Corona: Herkels Wochenrückblick Nr. 4

Bild: 123rf

Jede Krise hat Gewinner und Verlierer. Und bringt gelegentlich erstaunliche Phänomene hervor. Während die Unternehmen der Filmbranche, vor allem auch die Kinobetreiber, in schweren existenziellen Nöten stecken, erfährt eine eher nostalgische Art des Filmeschauens derzeit eine erstaunliche Renaissance: das Autokino.

In der Grimme-Preis-Stadt Marl sieht das so aus: Eine Veranstaltungswiese hinter dem örtlichen Biker-Treff mit Platz für 200 Autos. Keine Abendkasse, Angebote müssen online gebucht werden. Eintritt pro Auto: 16,50 Euro (maximal zwei Erwachsene und deren im Haushalt lebende Kinder). Tickets werden durch das geschlossene Fenster gescannt, die Snacks von einem Mitarbeiter mit Mundschutz/Handschuhen auf einem Tisch vorbereitet. Gefragt sind offenbar weniger Katastrophenstreifen als Humoristisch-Unterhaltsames. Eröffnungsfilme in Marl: „Der König der Löwen“ und Oscar-Winner „Parasite“. Kleiner Nebeneffekt: Trotz PKW-Nutzung winkt auch die Verbesserung der individuellen CO2-Bilanz, wegen vermindertem Netflix-Streaming zu Hause.

Ansonsten aber sieht es in der Branche weiterhin düster aus, vor allem was die regionalen Medien angeht. Die Werbewirtschaft rechnet für April medienübergreifend mit einem Rückgang der Werbeinvestitionen um 40 Prozent.  Umso dringlicher erscheinen Maßnahmen zur Sicherung der lokalen und regionalen Medienvielfalt, die auf der Agenda der Staatskanzleien der Länder auch schon vor Corona ganz oben standen. Nur geschehen ist bislang wenig. In einem Beitrag für die FAZ analysiert Helmut Hartung, Chefredakteur des Blogs medienpolitik.net, die medienpolitische Ausgangslage und die bisherigen Initiativen einzelner Länder. Es drohen Monopoltendenzen, ein Schrumpfen regionaler Berichterstattung mitsamt negativen Folgeerscheinungen: „Desinformation, Filterblasen und das Erstarken der politischen Ränder jenseits des demokratischen Spektrums“. Dabei sollte ursprünglich in den kürzlich verabschiedeten Medienstaatsvertrag auch erstmals „die Förderung journalistischer Angebote/Projekte von Rundfunkveranstaltern, Telemedienanbietern, einschließlich Anbieter- oder Veranstaltergemeinschaften zur Sicherung der lokalen und regionalen Medienvielfalt“ ermöglicht werden. Diese Regelung war aber aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken am Ende gestrichen worden. Hartung empfiehlt die Wiederaufnahme des gestrichenen Passus in den Vertragstext, “um regionalen und lokalen Medien den Corona-Restart zu erleichtern“.

Während bundesdeutsche Verleger den Staat vor allem zur Übernahme der Kosten für den Vertrieb ihrer Produkte drängen, ist man bei den Nachbarn in Österreich schon ein Stück weiter. Da wartete die Kurz-Regierung schnell mit einer Corona-bedingten Medienförderung auf.  Die allerdings ist, wenn man dem sozialdemokratischen Diskussionsblog „Kontrast“ glauben darf, nicht wirklich neutral. ÖVP-freundliche Blätter profitieren wesentlich mehr als regierungskritische Medien. Gleiches gilt für die Verteilung der Gelder bei der Informations-Kampagne der Regierung zu Corona. Wer in den Genuss von Staatsknete – immerhin 15 Millionen Euro – kommt, darüber entscheidet Gerald Fleischmann, Ex-Pressesprecher von Kurz, neuerdings „Kanzlerbeauftragter für Medien“. Wegen mangelnder Staatsferne hierzulande nicht zur Nachahmung empfohlen!

Über die Leistungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der aktuellen Ausnahmesituation gehen die Meinungen weit auseinander. Steffen Grimberg, während des Vorsitzes von Karola Wille 2016/17 ARD-Sprecher, sieht die Öffentlich-Rechtlichen als Krisengewinner. Er begründet dies nicht allein mit den gegenwärtigen Rekordquoten der Infoprogramme. Vielmehr erwiesen sich ARD und ZDF als im besten Sinne „systemrelevant“, da sie – ohne sich gegenüber dem Regierungshandeln unkritisch zu zeigen – die FDGO stützten und verteidigten sowie mithelfen würden, „die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten“.

