Hollywood steht still

Drehbuchautor*innen protestieren vor den Filmstudios von Paramount Pictures in Los Angeles. Foto: Shutterstock/Ringo Chiu

Autoren und Schauspieler streiken seit Monaten

Der Streik der Drehbuchautor*innen und Schauspieler*innen in Hollywood legt seit Monaten die US-Film- und Fernsehbranche lahm. Die rund 160.000 gewerkschaftlich organisierten Darsteller*innen der Screen Actors Guild – American Federation of Radio and Television Artists (SAG-AFTRA) und die mehr als 11.000 Drehbuchautor*innen der Writers Guild of America (WGA) kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen, eine faire Vergütung und darum, wie in Zukunft mit der Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) umgegangen wird. Sie möchten verhindern, dass Algorithmen mit ihren Werken ohne ihre Zustimmung trainiert werden. Auch die Arbeitsweise der Streamingdienste bietet Grund für Kritik, denn sie schütten im Gegensatz zu klassischen Film- und Fernsehproduktionen in den USA keine Tantiemen aus.

Die Autor*innengewerkschaft streikt daher seit Anfang Mai. Eine Einigung zwischen ihr und den Produzenten ist bislang nicht in Sicht. Nun haben sich auch die Schauspieler*innen dem Streik angeschlossen. Das Resultat: Hollywood steht faktisch still, denn an der Arbeit der Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen hängen etliche Berufsgruppen, von Catering-Teams bis zum Sicherheitspersonal in den Studios. Am 11. August legten die Produzenten der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) ein Angebot vor, das die Gewerkschaften für unzureichend halten. Vor allem aber die Art und Weise, wie die Produzenten über laufende Verhandlungen in der Öffentlichkeit sprechen, irritiert die Gewerkschafter*innen.

Auf Zeit spielen mit alten Tricks

Über den ersten Doppelstreik von Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen in den USA seit mehr als 60 Jahren, die Verhandlungen und die Rolle der Produzenten sprach M mit der Autorin Haley Harris. Sie ist Mitglied der WGA und demonstriert regelmäßig vor den großen Studios in Los Angeles. Zuletzt schrieb sie unter anderem für die Netflix Serie „Sweet Tooth”.

M | Die WGA streikt schon seit über 4 Monaten. Wie ist die Stimmung bei Ihnen?

Drehbuchautorin und Gewerkschaftsmitglied (WGA) Haley Harris
Foto: privat

Haley Harris | Unverändert. Wir sind immer noch sehr sauer. Wahrscheinlich sind wir sogar noch ärgerlicher als zuvor, weil wir angenommen haben, dass die AMPTP die Verhandlungen ernst nehmen würden. Nun sieht es aber ganz so aus, als nutzten sie wieder ihre alten Tricks.

Welche Tricks sind das?

Am 102. Tag hat die AMPTP endlich wieder mit uns gesprochen und in der folgenden Woche wurden die Verhandlungen fortgeführt. Wir sind als Mitglieder nicht direkt in die Verhandlungen eingebunden, wir wussten nur, dass wieder Treffen stattfinden, dass die Produzenten ein neues Angebot gemacht hatten, und dass daraufhin die WGA ihre Forderungen neu unterbreiten wollte. Das wurde jedoch nicht abgewartet. Stattdessen hat der Verband kurzerhand das eigene Angebot über die industrienahe Zeitschrift “Deadline” veröffentlichen lassen. In dem Artikel wurde der WGA unterstellt, dass sie nicht kooperiere. Es war ein offensichtlicher Versuch, die Öffentlichkeit auf die Seite der Industrie zu ziehen und Reibungen innerhalb der Gewerkschaft zu verursachen. Jeder konnte jedoch sehen, dass das ein schlechtes Manöver war. Es kann sogar sein, dass die AMPTP damit gegen ein Gesetz verstoßen hat. Denn in den USA ist es verboten, Inhalte einer Verhandlung zu veröffentlichen, bevor sich geeinigt worden ist.

Auf welcher Grundlage entscheiden die Gewerkschaften in Verhandlungen?

Wir haben uns bereits im Februar auf gemeinsame Forderungen geeinigt. Das ist schon lange vor den ersten Verhandlungen geschehen. Die Gewerkschaft ermittelt über Fragebögen, welche Themen wichtig sind. Mitglieder und Hauptamtliche sprechen dann über die Vorschläge und dann stimmen wir über die Forderungen ab. Natürlich wird nicht jeder Aspekt genau abgesprochen, damit es Spielraum in den Verhandlungen gibt. Aber es gibt Platz für Debatten, lange bevor irgendein Streik beginnt.

Können sie den Verdienstausfall kompensieren?

Wir haben durchaus Ressourcen, vor allem weil die öffentliche Unterstützung groß ist. Es gibt zum Beispiel den Entertainment Community Funds, eine Nichtregierungsorganisation, die Kreativarbeiter*innen finanziell unterstützt, und zwar aus jedem Bereich, nicht nur die Autor*innen. Die Gewerkschaft selbst hat eine Streikkasse, die am Anfang des Streiks mit 20 Millionen Dollar gefüllt war. Die NGO Humanitas verteilt Lebensmittel und der Schauspieler Drew Carey zahlt in drei verschiedenen Restaurants in Los Angeles für jeden die Rechnung, der eine WGA Karte vorzeigen kann, Trinkgeld inklusive. Es gibt zahlreiche solcher Beispiele. Aber wir sind leider auch alle die Arbeitslosigkeit gewohnt, denn die Industrie sorgt dafür, dass unsere Verhältnisse prekär sind. Die meisten Leute, die ich kenne, mich eingeschlossen, haben zweite oder sogar dritte Jobs, um über die Runden zu kommen.

Wie haben sich die Streiks verändert?

Heute sind soziale Medien ein großer Teil unseres Lebens. Auf jeden Artikel, der uns in der industrienahen „Deadline” oder „Variety” zu diskreditieren versucht, kommen heute Reaktionen in den sozialen Netzwerken, wo hunderte, wenn nicht tausende etablierter Autor*innen reagieren. Es gibt viel weniger Möglichkeiten, Misstrauen zu säen, oder uns als bockige Kinder darzustellen, so wie das vor 15 Jahren noch der Fall war. Ich würde interessierten Menschen raten, sich die Zeit zu nehmen, ein bisschen tiefer zu blicken, sich gut zu informieren.

 

 

 

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