Comedy boomt mehr als je zuvor

Wie steht's um die deutsche Comedy-Branche? Moderatorin Aycha Riffi, Bernhard Hiergeist, Henning Bornemann, Nicole Jäger. Foto: Tilman Lothspeich/Grimme-Institut

In den vergangenen beiden Jahren hat sich in der Welt viel getan: Selten waren gesellschaftliche Brüche und Umbrüche deutlicher zu erkennen, während Krisen zu Alltagserscheinungen geworden sind. Sind das nun gute oder schlechte Zeiten für Humor in TV und Medien? Dieser Frage versuchte jetzt mit Blick auf das Genre Comedy die Veranstaltung des Grimme-Instituts „Was gibt’s zu lachen“ in Köln zu klären. Es sind jedenfalls zahlreiche neue Formate sowie Serien entstanden, die das Publikum dankbar angenommen hat.

Krisen können anscheinend ganz eigene Genres entstehen lassen: beispielsweise mit den Corona-Shows, die am Anfang der Pandemie zahlreich auf Sendung gingen. Und der Bereich Satire und Kabarett hatte wohl überhaupt keine Schwierigkeiten mehr, Themen zu finden: Sendungen wie die heute show, ZDF Magazin Royale oder Die Caroline Kebekus Show konnten reichlich aus dem aktuellen Geschehen schöpfen. Parallel dazu war auch Eskapismus beliebt, wie unter anderem das Erfolgsformat auf Amazon LOL – Last one Laughing zeigte. Auffallend ist zudem, dass ARD und ZDF verstärkt YouTube-Kanäle mit eigenen oder extra für die Plattform produzierten Inhalten bespielten.

Dabei ist das Witzgewerbe diverser geworden, oft befasst mit Alltagsbewältigung sowie der Ablenkung von den Sorgen, die viele Menschen zurzeit bewegen. Ebenso werden die Inhalte immer mehr auf bestimmte Zielgruppen und verschiedenen Plattformen zugeschnitten, weil es das Massenpublikum nicht mehr gibt.

Und so machte der Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger in Köln noch einmal auf die wichtige Funktion von Comedy aufmerksam. Dabei, so Hallenberger, werde der Gattung in Deutschland traditionell nicht zugestanden, auch wichtige Themen zu be- und verhandeln. „Aber wie funktioniert denn Humor überhaupt?“ Seine Antwort: Es geht um Geschichten, bei denen eine Erwartungshaltung aufgebaut wird, die sich nicht erfüllt wird, sondern die mit einer Überraschung enden: „Daher kann sich Comedy eigentlich in jedem Genre etablieren.“

Morddrohungen sind kein Berufsrisiko

Besonders der Einfluss aus Großbritannien hat nicht nur in seiner Sicht hierzulande einiges bewirkt. Dort, aber auch in Frankreich, sei Humor mit einer Lebenshaltung verbunden. In England etwa gelte Witz als Ausweis von Individualität, Intelligenz und Souveränität. In Frankreich sei „Comédie“ eine Haltung gegenüber den Absurditäten der Welt: „In Deutschland gibt es eine situative Abgrenzung. Entweder es ist eine Spaßsituation oder es ist eine ernste Situation.“

Klassische Pionier*innen wie Otto, Loriot oder Maren Kroymann hätten diese Muster schon aufgebrochen, ganz zu schweigen, von einer „etablierten Generation“, die inzwischen auch als Vorbilder gelten, darunter Kurt Krömer oder Michael Mittermeier. Das gilt auch für die Formate, die zurzeit wieder revitalisiert werden, etwa „TV Total“.

Die wichtigste Aufgabe von Comedy in dieser krisengeschüttelten Zeit aus der Sicht des Medienwissenschaftlers: Dämonisierung zu verhindern. Aber genau die trifft eben oft auch Comedians wie Nicole Jäger. „Ich bin ‚die Dicke‘, eine übergewichtige Frau, die auch noch witzig ist, da kommen gleich drei Dinge zusammen“, berichtete die Autorin und Komikerin in Köln. Hasskommentare passierten nicht auf der Straße oder während des Bühnenauftritts, sondern immer nur im digitalen Raum. Als sie ein Bild von sich in einem kurzen weißen Kleid gepostet hatte, hagelte es Morddrohungen und Schilderungen von Vergewaltigung.

Als Berufsrisiko wollte sie das auf keinen Fall verstanden wissen: „Jede Bedrohung ist eine persönliche Sache, und sie ist kein Berufsrisiko beziehungsweise sollte nicht als solches gelten. Es geht um jede Form von Andersartigkeit. Regel Nummer eins bei Hatern: Nie antworten, lieber die Schwachen unterstützen.“

Sender müssen ihre Comedians schützen

Wie solche Shitstorms entstehen, hat Henning Bornemann selbst erfahren: als Komponist des Liedes „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“. Mit Blick auf die Klimabewegung hatte der Redakteur als Beitrag für seine Sendung „Satire Deluxe“ im WDR-Hörfunk die Adaption von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ mit seiner Tochter aufgenommen. Der WDR selbst hatte das Stück diesem satirischen Kontext entnommen und einige Monate später von einem Kinderchor einsingen lassen. Nach der Ausstrahlung dieser Version kam es zu einem Shitstorm, durch den sich anschließend WDR-Intendant Tom Buhrow höchstpersönlich genötigt sah, eine Entschuldigung auszusprechen.

„Es waren eigentlich nur 400 Leute aus dem deutschsprachigen Raum, die das Thema groß gemacht haben“, sagte Bornemann während der Grimme-Veranstaltung. Aber deren Aktivitäten hatten ausgereicht, um überzogene Reaktionen in Gesellschaft und Medien zu provozieren.

Der Journalist Bernhard Hiergeist ordnete den Vorfall als typisch ein: „Es passiert eher selten, dass sich ein Unternehmen hinter Betroffene stellt. Dann war es der Autor, der Comedian, und wir entschuldigen uns. Aber den Hatern geht es nicht um Argumente.“ Hiergeist verwies auf die Vereinigten Staaten, wo die neue Rechte ihre Ideologien erfolgreich über Comedy transportiert. Eine Entwicklung, die für Deutschland auch zu erwarten ist: „Man kann sich hinter einem Witz auch gut verstecken. Und Rassismus mit Rassismus zu unterminieren, gelingt fast nie.“

In Köln wurde außerdem deutlich, wie wichtig das Genre für Programmanbieter ist. So kündigte Isa Ostertag vom ZDF an: „Für die nächsten Jahre wollen wir die Zielgruppe der 25- bis 35-Jährigen in den Fokus nehmen.“ Wichtigstes Genre dabei, um die jüngeren Zielgruppen zu erreichen: Comedy. So werden die Mainzer zukünftig mit YouTuber Torge Oelrich, der auf der Plattform als Freshtorge rund 3,65 Millionen Abonnenten um sich versammelt hat, zusammenarbeiten. Für die ZDF-Mediathek wird er die Comedy „Einsame Herzen“ produzieren, die Datingshows und Partnerbörsen parodieren soll.

„Wir suchen vor allem nach Sketch Comedy – Formaten, um in diesen Post-Corona-Zeiten aus unseren Möglichkeiten noch mehr zu machen“, sagte Ostertag. Sie betonte, dass außerdem Female Comedy vor und hinter der Kamera mehr stattfinden soll.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »