Schlappe vorm BGH für Bundesrepublik

Justitia Foto: Hermann Haubrich

Im Fall der sogenannten „Afghanistan-Papiere“ hat der Bundesgerichtshof (BGH) heute entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland die Veröffentlichung der militärischen Lageberichte über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr durch die Presse nicht unter Berufung auf das Urheberrecht untersagen kann. Für seine Entscheidung berief sich das Gericht auf § 50 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG), der eine Schutzschranke für die Berichterstattung über Tagesereignisse vorsieht.

Das Urteil des unter anderem für das Urheberrecht zuständigen I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs beendet damit einen seit 2014 dauernden Rechtsstreit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). Diese hatte im September 2012 Einsichtnahme in die „Unterrichtungen des Parlaments“ (UdP) aus den Jahren 2001 bis 2012 beantragt. Dabei handelt es sich um wöchentliche militärische Lageberichte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die als Verschlusssache – die niedrigste von vier Geheimhaltungsstufen – an ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestags, an Ministerien und nachgeordnete Dienststellen versandt werden. Der WAZ-Antrag war jedoch mit der Begründung abgelehnt worden, dass das Bekanntwerden der Informationen nachteilige Auswirkungen auf Sicherheitsbelange der Bundeswehr haben könne.

Das Onlinemedium gelangte auf unbekanntem Weg dennoch an einen Großteil der Verschlusssachen und veröffentlichte dann Berichte aus den Jahren 2005 bis 2012 als „Afghanistan-Papiere“. Die Bundesrepublik sah darin eine Verletzung ihrer Urheberrechte und klagte auf Unterlassung. Das Landgericht Köln hatte der Klage erstinstanzlich stattgegeben. Die Berufung der Beklagten beim Oberlandesgericht blieb 2015 ohne Erfolg, weshalb sie sich schließlich an den BGH wandte. Der hatte das Verfahren im Juni 2017 zunächst ausgesetzt, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt und nach dessen Urteil vom 29. Juli 2019 das Revisionsverfahren fortgesetzt.

Heute hat das Gericht nun bekanntgegeben, dass das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage der Bundesrepublik Deutschland abgewiesen wurde. Offen blieb dabei jedoch die Frage, ob die UdP als Schriftwerke urheberrechtlich geschützt sind. Maßgeblich für die Entscheidung des Gerichts war nämlich die sogenannte Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse im § 50 UrhG. Dieser erlaubt in durch den Zweck gebotenem Umfang die „Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken“ in der Berichterstattung über Tagesereignisse, sofern die Werke im Verlauf dieser Ereignisse „wahrnehmbar“ werden.

Anders als das Berufungsgericht ist der BGH der Ansicht, dass eine Berichterstattung im Sinne von § 50 UrhG vorliegt, da es sehr wohl eine journalistische Auseinandersetzung mit den einzelnen Inhalten der UdP gegeben habe. So habe die WAZ nicht nur die Papiere veröffentlicht, sondern sie auch mit einem einleitenden Text, weiterführenden Links und einer Einladung zur interaktiven Partizipation versehen sowie die Dokumente in systematisierter Form präsentiert. Darüber hinaus sei mit der Veröffentlichung über ein Tagesereignis berichtet worden, da es um die Frage gegangen sei, ob der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan als Friedensmission oder als Beteiligung an einem Krieg anzusehen sei.

Schließlich habe die Berichterstattung auch nicht den durch den Zweck gebotenen Umfang überschritten, da sie im Sinne einer Grundrechtsabwägung verhältnismäßig gewesen sei. So könne das vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung nicht das durch die Meinungs- und Pressefreiheit geschützte Veröffentlichungsinteresse überwiegen. „Dem Interesse an einer Veröffentlichung der hier in Rede stehenden Informationen kommt im Blick auf die politische Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz und das damit berührte besonders erhebliche allgemeine Interesse an der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle von staatlichen Entscheidungen in diesem Bereich größeres Gewicht zu“, so der BGH in seiner Urteilsbegründung.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Warnstreik bei der Süddeutschen Zeitung

Für die zweite Tarifverhandlungsrunde am 25. Juli 2024 hatten die Verhandler*innen des Zeitungsverlegerverbandes BDZV der dju in ver.di ein Angebot zu Tariferhöhungen angekündigt. Gehalten haben sie das Versprechen nicht. Konkrete Zahlen zur Tariferhöhung blieb der BDZV schuldig. Stattdessen stellte er Gegenforderungen zum Nachteil der Zeitungsredakteur*innen. Heute streikten dagegen über 100 Beschäftigte der Süddeutschen Zeitung. In Nürnberg gab es eine Aktive Mittagspause vor dem Verlag Nürnberger Presse.
mehr »

Süddeutsche ohne Süddeutschland?

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) will sich aus der Regionalberichterstattung in den Landkreisen rund um München weitgehend zurückziehen. Am Mittwoch teilte die Chefredaktion der SZ zusammen mit der Ressortleitung den rund 60 Beschäftigten in einer außerordentlichen Konferenz mit, dass die Außenbüros in den Landkreisen aufgegeben werden und die Berichterstattung stark zurückgefahren wird. Dagegen wehrt sich die Gewerkschaft ver.di.
mehr »

Breiter Protest für Rundfunkfinanzierung

Anlässlich der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten (MPK) in Leipzig fordert ver.di die Fortführung des Reformdiskurses über die Zukunft öffentlich-rechtlicher Medienangebote und über die Strukturen der Rundfunkanstalten. Die notwendige Debatte darf die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten jedoch nicht daran hindern, ihren vom Bundesverfassungsgericht zuletzt im Jahr 2021 klargestellten Auftrag auszuführen: Sie müssen im Konsens die verfassungsmäßige Rundfunkfinanzierung freigeben.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »