Geheime Spitzelei bei der Main-Post

Qualitätscheck in Listen. Geht es bei der Kontrolle um Abläufe oder Menschen?
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Eine ominöse Liste mit Leistungsbewertungen sorgte kürzlich bei der Main-Post für Aufregung. Inzwischen haben Gespräche in den betroffenen Redaktionsabteilungen stattgefunden. Eine zufriedenstellende Erklärung der Chefredaktion für die geheime Spitzelei sehen Aktive und Betriebsrat nicht geliefert. Im Gegenteil:  Transparenz und Mitbestimmung bei der Informationsbeschaffung scheinen auch künftig nicht vorgesehen zu sein.

Die eigentlichen Vorgänge liegen mehr als ein Jahr zurück. Sie hängen im weitesten Sinne mit der digitalen Transformation zusammen, die bei der zur Mediengruppe Pressedruck Augsburg (Augsburger Allgemeine) gehörenden Main-Post angestrebt und unter der Projektbezeichnung „Aladin“ gefasst ist. Die Umstrukturierung zielt erklärtermaßen bis 2024 auf Einsparungen von 20 Prozent. Von Entlassungen ist keine Rede. Doch Auswirkungen auf das Personal hat das präferierte Prozessdenken in Anlehnung an industrielle Produktion sehr wohl. So soll ein „Digitaler Werkzeugkasten“, von Tools und Methoden den elektronischen Output in Mainfranken erhöhen helfen. Die angestammten Redakteur_innen wurden an diesem Werkzeugkasten geschult und sind angehalten, praktisch mehr für Online zuliefern. So der Plan.

Fast zufällig und nur schrittweise stellte sich heraus, was am Rande dessen zu Jahresbeginn 2017 passiert war: Transformationsmanager Ivo Knahn, seinerzeit leitend in der Online-Tochter Main Post Digitale Medien GmbH tätig und heute stellvertretender Chefredakteur, beauftragte seine Content-Manager, Journalisten und Reporter von drei Redaktionsabteilungen in Würzburg zu beobachten, inwiefern diese den Digitalen Werkzeugkasten beherrschen und nutzen. Ergebnis dieser Observationen war eine Liste mit Leistungsbeurteilungen über einzelne Personen. Zu rund zwei Dutzend Redakteur_innen aus den Abteilungen Lokal Desk Süd, Aktuelles und Sport fanden sich dort sehr subjektiv gefärbte Bemerkungen. Sie hätten von lobend bis drastisch abwertend gereicht, sagen Leute, die die Aufstellung im Original zu Gesicht bekamen.

Betroffene fielen aus allen Wolken, als die redaktionelle Interessenvertretung das bei einer Betriebsversammlung am 20. Februar 2018 schließlich thematisierte. Der Betriebsrat äußerte Entsetzen über die geheimen Kontrollen und plädierte für eine Kultur der Offenheit. Von einem Missverständnis sprach dagegen Vize-Chefredakteur Knahn und sicherte klärende Gespräche mit den Betroffenen zu.

Tatsächlich haben solche Aussprachen in den Redaktionsabteilungen mittlerweile stattgefunden. Dem Vernehmen nach soll es zum Teil hoch hergegangen sein. Dass eine Tochterfirma die Redaktion kontrolliere und die Betroffenen, selbst die Interessenvertretung, darüber nicht informiert wurden, war der Hauptvorwurf. Auf Wunsch wurde den Redakteur_innen nun zumindest die individuelle Einschätzung von der Liste mitgeteilt. Ein Unrechtsbewusstsein oder wenigstens Einsicht bei Chefredaktion oder Geschäftsführung seien dagegen nicht erkennbar gewesen, kritisieren Teilnehmer. Man habe diese Informationen auf anderem Wege nicht bekommen können, soll Initiator Ivo Knahn sein Vorgehen gerechtfertigt und nicht ausgeschlossen haben, dass solche Methoden erneut genutzt werden könnten. Der Vize-Chefredakteur habe dafür geworben, dem Begriff Kontrolle „seine negative Note zu nehmen“ und Derartiges als „ganz normalen und üblichen Vorgang anzusehen“, steht in einem Betriebsrats-Newsletter vom März. Die Interessenvertretung will zumindest darauf dringen, „dass Art und Weise und die Rahmenbedingungen für alle … transparent sind“ und Bewertungen „nach objektivierbaren Grundsätzen durchgeführt“ werden, heißt es dort weiter.

Es sei „das Mindeste“, dass man bei der Main-Post Informationspflichten gegenüber Betriebsrat und Beschäftigten einhält, fordert der zuständige ver.di-Bezirkssekretär Bernd Bauer. Die seien nach Betriebsverfassungsgesetz auch bei den zweifelhaften Leistungskontrollen vom vergangenen Jahr klar gegeben und verletzt worden, kritisiert er. So müsse man von „regelrechten Spitzeleien“ sprechen. „Es ist dringend an der Zeit, Transparenz und Mitsprache bei allen im Rahmen von ‚Aladin’ laufenden Maßnahmen zu sichern. Das Unternehmen sollte dazu Betriebsvereinbarungen abschließen“, mahnt der Gewerkschafter.

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