Das Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wird seinen mediengeschichtlichen Platz finden. Offenbar ungewollt schlug es hohe Wellen im deutschen Journalismus, in Justiz und Politik. Verwundern kann das nicht, tangiert es doch eines der höchsten im Grundgesetz verankerten Güter der deutschen Demokratie: die Pressefreiheit. Das zumindest sieht auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di so. Dennoch, einige wiegeln ab, sprechen von unnötig aufgebauschter Debatte. Aus dem Hause des Justizministeriums verlautet gar, dass diese Entscheidung keine Wirkung auf deutsches Recht habe – kein Grund also für Regierungsaktivitäten, wie etwa Widerspruch in Straßburg einzulegen.
In wie weit die Pressefreiheit „geknebelt“ wird (Der Spiegel 39 / 2004) oder, ob das Urteil etwa „nur“ den Boulevardjournalismus betrifft oder, ob die minimale Einschränkung nicht der Rede wert ist, wird sich zeigen. Diese Debatte wird intensiv und kontrovers auch unter Kolleginnen und Kollegen der dju in vielen Redaktionen geführt. Sie gibt in jedem Fall jenen Recht, die sagen, dass die Entscheidung „große Unsicherheiten in der journalistischen Praxis“ aufwerfe. Wer wird künftig entscheiden, ob ein Foto erscheint, der Redakteur in Ausübung der Pressefreiheit? Der Promi, dem gerade diese Fotosequenz nicht ins Konzept der öffentlichen Eigendarstellung passt? Oder letztlich – nach langwierigen Prozessen – die Justiz mit den sich in ihren Abwägungen unterscheidenden Richtern? Aus diesen Gründen griff «M» den Vorschlag des dju-Bundesvorstandes in einer seiner jüngsten Sitzungen auf, dieses Thema und seine Hintergründe sowie Folgen nochmals aufzugreifen und zur Diskussion zu stellen (Titelthema).
Ein Urteil zu Tierversuchsfotos wird als Erfolg der Pressefreiheit verbucht, da die Bilder nunmehr rechtskräftig veröffentlicht werden dürfen. Aber wie gehen die Medien damit um, lassen sie sich durch die kritisierte Firma auch im Nachhinein einschüchtern und verzichten auf die Veröffentlichungen ( -> )? Für die Verwendung von Gewaltfotos gibt es keine Patentrezepte war das Fazit eines Hearings des Deutschen Presserats ( -> ).
Die Verleihung des Goldenen Maulkorbs (-> ) könnte mit Blick auf die Presse und ihre Wächterfunktion gleichfalls zum Nachdenken anregen. Der Name eines Ministerialrats im Brandenburger Bauministerium darf per gerichtlicher Verfügung nicht im Zusammenhang mit dem Privatkauf eines Wassergrundstücks, auf dem sich eine Gedenkstätte befindet, genannt werden. Der Mann will die Gedenkstätte schließen, „entwidmen“ lassen, um dort Stadtvillen zu bauen.
Die Pressefreiheit in anderen Ländern wird auch in dieser Ausgabe auf den internationalen Seiten (S . 27 – 30) unter die Lupe genommen. So in der Türkei, wo regierungskritische Karikaturen mit Geldstrafen geahndet werden. Das Arabien jenseits der Bomben lernten Kolleginnen und Kollegen in einem dju-Seminar kennen ( -> ).