Spielregeln für alle Medieninhalte

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Es ist vollbracht. Nach der Zustimmung von Mecklenburg-Vorpommern hat nun auch der letzte Landtag den neuen Medienstaatsvertrag durchgewunken. Damit endet das langjährige Tauziehen um eines der wichtigsten medienpolitischen Reformwerke der letzten Jahre. Bei zentralen Themen wie Verantwortung im Netz, Auffindbarkeit von Qualitätsmedien oder kommunikativer Chancengleichheit hätten die Länder grundlegende Weichenstellungen vorgenommen, freut sich zu Recht Medienstaatssekretärin Heike Raab von der federführenden Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz.

Worum geht es? Das neue Paragrafenwerk steckt den rechtlichen Rahmen für eine Medienordnung ab, die sich im Gefolge der Digitalisierung in den letzten Jahren dramatisch verändert hat. Rundfunk – das bedeutete im 30 Jahre alten Vorgänger-Staatsvertrag noch schlicht: Radio und Fernsehen. Heutzutage aber kann jede/r per Handy und Internet direkt auf Sendung gehen. Smart-TVs integrieren längst Netzinhalte. TV-Sender bieten Apps und Streaming-Portale an. Dieser „schönen neuen Medienwelt“ trägt der neue Staatsvertrag endlich Rechnung.

Auch die großen US-amerikanischen Internetgiganten werden jetzt vom medienrechtlichen Radar erfasst. Plattformen wie YouTube, Facebook, Twitter oder Instagram – sogenannte „Intermediäre“ – müssen sich ab sofort Mindestspielregeln unterwerfen. Für sie gelten nun Transparenzgebote und Diskriminierungsverbote. Sie müssen klarmachen, nach welchen Algorithmen sie Medieninhalte zeigen. Für sie dürfte es schwieriger werden, bestimmte Inhalte ohne gerechtfertigten Grund unter „ferner liefen“ zu listen. Regeln für leichte Auffindbarkeit fördern künftig – wenn alles wie geplant läuft – vor allem regionale, lokale sowie barrierefreie Angebote und erhöhen die Sichtbarkeit seriöser Information. Den Verbreitern von Fake News soll das Leben schwerer gemacht, die Einhaltung journalistischer Standards und Sorgfaltspflichten im Netz besser abgesichert werden.

Bei allem Fortschritt bleiben aber auch noch diverse Leerstellen. Dringlicher denn je erscheint vor allem eine Modernisierung des anachronistischen, weil fernsehzentrierten Medienkonzentrationsrechts. Aufgrund der hierzulande unterentwickelten Zusammenschau von Medien-, Netz- und Digitalpolitik haben Google, Facebook & Co nach wie vor leichtes Spiel, den deutschen Markt zu dominieren. Ein einzelner Player wie Netflix hat inzwischen den einst weltweit größten Medienkonzern Bertelsmann umsatzmäßig überholt. Ob die etwas provinziell anmutende föderale deutsche Medienregulierung hier wirksam gegenhalten kann?

Nicht betroffen vom Medienstaatsvertrag ist die künftige Höhe des Rundfunkbeitrags. Die wird in einem anderen Staatsvertrag festgelegt, über den in Kürze alle Parlamente  entschieden haben werden. Ob der Beitrag ab dem 1. Januar 2021 um „fürstliche“ 86 Cent auf 18,36 Euro monatlich steigt – es wäre die erste Erhöhung seit 2009 – hängt offenbar einzig vom Votum des Landtags Sachsen-Anhalt ab. Die dortige CDU-Fraktion mauert noch. Nach Lage der Dinge wird es am 15. Dezember im Magdeburger Landtag zum Showdown kommen. Sollte die Erhöhung scheitern, dürften ARD und ZDF wohl dagegen klagen.


Update 06.11.2020

Medienstaatsvertrag tritt am 7. November 2020 in Kraft

„Heute ist die letzte Ratifikationsurkunde zum Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland hinterlegt worden. Damit tritt der Medienstaatsvertrag am morgigen 7. November 2020 in Kraft“, informierte Medienstaatssekretärin Heike Raab als Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder über das Inkrafttreten des Medienstaatsvertrages in einer Medieninformation. Red.

 

 

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