Zu einem völlig anderen Urteil kommt „epd Medien“ in einem Kommentar vom 10. April. Kritisiert werden – teilweise wohl zu Recht – der Mangel an gutem Wissenschaftsjournalismus, der „monothematische Ausnahmezustand“ in den politischen Talkshows und einiges mehr. Gefolgt von der Warnung, die aktuell hohe Publikumsakzeptanz nicht als „Totalbestätigung des Programms“, als „Legitimationsurkunde für ein großes ‚Weiter so‘!“ misszuverstehen.

Dann aber wird es grundsätzlich: Jetzt, so der Evangelische Pressedienst, werde „schmerzlich spürbar, dass ARD und ZDF seit mehr als 30 Jahren an einer Entpolitisierung ihrer Programme gearbeitet haben und stattdessen zumeist seichtes Entertainment bevorzugen“. Entpolitisierung? In den ersten beiden Aprilwochen brachte allein die ARD gleich drei hochkarätige Doku-Fiction-Filme mit harter Polit-Kost: „Meister des Todes“ (Thema: Waffenhandel), den Zweiteiler „Der Überläufer“ (Thema: Desertion im Zweiten Weltkrieg) und „Die Getriebenen“ (Thema: Flüchtlingskrise 2015). Und das völlig unabhängig von Corona. Merke: Wo Medienkritik reflexartig im Programmschema nur noch „rote Rosen“ und „Blutlachen in Serie“ scannt, schmeckt sie gelegentlich selbst ein wenig ranzig.

Was sich sonst noch anzusehen lohnt: Das „Zapp-Spezial: Pressefreiheit in Zeiten von Corona“. Mit Beiträgen über die aktuelle Situation der Medien in China, Syrien, Italien, USA und Brasilien.

Lesenswert ist überdies die neue Ausgabe des Online-Magazins „Weltzeit“ der Deutschen Welle. Darin geht es um die Auslands-Berichterstattung der Welle im Ausnahmezustand und die Perspektive des Publikums.

Gleiches gilt auch für das brandneue Produkt des Branchenfachdienstes „Meedia“. 88 pralle Seiten, verfügbar als E-Paper und Printmagazin (!) mit einer Titelgeschichte über Fred Kogel, der gemeinsam mit dem (auch an Axel Springer beteiligten) Finanzinvestor KKR ein kleines Medienimperium (Tele Gruppe München, Universum, I&U) zusammengekauft hat. Corona kommt auch vor, aber nicht monothematisch. Regulärer Monats-Abo-Preis: 30 Euro. Die Erstausgabe des Wochenmagazins ist gratis verfügbar.

Nicht nur Kulturtempel wie Museen, Theater, Oper und Klubs nutzen die erzwungene Pause für Online-Präsentationen ihrer Werke. Auch so disparate Institutionen wie „Vogue“, „Bravo“, die UEFA sowie der Pay-TV-Sender Sky laden ihr Publikum mittels einer Öffnung ihrer Archive zu virtuellen Rundgängen ein. Das geht nicht ohne nostalgische Gefühle ab. Bei der „Bravo“ zum Beispiel lassen sich nicht nur Dr. Sommers Sexratschläge aus den 60er Jahren nachlesen. Auch der legendäre Starschnitt einstiger Pop-Idole kann aufgerufen und im Download erstanden werden. Eine Nummer pro Jahr ist gratis, ganze Jahrgänge sind für kleines Geld kostenpflichtig. Hier der Überblicksartikel von Susan Vahabzadeh aus der SZ mit den wichtigsten Links.

Kolleg*innen, denen wegen Corona der größte Teil der Aufträge weggebrochen ist, werden Slogans wie „die Krise als Chance begreifen“ möglicherweise als leicht zynisch empfinden. „Fünf Chancen für Medienprofis“ wittert auch der Ex-Journalist und heutige Coach Attila Albert in einem Newsroom-Artikel unter „Vermischtes“.

Darin gibt der frühere „Bild“-Textchef so probate Tipps wie „flexibler arbeiten“, „digitaler kommunizieren“ und „die eigenen Ressourcen stärken“ („Hat das eigene Geschäftsmodell genug Substanz oder ist eine Veränderung längst überfällig?“). Durch „20 Jahre Sparrunden“ gebeutelten Journalisten wird sogar geraten, „ernsthaft über die eigene Zukunft nachzudenken“. Als einen Nebeneffekt des Home Office begreift der Autor die Chance auf „zusätzliche Zeit“ zur Reflexion. Leichte Zweifel daran kommen allerdings beim Betrachten dieses Clips, den junge Werbefilmer der Filmakademie Baden-Württemberg im Auftrag eines bekannten Büromaschinenherstellers kreierten. Der Horizont hat’s gefunden.

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