Hetze im Netz richtet sich vor allem gegen aktive Frauen. Doch den rechtsextremistischen Männern, die zumeist dahintersteckten, gehe es um mehr, nämlich „die Demokratie zu zersetzen“, so Grünen-Politikerin Renate Künast zum Umgang mit Frauenhass im Netz. Eine engagierte Podiumsdiskussion war neben der Verleihung der Hedwig-Dohm-Urkunde und anderer Preise ein Highlight der Jahrestagung des Journalistinnenbundes (JB) und machte Mut, gemeinsam gegen Antifeminismus und Rechtsextremismus vorzugehen – juristisch, journalistisch, politisch.
Um 1870 schon erhielt Frauenrechtlerin Hedwig Dohm Drohbriefe, so JB-Vorsitzende Friederike Sittler. Damals wie heute würden „Männer nervös“, wenn Frauen ihren Teil an der Macht einfordern und sich nicht damit begnügen, „mitgemeint“ zu sein – wie etwa in dem JB-Projekt „Genderleicht“, das im vergangenen Jahr startete und bereits in vielen Medien zu einer geschlechtergerechten Sprache führte. Doch wenn Frauen sich für ihre Rechte einsetzen, erfahren sie nicht nur Widerspruch, sondern auch Hass. „Je präsenter die Frauen, desto wütender offenbar die Reaktionen“, so Sittler.
… nichts mit dem Inhalt zu tun
Als Moderatorin Angelika Knop die vier Frauen in der Runde nach persönlich erlittenen Hasskommentaren fragte, erhielt sie recht unterschiedliche Antworten. Journalistin Alice Hasters sagte, sie sei erst seit einem Jahr „Angriffsfläche“, als ihr Bestseller „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollen“ erschien. Panorama-Moderatorin Anja Reschke erlebte den jüngsten Shitstorm vor neun Wochen, als das Politmagazin über Rechtsextremismus und Bundeswehr berichtete. Grund der Hetze: Der Beitrag stammte von zwei Autorinnen und eine Expertin kam zu Wort. „Es ging nur noch darum, uns Frauen fertig zu machen, die Kritik hatte nichts mit dem Inhalt zu tun“, so Reschke.
Die Hetze habe abgenommen, meinte dagegen Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky, die als Genderforscherin auch Zielscheibe von Frauenhass war. Renate Künast sollte als Politikerin laut Urteil des Berliner Landgerichts Beleidigungen wie „Drecksfotze“ ertragen, geht juristisch aber weiter dagegen vor und konstatiert, „der Ton ist ziviler geworden“. Sie engagiert sich für die Beratungsstelle HateAid, die Opfer von digitaler Hassrede unterstützt, wenn sie Klage einreichen wollen und das Geld vorstrecken müssen. Künast wies darauf hin, dass es erfolgversprechender sei, zivilrechtlich gegen Ehrverletzungen vorzugehen als in Strafverfahren. Sie forderte härtere gesetzliche Regelungen für die Plattformen.
Aufmerksamkeit durch Krakeelen
Bei der Analyse struktureller Ursachen für die Hetze im Netz setzten die Diskutantinnen unterschiedliche Akzente. Villa skizzierte das Internet mit Vielfalt und Kontroversen als ambivalent. Einerseits fördere es die Demokratisierung der Kommunikation, da es weniger Gatekeeper und vielfältigere Stimmen gebe, die – wie etwa in der Debatte über Rassismus – international und crossmedial hörbar würden. Andererseits entstehe Aufmerksamkeit durch Lautstärke, „Krakeelen“, Pro- und Contra-Schlammschlachten, Emotionen vor Inhalt. Alice Hasters sah das ähnlich und erinnerte daran, dass die Mechanismen der Skandalisierung, Zuspitzung und Emotionalisierung schon vor der Digitalisierung wirkten, sich aber extrem verschärft hätten. Die Rechten nutzten ihre Dynamik frühzeitig, um sich Gehör zu verschaffen und Medien zur Berichterstattung zu drängen.
