Wenn Vereinsrecht Presserecht aushebelt

Der Journalist und Referent Stefan Mey Foto: Sergej Magel/HNF

Meinung

Die Pressefreiheit ist ein geschütztes Gut. Nur leider lässt sich diese Grundsäule einer freien Gesellschaft auch aushebeln. Das hat sich bereits vor Jahren gezeigt, als das Bundesinnenministerium einfach so ein Medium verbot. Aktuelle Entwicklungen bei Radio Dreyeckland zeigen nun: Das Problem ist bis heute nicht behoben. Und kaum jemand scheint sich für diese gefährliche Sicherheitslücke des Rechtsstaats zu interessieren.

Die Polizei durchsucht die Wohnungen von vier Männern und einer Frau. Der Vorwurf: Die Beschuldigten sollen ein Medium weiter betrieben haben, obwohl es vom Innenministerium verboten wurde. Eine solche Meldung würde man am ehesten in der „Internationales“-Rubrik der Medienseite einer Zeitung vermuten. Tatsächlich spielte sich genau das Anfang dieses Monats im baden-württembergischen Freiburg ab. Und im Januar dieses Jahres fand eine Razzia beim freien Lokalradio Radio Dreyeckland (RDL) statt, weil ein Redakteur in einem Onlineartikel einen Link auf ein Archiv des Mediums gesetzt hatte. Im Juni entschied das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart die Klage gegen den Redakteur von RDL zuzulassen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, durch die Verlinkung eine verbotene Vereinigung unterstützt zu haben.

Moment mal: ein vom Innenministerium verbotenes Medium? Das scheint nur schwer vorstellbar. Auch nur einzelne Inhalte zu untersagen, ist hierzulande aus gutem Grunde schwierig. Geschweige denn ein Medium ganz zu verbieten. Mit einem Trick geht es doch.

Der Verein wird aufgelöst

Die Vorgeschichte reicht fast genau sechs Jahre zurück. Am 14. August 2017 hatte das Innenministerium Linksunten.Indymedia verboten. Von da an stand es unter Strafe, die Webadresse linksunten.indymedia.org zu betreiben und den Namen sowie das Logo der Plattform zu verwenden.

Was damals passiert ist und bis heute nachwirkt, könnte man in der Sprache der IT-Welt als Hack bezeichnen: Ein Angreifer nutzt eine Schwachstelle – eine Sicherheitslücke – aus, um ein ansonsten gut geschütztes System erfolgreich anzugreifen. Das System ist die Pressefreiheit. Die Sicherheitslücke ist die Möglichkeit, die besonderen Schutzmaßnahmen für diese Freiheit über das Vereinsrecht zu umgehen.

Formal richtete sich das Verbot nicht gegen das Medium, sondern gegen das lose organisierte Kollektiv hinter Linksunten, das das Innenministerium als Verein definierte und illegalisierte: „Der Verein ,linksunten.indymedia’ läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Der Verein ,linksunten.indymedia’ ist verboten und wird aufgelöst.“ So hieß es in der Verfügung des Innenministeriums, die sich auf Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 3 des Vereinsgesetzes berief.

Dass Linksunten kein Verein im rechtlichen Sinne war, spielte keine Rolle. Als Verein gilt laut § 2 des Vereinsgesetzes „ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“.

Linksunten war Teil des globalen Mediennetzwerks Indymedia. Über ein „Open Posting“-Verfahren konnten Autor*innen Beiträge einreichen, die ein Kollektiv moderierte. Verschiedene linke Strömungen publizierten dort Texte: Analysen, Aufrufe zu Demonstrationen und politischen Aktionen, Debattenbeiträge sowie oft akribisch recherchierte Berichterstattung zur militanten Nazi-Szene. Es gab aber auch Bekennerschreiben zu Sachbeschädigungen sowie Beschimpfungen von Polizist*innen und es wurden private Informationen über politische Gegner*innen, vor allem Nazis veröffentlicht.

Rechtsstaatlich äußerst fragwürdig

In einer Pressemitteilung ließ sich Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, mit der Mahnung zitieren, Pressefreiheit gelte „auch für unbequeme, ja selbst für schwer erträgliche Veröffentlichungen.“ Dann wurde Mihr sehr deutlich: „Dass die Bundesregierung ein trotz allem journalistisches Online-Portal durch die Hintertür des Vereinsrechts komplett verbietet und damit eine rechtliche Abwägung mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit umgeht, ist rechtsstaatlich äußerst fragwürdig.“ Das liefere „repressiven Regimen in aller Welt einen Vorwand, es den deutschen Behörden gleichzutun.“

Wie sich der Schutz von Pressefreiheit und Vereinsrecht zueinander verhalten, ist bis heute nicht geklärt. Eine Klage gegen das Verbot wies das Bundesverwaltungsgericht 2022 aus formalen Gründen ab. Das Bundesverfassungsgericht nahm eine Beschwerde dagegen ein Jahr später nicht an und schrieb in der Begründung: „Über die Frage, welche Grundrechte diejenigen schützen, die ein wie hier organisiertes Internetportal betreiben, ist damit nicht zu entscheiden.“

Medium X als verbotene Vereinigung?

Die Sicherheitslücke, mit der es möglich war, Linksunten einfach so zu verbieten, ist also weiterhin offen. Könnte sie genutzt werden, um auch gegen andere Medien vorzugehen?

David Werdermann von der Organisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die sich im Fall Linksunten immer wieder öffentlich positioniert hat, hält das Gedankenspiel nicht für abwegig. Er schreibt auf Nachfrage: „Grundsätzlich kann das Vorgehen des BMI auch auf andere Medien übertragen werden.“ Ob diese, wie oft, als Aktiengesellschaften oder GmbHs organisiert sind, spiele keine Rolle: „Auch Kapitalgesellschaften können Vereine im Sinne des Vereinsgesetzes sein.“

Nehmen wir an, der „Spiegel“, die „Süddeutsche Zeitung“ oder die „taz“ veröffentlichen immer wieder brisante politische Leaks. Das Innenministerium ist der Meinung, die Redaktion würde aktiv zum Geheimnisverrat auffordern, ihn unterstützen, sich somit an Straftaten beteiligen – und die Redaktion als Vereinigung verbieten. Das ist zugegebenermaßen ein theoretisches Szenario.

Nehmen wir aber außerdem an, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse weiter zuspitzen. Eines Tages gibt es einen deutschen Trump als Bundeskanzler und einen AfD-Innenminister, für die Pressefreiheit kein schützenswertes Gut, sondern ein abzuschaffendes Ärgernis ist. Und für die die genannten Publikationen keine anerkannten Garanten einer freien Gesellschaft sind, sondern mit allen Mitteln zu bekämpfende Störenfriede.

Hält der Presseschutz auch solchen Krisen stand?

In der deutschen Rechtsordnung gibt es also eine Hintertür, mit der sich eine Grundsäule des Rechtsstaats aushebeln lässt. Über ein wenig aufregend erscheinendes Gebiet namens Vereinsrecht lässt sich die Pressefreiheit hacken. Diese „Sicherheitslücke“ sollte dringend geschlossen werden.

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