen abhängig sind, in Konkurrenz. Hier fordern die Sender jetzt „Netzneutralität“: Denn die Telekommunikationskonzerne, aber auch andere Internetdienste könnten ihre eigenen Inhalte in ihren Bouquets so platzieren, dass das Publikum auf sie zuerst trifft. Und sie könnten die Inhalte anderer, konkurrierender Anbieter so implementieren, dass der Zugang zu ihnen für die Zuschauer erschwert wird oder sie im schlimmsten Fall nicht mehr gefunden werden. Für die Konsumenten würde das den Verlust von Vielfalt und freier Programmwahl bedeuten.