Anja Reschke bezweifelte, dass es Vielfalt im Netz gibt: “Es ist irre langweilig!“ Es gebe ein eingeschränktes Themenspektrum und klar gesteuerte Kampagnen von Identitären oder AfD-Leuten: “Ich weiß, dass ich meine Trolle bei Schlagworten wie Bundeswehr und Frauen hinter mir versammle.“ Für Redaktionen sei es sehr wichtig zu verstehen, dass es sich dabei um „gezielte Angriffe auf die freie Presse“ handelt.
Um das Publikum zu erreichen, müsse man aber auf social media präsent sein und die Wirkmechanismen begreifen, so Reschke. Sie erinnerte an die 90:9:1-Regel: 90 Prozent der User lesen nur mit, neun Prozent teilen oder liken und nur ein Prozent ist aktiv. „Für die 90 Prozent macht man Social-Media-Management“, so Alice Hasters, die zwei Jahre bei der „Tagesschau“ in diesem Job arbeitete. Wenn man einen Troll-Kommentar einordne und Zusatzinfos liefere, merke man, „wie sich die Unterhaltung unter dem Thread ganz anders entwickelt.“
Die Muster aufdecken
Bei der Hetze im Netz gehe es um Deutungs- und Handlungsmacht – die Macht, andere fertig zu machen und die sei „männlich kodiert“, so Villa. Hinter dem lauten einen Prozent steckten nach empirischen Studien vor allem Männer. Aber es gebe auch sexistische Frauen, die „ordentlich trollen“ – etwa, wenn sie Karriere machen wollen und sich dabei männlicher Muster bedienen, statt solidarisch mit anderen Frauen zu handeln.
Villa betonte, man müsse in Redaktionen, Universitäten und anderen Einrichtungen verstehen, welche Gruppen und Personen von Hass und Hetze betroffen sind und nach welchem Muster, welcher Systematik dieser verbreitet wird. Die Verantwortlichen dürften nicht abwiegeln und die Betroffenen alleinlassen. Künast nahm Redaktionen in die Pflicht, ihre Mitarbeiter*innen besser zu schützen – egal ob festangestellt und frei –, denn bei HateAid habe sie auch Journalist*innen getroffen, die von ihren Sendern „extrem frustriert“ waren.
Kern des Problems sei die internationale Vernetzung von Rechtsextremismus und Antifeminismus, der demokratische Systeme bedroht, betonte Künast zum Schluss und wünschte sich, dass Journalist*innen stärker aufdeckten, welche Strategien dahinter stehen. Ermutigt im Kampf gegen Hass und Hetze fühlte sich die Runde durch die „vielen wehrhaften Initiativen“, die es bereits gibt.
Mutmacherinnen
Für ihren Mut, gegen alle Widerstände gendersensibel zu berichten, wurden vier Journalistinnen mit den Medienpreisen des JB ausgezeichnet. Fabienne Hurst erhielt den Marlies-Hesse-Nachwuchspreis für einen Artikel über demütigende Aufnahmerituale bei der Lufthansa. Mareike Nieberding und Nicole Ficcociello wurden gemeinsam mit dem Couragepreis ausgezeichnet, weil sie über die Unsichtbarkeit von Frauen in der Medizin berichteten – gerade in Coronazeiten ein hochaktuelles Thema. Die Hedwig-Dohm-Urkunde wurde der Journalistin und Moderatorin Petra Gerster für ihr Lebenswerk verliehen – angefangen beim ZDF-Frauenmagazin „Mona Lisa“, wo sie bereits 1989 Themen aus weiblicher Perspektive betrachtete, bis hin zu den „heute“-Nachrichten, die sie gendergerecht moderiert und auch damit inhaltlich den Denkhorizont öffnet – etwa bei der Kandidat*innensuche für den CDU-Vorsitz.