Die Kreativen als treue Diener des Neoliberalismus?
Auf Einladung der ver.di-FilmUnion diskutierten in Berlin im Rahmen der Berlinale Vertreter_innen aus Filmwirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften über den Widerspruch zwischen der wirtschaftlichen Bedeutung der Kultur- und Kreativbranche und der von unterdurchschnittlichen Löhnen und fehlenden Sicherheiten geprägten Arbeitsrealität der Kreativen.
Die eigene mit der kollektiven Erfahrung abgleichen
Eröffnet wurde die Podiumsdiskussion um die Ecke des Berlinale-Palasts mit einem Impulsreferat von Lisa Basten, die kürzlich ihre Masterarbeit „Wir Kreative. Zum Selbstverständnis einer Branche.“ abgeschlossen hat. Der Widerspruch zwischen der ökonomischen Realität der Kultur- und Kreativwirtschaft und der Arbeitsrealität der Kreativen sei demnach eklatant. Hier eine Branche, die in den letzten zehn Jahren eine Umsatzsteigerung von 20 Prozent verzeichnen konnte und deren Bruttowertschöpfung mehr zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt als die der Automobil- oder Baubranche und dort niedrige Löhne und Honorare, eine ungenügende Altersvorsorge und Schwierigkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Das Wachstumspotenzial der Branche sei enorm, aber die Rechte der Arbeitnehmer_innen würden kontinuierlich unterlaufen – auch, weil nur wenige Kreative in Gewerkschaften und Berufsverbänden organisiert seien und als Einzelkämpfer ihren eigenen Marktwert dem Versprechen der kreativen Selbstentfaltung unterordnen würden.
Basten wünscht sich deshalb, dass die Kreativen endlich anfangen, ihre eigene Erfahrung mit der kollektiven Erfahrung abzugleichen, und wird darin vom Wirtschaftswissenschaftler und Theaterschauspieler Christoph Backes bestätigt, der auch einer der Betreiber des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung ist.
Auch Backes appelliert an die Kreativarbeiter, ihre individuelle Erfahrung immer mit der gesamtwirtschaftlichen Perspektive in Verbindung zu bringen. Und so wie es wichtig sei, dass die Kulturschaffenden selbst den Wert ihrer Arbeit einfordern, müssten die Gesellschaftsrelevanz und die Wirtschaftskraft der Kreativbranche viel deutlicher herausgestellt werden, um in der Mitte der Gesellschaft ankommen zu können. Auch hierin sind sich Basten und Backes einig.
Kreativwirtschaftliches Empowerment
Der geringe Organisationsgrad in der Filmbranche ist laut Basten ein historisches Problem und Ingo Weerts von der ver.di FilmUnion hat den Eindruck, die Arbeitgeber der Kreativwirtschaft habe sich schon immer als antigewerkschaftlich verstanden. Obwohl man jedoch in den letzten zehn Jahren Fortschritte in dieser Richtung gemacht und einiges bewegt habe, sei ein großes Problem heute immer noch die Angst vor Benachteiligung oder gar dem Ausbleiben von Aufträgen, die eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft vermeintlich zur Folge habe. Diese Angst möchte Weerts, der selbst lange beim Film tätig war, den Filmschaffenden nehmen. Er persönlich habe diese Erfahrung während seiner Arbeit nicht gemacht und kann auf Grundlage seiner Arbeit für ver.di bestätigen, dass es sich lohnt, für seine Rechte aktiv zu werden und Probleme bei den Produzenten anzusprechen. Schon oft habe dies zum Einlenken und zur Gewährung tariflicher Leistungen geführt, die vorher unterlaufen worden waren – ohne dabei Benachteiligungen jeglicher Art für die betroffenen Filmschaffenden nach sich zu ziehen.
