Da ist Handlungsbedarf

Lisa Basten arbeitet seit 10 Jahren als freie Texterin. An der Filmuniversität „Konrad Wolf” (ehemals Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg) wandte sie sich dem Forschungsthema „Projektarbeit und Kreativität” zu. Derzeit promoviert sie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und unterrichtet an der Filmuniversität im Studiengang „Medienwissen­schaften”. Foto: Christian von Polentz

Wandel der Arbeitswelt und Interessenvertretung jenseits etablierter Standards

Wir Kreative! heißt die Publikation, in der sich Lisa Basten mit dem „Selbstverständnis einer Branche” auseinandersetzt. Diese gilt als Zukunftsmodell der Arbeit – flexibel, innovativ, teambasiert. Gleichzeitig sind viele Kreative mit prekären Bedingungen und intransparenten Strukturen konfrontiert. Speziell die Realität der Film- und Fernsehschaffenden beleuchtet die Autorin, „weil dort die meisten Daten aufzutreiben waren”. Doch sieht sie ihre Überlegungen „exemplarisch für die Entwicklungen auch in anderen kreativen Branchen” der vermeintlichen „Labour of Lust”.

M | Digitalisierung, Industrie 4.0 oder Arbeit 4.0 sind in aller Munde. Die „Kreativbranche” wird dabei als Vorreiter gesehen. Zu Recht?

Lisa Basten | Zunächst ist es so, dass unsere Arbeitswelt tatsächlich auf sehr unterschiedlichen Ebenen vor Herausforderungen steht: Neue Beziehungen zwischen Mensch und Technik, Migra­tion und globale Veränderungen bewirken Verschiebungen in Arbeitsprozessen, soziale Dienstleistungen werden bedeutsamer und komplexer, dazu kommt die Debatte um sich verändernde Ansprüche an Arbeit. Der „Wandel” ist also real. All das stellt das Normal­arbeitsverhältnis, die unbefristete Vollzeitanstellung, in Frage. Doch basieren die Strukturen unserer Arbeitswelt immer noch weitestgehend darauf: existenzsichernde staatliche Rente erst ab 45 Beitragsjahren, kein ALG-I für weite Teile unstetig Beschäftigter, keine funktionierende Gewerkschaftsstruktur für Selbstständigkeit etc. Nun die Kreativen: Ihre Arbeitsweise scheint diesem Wandel recht gut zu entsprechen. Wir finden hier viele hochtechnisierte Berufe, die Organisation in zeitlich befristeten Projekten, wechselnden Teams und angeblich flachen Hierarchien gilt als zukunftsgerichtet. Kreativität und Innovation schützen ihre Tätigkeiten davor, durch Maschinen ersetzt zu werden und befriedigen gleichzeitig Ansprüche an Arbeit jenseits von finanzieller Entlohnung. Insofern ist auch die Vorreiterrolle real.

Aber wird sie auch so wahrgenommen?

Das ist nur schwer zu beantworten. Eine Vorreiterrolle entsteht wahrscheinlich nie freiwillig oder intentional. Doch gibt es klare Indizien. Zunächst wirtschaftliche Zahlen: Im Monitoringbericht* der Bundesregierung wird der Umsatz der Kultur- und Kreativbranche mit 146 Milliarden Euro angegeben. Durch öffentliche Gelder geförderte Bereiche sind darin noch nicht einmal enthalten. In Bezug auf die Bruttowertschöpfung spielen die Kreativen in einer Liga mit dem Auto­mobilbau oder der pharmazeutischen Indu­strie mit ihren geregelten Arbeitsverhältnissen. Dann bezogen auf den Status: Kreativität gilt als gesellschaftliches Leitbild. Ein kreatives Leben zu führen, etwas zu gestalten, gilt als sehr erstrebenswert, es wirtschaftlich verwertbar zu machen, geradezu als Königsweg. Schließlich sind Flexibilität und Zeitsouveränität Aspekte, die an Bedeutung bei der Bewertung von Arbeit gewinnen und die in kreativen Branchen vermutet werden. Auch hier sehen wir also Indizien für die zukunftsweisende Rolle der kreativen Projektarbeit in gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen. Flankiert wird all das von staatlicher Förderung: immer mehr Ausbildungen und Umschulungen, Startup-Förderung, Standortpolitik der „Creative Cities” usw.

