Keine Männerdomäne: Junge Frauen mischen in Studiengängen und Teams der Redaktionen mit
„2016 wird das vorerst beste Jahr für den Datenjournalismus in Deutschland werden.“ Davon zeigt sich Lorenz Matzat auf „datenjournalist.de“ überzeugt. Nach dem Schweizer SRF hat nun auch ein öffentlich-rechtlicher deutscher Sender mit BR Data ein eigenes, wie in der Schweiz ebenfalls sehr junges, Team für den Datenjournalismus aufgebaut. Datenjournalismus war 2015 zum ersten Mal eine Kategorie beim Reporterpreis. Eine neue Studie des European Journalism Oberservatory (EJO) zur Ausbildung zum Datenjournalismus in sechs europäischen Ländern hat festgestellt, das bestehende Angebot sei nicht sehr groß, aber vielversprechend.
Verglichen wurden Studiengänge, Journalistenschulen, Fortbildungsangebote von Medienunternehmen und Kurse zum Datenjournalismus von Nicht-Regierungsorganisationen (NGO), Verbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Polen und der Schweiz. Je institutionalisierter in den einzelnen Ländern die Journalistenausbildung ist, desto institutionalisierter sind auch die Lehrangebote zum Datenjournalismus: In Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien sind es in der Regel die Hochschulen und Journalistenschulen, die Datenjournalismus im Angebot haben, in Italien oder Polen dagegen eher NGOs oder Journalisten, die sich in Eigenregie weitergebildet haben.
„Kurse an Hochschulen bieten einen eher ganzheitlichen Zugang zum Datenjournalismus an“, schreibt der Leiter der Studie Sergio Splendore, Mailänder Kommunikationsforscher. An der TU Dortmund, wo es im Studiengang Wissenschaftsjournalismus seit Wintersemester 2003/04 ein Zweitfach „Datenanalyse/Statistik“ gibt, wurde das Angebot 2014/15 zum Datenjournalismus erweitert, erläutert Christoph Marty, der sich zur Zeit die Professur Wissenschaftsjournalismus mit Holger Wormer teilt. Das bisherige Zweitfach hatte die Aufgabe, Journalisten zu sensibilisieren, wissenschaftliche Methoden kritisch zu hinterfragen. Das neue Fach soll die „Studierenden dafür qualifizieren, selbst aus Daten journalistische Stories zu produzieren“.
Die Lehrveranstaltungen zum Datenjournalismus in Dortmund stehen auch den Studenten der Journalistik und des Wirtschaftsjournalismus offen, denn das kreative Durchforsten von Daten kann auch im Wirtschafts- oder im Lokalressort neue Geschichten bringen, wie die Dispo-Zinsen in der ZEIT, eine Busroute quer durch Berlin bei der „Berliner Morgenpost“ oder die Jagd nach Funklöchern bei der Mediengruppe Oberfranken mit der Uni Bamberg.
An der Fachhochschule Darmstadt-Dieburg gibt es im Master-Studiengang „Online-Journalismus“ Datenjournalismus als Schwerpunkt, die Uni Eichstätt bietet zusammen mit dem MedienCampus Bayern Workshops zu Datenjournalismus an. Ob Leipzig School of Media, die Akademie für Publizistik in Hamburg oder die ARD-ZDF-Medienakademie, das Thema steht inzwischen vielfach im Aus- und Weiterbildungsangebot.
Die Dortmunder Datenjournalismus-Studierenden haben inzwischen eine Arbeitsgruppe gegründet und bieten Kooperationen an. „Dafür kommen mittlerweile extra Redakteure nach Dortmund, um mit unseren Studierenden gemeinsam zu lernen“, berichtet Marty beeindruckt.
Den ganzheitlichen Ansatz, den die EJO-Studie besonders an den Hochschulen beobachtete, unterstreicht auch der Dortmunder Datenforscher Marty: „Der Studienschwerpunkt Datenjournalismus ist interdisziplinär.“ Die Datenanalyse lehren Dozenten der Fakultät Statistik, Informatikwissenschaftler schulen die Studenten in der Visualisierung, zusätzlich kommen Praktiker von außerhalb der Uni in die Kurse.
Die Zusammenarbeit zwischen Journalist, Statistiker, Informatiker und Grafiker, das „Finden einer gemeinsamen Sprache“, betont auch der Schweizer SRF-Datenjournalist Julian Schmidli. „Datenjournalismus ist Teamjournalismus“, so Schmidli beim Dreiländertreffen der Initiative Qualität im Journalismus im Januar in Zürich. Und offenbar ist Datenjournalismus auch ein interessantes Arbeitsfeld für junge Frauen, wenn man sich die Teams und Studierenden anschaut. Eine Beobachtung, die Datenjournalist Matzat teilt.
Ob das Angebot an den Hochschulen ausgebaut wird? Marty sieht die Unis zwar als prädestiniert dafür an, aber „trotzdem machen wir aktuell zum Teil selbst die Erfahrung, wie schwierig es ist, erfahrene Dozenten aus der Praxis zu gewinnen: Zwar wächst die Community, aber sie ist noch immer klein. Die besten Datenjournalisten arbeiten ziemlich am Limit.“
Wie sich der Datenjournalismus international weiter entwickelt, hängt von den jeweiligen Informationsfreiheitsgesetzen in den Ländern ab, die große Datenmenge erst zugänglich machen. Bisher sind die Datenprojekte in den deutschen Redaktionen für Marty noch „Leuchtturm-Projekte“. Die Nachfrage nach ausgebildeten Datenjournalisten sei zwar vorhanden, wie nachhaltig der Trend in den Redaktionen ist, sei aber nur schwer abzuschätzen. So auch das Resümee der EJO-Studie: „Datenjournalismus ist zeit- und ressourcenintensiver als andere Formen der Berichterstattung und die meisten Medienunternehmen sehen ihn eher als Kostenfaktor und nicht als Investition.“