Backes sieht das Problem hingegen vor allem in der Verkrustung der Struktur. Tatsächlich wachse die Verhandlungsmacht von den Großen weg zu den Kleinen. In den letzten fünf Jahren habe ein Prozess stattgefunden, an dessen Ende Urheber_innen erstmals als Ausgangspunkt von Wertschöpfung definiert worden seien. Doch trotz ihrer offensichtlichen und messbaren wirtschaftlichen Bedeutung sei die Branche nicht in der Lage zu effektiver Lobbyarbeit, was er gar als Armutszeugnis wertet. Schließlich gehöre das doch zu den Kernkompetenzen Film- und Kulturschaffender. Die Gewerkschaft und die Berufsverbände sieht er hierbei bei der Bereitstellung von guten Beziehungsangeboten zur Politik in der Pflicht. Von Bedeutung sei zudem aber auch, dass kreativwirtschaftliche Lobbyarbeit nicht nur die Interessen der Kultur- und Kreativwirtschaft artikulieren, sondern vor allem die Mikrounternehmerinteressen. Denn, so stimmt ihm Burkhard Blienert, MdB, zu: „Solo-Selbstständige und Mikrounternehmen sind die Arbeitsgesellschaft des 21. Jahrhunderts.“
Filmförderung – Die Rolle der Politik
Blienert, filmpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien, sieht die Herausforderung für die Politik vor allem in der Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG). Anliegen der Politik sei es hier, die Einhaltung von sozialen Mindeststandards zum Qualitätskriterium zu machen und dies auch stichprobenartig zu untersuchen.
ver.di fordert in ihrer Stellungnahme zur FFG-Novelle, dass Unternehmen offenlegen müssen, ob sie tarifgebunden sind oder ob sie sich verpflichten, nach Tarif zu bezahlen. Transparenz sei laut Weerts das Stichwort, denn wer nicht nach Tarif bezahlt, der dürfe auch nicht so kalkulieren. Zumal es, wie Blienert hinzufügt, durchaus tarifungebundene Unternehmen gibt, die fair bezahlen. Er sieht in einer verpflichtenden Tarifbindung keine Lösung, auch vor dem Hintergrund, dass es wenig Sinn mache, Forderungen in das Gesetz aufzunehmen, die später im Parlament keine Chance hätten, umgesetzt zu werden.
Aufgabe der Politik müsse es demnach sein, Probleme zu benennen, Transparenz herzustellen und gegebenenfalls den notwendigen Druck auszuüben, wo das möglich ist. Beispielsweise bei den Auftragsproduktionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo immer wieder versucht wird, die Verpflichtungen bei der Pensionskasse Rundfunk und damit für die Altersversorgung der Filmschaffenden zu umgehen. In diesem Zusammenhang müssten auch die Möglichkeiten für Klagen gestärkt werden, was allerdings vor allem starke Interessenverbände voraussetze.
Einig sind sich die Diskussionsteilnehmer schließlich in der Feststellung, dass es auch Grund zu Hoffnung gäbe, wenn sich ein Zulauf zur ver.di FilmUnion und den Berufsverbänden zeigen würde. Damit stiege das gemeinsame Potenzial, wie etwa in der Initiative Branchenlösung, mit der angemessene Folgevergütungen bei Fernsehauftragsproduktionen mit Sendern und Produzenten verhandelt werden. Wenn dort alle Verbände an einem Tisch mit verschiedenen Verwertergruppen zusammen kämen, seien stärkere und zufriedenstellendere Ergebnisse zu erzielen. Auch Blienert sieht positive Ansätze, die nach vorne zeigen, und regt dazu für die nächste Legislaturperiode die erneute Einrichtung einer Enquete-Kommission zur Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland an, da hier absoluter Nachholbedarf bestehe. Tatsächlich liegt der Bericht der letzten Enquete-Kommission zur „Kultur in Deutschland“ fast zehn Jahre zurück. Damals hatte die Kommission ihre vierjährige Arbeit unter anderem mit rund 500 Handlungsempfehlungen abgeschlossen.