Vieles wird von den Protagonisten selbst positiv empfunden. Die prekären Seiten weniger: Einkommen, Arbeitszeiten, Alterssicherung, Blacklisting. Denn im Kern bleiben das Arbeits-, also Abhängigkeitsverhältnisse …

Ja. Erwerbsarbeit ist auch in einer sich wandelnden Arbeitswelt die mit Abstand wichtigste Einkommensquelle und entscheidender Faktor gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Auch im Wandel bleibt der alte Konflikt zwischen Kapital und Arbeit weiter sichtbar – er verschärft sich wahrscheinlich sogar. Wenn das Bundeswirtschaftsministerium freudig publiziert, dass ein Erwerbstätiger der Kultur- und Kreativbranche im Durchschnitt knapp 140.000 Euro Umsatz im Jahr hat, dann ist offensichtlich: einige bekommen sehr viel, andere so gut wie nichts. Das wirft klar die Frage nach neuen Regelungsmechanismen auf, die sicherstellen, dass in dieser wirtschaftlich profitablen Branche existenzsichernde Arbeit für alle möglich ist.

Ihre Publikation belegt das mit vielen Fakten. Und, tut sich in dieser Richtung etwas?

Ich registriere, dass immer mehr Menschen, die in sogenannten atypischen Verhältnissen arbeiten, sich ihrer Bedeutung und ihrer Masse bewusst werden. Die Bereitschaft wächst, sich mit anderen auszutauschen. Ich beobachte Versuche der Selbstorganisation und ein steigendes Interesse an validen Datenerhebungen, etwa den Wunsch nach Umfragen in Teilbereichen wie der Festivalbranche, bei den Clickworkern oder Autor_innen. Da ist ein deutlich ansteigendes Grundrauschen. In welche Form von Aktion das mündet, ist noch offen. Da sind natürlich auch die Gewerkschaften gefragt. Als wichtigste Sozialpartner auf Seiten der Arbeitnehmer sind sie gefordert, diesen Wandel mitzugestalten. Und zwar pronto. Da ist Handlungsbedarf!

Was müsste konkret angegangen werden?

Umdenken ist Voraussetzung. Traditionelle Interessenvertretungen mit ihren ehrenamtlichen Strukturen funktionieren jenseits betrieblicher Strukturen nicht. Wenn etwa ver.di bei der Gestaltung projektbezogener Arbeitsverhältnisse eine wirkliche Rolle spielen will, braucht sie strukturell andere Angebote, um die „neuen” Projektarbeiter_innen anzusprechen und zu verstehen. Dafür muss ein Konzept her, das die Größe des Wandels akzeptiert. Meines Erachtens muss die Gewerkschaft einen ergebnisoffenen Rahmen stellen und finanzieren, in dem dieses Konzept gemeinsam entwickelt werden kann. Der Wandel umfasst ja nicht nur Startups oder Clickworker, es verändern sich auch „uralte” Branchen wie Verlage und Rundfunk oder Film und Fernsehen.

Es gibt vermehrt gewerkschaftliche Bemühungen, über Umfragen und Studien Verlässliches zu Arbeitsbedingungen und Situation der Kreativen zu erfahren. Was sollte aus Daten und Wissen dann praktisch folgen?

Diese Bemühungen sind sehr neu und sehr lobenswert aber noch völlig unzureichend. Wenn wir nicht in großen Unternehmen, sondern in eher kleinen Teams denken, die zum Teil nur auf Plattformen und zum Teil nur für ein einzelnes Projekt zusammenarbeiten, dann stellt das die Grundlagen gewerkschaftlicher Arbeit genau wie die Grundlagen deutscher Sozialsysteme in Frage. Die Datenlage ist immer noch sehr, sehr dünn. Meine aktuelle wissenschaftliche Arbeit am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin befasst sich – übrigens gefördert von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung – genau damit: Wie sollte Interessensvertretung jenseits des Normalarbeitsverhältnisses stattfinden? Zuerst muss das Normalarbeitsverhältnis als unbedingtes Ziel der Erwerbstätigen in Frage gestellt werden. An diesem Punkt wird oft eine neue Art der Ansprache gefordert, um Kreative dort abzuholen, wo sie sind. Viel wichtiger fände ich allerdings, über neue Vertretungsstrukturen nachzudenken. Wie kann die Unterstützung, die Betriebsräte von Gewerkschaft und Politik bekommen – Kündigungsschutz, Betriebsratsarbeit während der Arbeitszeit etc. – auf selbstständige oder auf Projektbasis angestellte Erwerbstätige übertragen werden? Braucht es vielleicht finanzierte Projektstellen, mit denen sich Einzelne für Vernetzung und Vertretung in der Gewerkschaft engagieren können ohne Angst vor schwarzen Listen oder dem Anschlussverlust haben zu müssen? Solche Fragen finde ich wichtig.

Mit Manpower und Gestaltungswillen – was müsste im Kreativbereich dann geregelt werden?

