Tarifflucht lohnt sich nicht

Tina Groll, Vorsitzende des dju-Bundesvorstandes in ver.di
Foto: Kay Herschelmann

Meinung

Im Journalismus wird nach wie vor Geld verdient, quali­fizierte Fachkräfte sind je­doch rar: Medienkonzerne, die nun aus dem Tarif ausstei­gen, schaden sich nur selbst. Die Mitarbeitenden der „Ostsee Zeitung“ wurden überrumpelt: Mit ei­nem Paukenschlag hatte die Unternehmensführung kürzlich den Kol­leginnen und Kollegen mitgeteilt, dass das Anzeigenblatt „Ostsee-An­zeiger“ zum Jahresende eingestellt werden soll und dazu noch der ei­gene Druckstandort von Rostock nach Neubrandenburg verlegt wird. Damit werden ein tarifgebundener Betrieb geschlossen und Aufträge an tariflose Firmen vergeben. Und das, obwohl die „Ostsee Zeitung“ nachweislich Millionenüberschüsse erwirtschaftet.

Auch der Austritt der Funke-Mediengruppe aus dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) lässt nichts Gutes ahnen. Zwar betont das Management, dass sich die Tariffrage derzeit nicht stelle, da die Verträge in den tarifgebundenen Unternehmen noch bis ins Jahr 2024 liefen. Aber eine Zusage, auch danach die Tarife weiter anzuwenden, gibt es nicht.

Dass viele Medienunternehmen noch immer glauben, Tarifbedingungen schadeten ihnen und müssten beendet werden, ist kaum zu fassen. Und die Art und Weise, wie manche Arbeitgeber dabei vorgehen, ist unerträglich. Vor allem deshalb, weil viele Verlage inzwischen gutes Geld verdienen, seit sich die digitalen Inhalte monetarisieren lassen. Selbst wenn die Printauflage sinkt, haben sich die Unternehmen doch längst zukunfstfest aufgestellt mit digitalen Angeboten und funktio­nierenden Geschäftsmodellen, die den Journalismus absichern soll­ten. Mit einer Medienkrise lässt sich kaum noch argumentieren. Die Zeiten, in denen tariflose Tochterfirmen für Lohndumping gegrün­det wurden und in denen man den in Massen in den Journalismus strömenden hochmotivierten Nachwuchs aus der “Generation Prak­tikum” für Billiglöhne beschäftigen konnte, sind längst vergangen. Heute fällt es immer schwerer, überhaupt noch qualifiziertes und motiviertes Personal zu finden, das bereit ist, im Journalismus mit seinen exzessiven Anforderungen rund um die Uhr bei der Arbeit alert zu sein. Wer dazu bereit ist, wählt aber eine tarifgebundene Redaktion – weil hier die Bezahlung auskömmlich und die Bedingungen demo­kratisch mitbestimmt sind.

Arbeitgeber, die dennoch weiter die Tarifbindung senken – und das bei zunehmender Medienkonzentration, Zentralisierung und Verlust von publizistischer Vielfalt – handeln ignorant und kurzsichtig. Sie schaden dem Journalismus und seiner Glaubwürdigkeit, denn schlechte Arbeitsbedingungen und Personalnot führen zu Qualitäts­verlust und dieser wiederum bedeutet mittelfristig auch einen weiteren Vertrauensverlust der Leserinnen und Leser. Statt Tarife zu umgehen, wäre das Gegenteil richtig: Rein in die Tarifbindung, die Beschäftig­ten an dem Erfolg beteiligen – und auch in den Arbeitgeberverbän­den für starke Flächentarife zu kämpfen.

Die Verlage täten sich damit etwas Gutes, denn Tarifverträge haben nicht nur für die Beschäftigten eine wichtige Funktion, weil sie für faire und transparente Arbeitsbedingungen sorgen. Nur mit starken Flächentarifverträgen sind faire Wettbewerbsbedingungen gegeben und Personalkosten langfristig wirtschaftlich kalkulierbar. Außerdem werden Führungskräfte und Mitarbeitende entlastet, weil sie nicht indi­viduell miteinander Löhne verhandeln müssen, was enorme Ressour­cen und Arbeitszeit bindet. Starke Tarifverträge sichern überdies den sozialen Frieden in einem Betrieb und in einer Branche.

Erfreulich immerhin: Es gibt nicht nur Tarifflucht, sondern auch die Rückkehr in die Tarifwerke. Jüngstes Beispiel: Der Berliner „Tagesspie­gel“ hat gerade einen Tarifvertrag einschließlich der Anerkennung der Flächentarife für sein Haus unterzeichnet.

Tina Groll

Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen-

und Journalisten-Union (dju) in ver.di 

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