Zunächst und am Besten sofort schlicht die Einhaltung bestehender Gesetze – Arbeitszeitgesetz, Urhebervertragsrecht etc. – und der bestehenden tarif­lichen Regelungen. Und falls diese nicht greifen, wofür einiges spricht, dann müssten sie systematisch auf den Prüfstand und zwar mit klaren Ergebnissen: Sanktionen oder Erneuerung und Anpassung.

Aktuelles Beispiel Filmfördergesetz: Von meh­reren Seiten wurde versucht, gegenüber dem Regierungsentwurf mehr für die Kreativen durchzusetzen. Wie sehen Sie das Ergebnis?

Es steht jetzt wohl drin, dass die Filmförderanstalt darauf hinwirken soll, sozialverträgliche Bedingungen für die Beschäftigten durchzusetzen. Das ist mehr als vorher und liest sich hübsch. Doch was heißt das genau? Die Anwendung von Tarifverträgen spielt bei Projektanträgen eine Rolle. Aber wer kontrolliert das am Ende? Und selbst wenn Tarife gelten, ist fraglich, ob das für den Einzelnen je zu einer existenzsichernden Rente führen würde. Außerdem: Was ist mit den Selbstständigen, die einen riesigen Anteil der Erwerbstätigen dieser Branche ausmachen und für die die Tarifverträge nicht greifen? Kurz: Ich bin skeptisch, ob das FFG überhaupt das richtige Instrument ist, die sozialen Bedingungen zu regeln, unter denen kreative Projektarbeit stattfindet. Man müsste direkt ran an die Stellen, die Arbeit in diesem Land regeln und absichern.

Wer? Die Kreativen selbst?

Die brauchen mehr Selbstbewusstsein, auch als „Arbeiter”. Die Produkte, die sie fertigen, sind hochgradig relevant für unsere Gesellschaft – egal, ob es Texte, Filme, Festivals, Webseiten oder Designlösungen sind. Kreative sind nicht mehr Bohème, sondern ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Und es sind viele. Ihre Arbeit darf Spaß machen und selbstbestimmt ausgeübt werden und muss es doch ermöglichen, in diesem reichsten Land der Erde Kinder großzuziehen, für das Alter vorzusorgen und nicht zwingend mit 55 noch in einer WG zu wohnen. Da geht es auch um Professionalisierung. Viele Kreative sind inzwischen hochqualifiziert und berufserfahren. Daraus sollten langsam aber auch Verpflichtungen erwachsen: nämlich die zu solidarischem Handeln und der Verweigerung von Lohndumping.

Die Herausforderungen, die sich hier ergeben, betreffen natürlich die Kreativen selbst, aber auch die Sozialpartner und die Politik, die die Rahmenbedingungen schafft. Wenn kreative Arbeit für die Zukunft unserer Gesellschaft als Arbeitsform und als Bedürfnis so essentiell ist wie derzeit vermutet, dann sollten wir die starken Systeme und Partnerschaften nutzen, um sie abzusichern, zu fördern und mitzugestalten, statt achselzuckend zu akzeptieren, dass es halt keine Metaller sind. Diesen Zug sollten wir alle miteinander nicht verpassen …     Interview: Helma Nehrlich <<

*Monitoring zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2014 (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie)

Lisa Basten: Wir Kreative! Das Selbstverständnis einer Branche, Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur, Berlin 2016,

162 Seiten, Broschur, 16,80 € ISBN 978-3-7329-0263-7


Situation der Filmschaffen-den 2015 – Eine Untersuchung

Studie zur soziale Lage, Berufszufriedenheit und den Perspektiven der Beschäftigten der Film- und Fernsehbrache Deutschlands” (Langer media consulting), deren Ergebnisse Lisa Basten bereits weitgehend berücksichtigen konnte, ist jetzt veröffentlicht.

Danach waren 22,3% der befragten Film- und Fernsehschaffenden über 40 Wochen im Jahr beschäftigt, 7,9% unter fünf Wochen. 30,6% erzielten ein durchschnittliches Bruttoeinkommen unter 17.500 Euro, 4% über 100.000 Euro.

Das durchschnittliche jährliche Bruttoeinkommen wurde mit 38.448 Euro angegeben. Nur bei knapp 40% reicht das Einkommen aus der Haupt­tätigkeit zum Lebensunterhalt; 11,3 % gaben an, auch Arbeitslosengeld zu beziehen, 5% sind auf ALG II angewiesen.

Über die Hälfte der Befragten erklärte, bei freiberuflichem Engagement Probleme mit der Bezahlung zu haben. 45% sind weder in einer Gewerkschaft noch einem Berufsverband organisiert.

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