Je prekärer der Job desto mehr Frauen

Foto: Die Kleinert/Schwarwel

Journalistinnen verdienen weniger und bekleiden seltener Führungspositionen

„Je prekärer der Job, desto weiblicher der Nachwuchs“, sagte Vanessa Vu von Zeit Online auf dem ver.di-Journalistentag in diesem Jahr. Das bestätigen Wissenschaft und Medieninitiativen: Im Zuge der Journalismuskrise mit verschlechterten Arbeitsbedingungen ist der Anteil insbesondere jüngerer Frauen am Redaktionspersonal gestiegen. Doch in den Chefsesseln sitzen vor allem Männer.

Vanessa Vu freute sich, dass sie im Januar endlich einen unbefristeten Vertrag bekommen hatte – nachdem sie für ihre Arbeit mit zwei Journalistenpreisen ausgezeichnet und vom Medium Magazin 2018 zu den „Top 30 bis 30“ gewählt wurde. Sie gehört damit zu den unter 36-Jährigen, die nach der Studie „Journalismus in Deutschland“ von 2015 den Frauenanteil auf etwa 40 Prozent angehoben haben. Die jüngere Generation ist nämlich zu 59 Prozent weiblich, erläutert eine der Autor*innen dieser aktuellsten repräsentativen Untersuchung, die Münchener Kommunikationswissenschaftlerin Corinna Lauerer. Sie hat die Ergebnisse unter Genderaspekten ausgewertet und festgestellt, dass Journalistinnen häufiger in Teilzeit arbeiten, weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen und seltener Leitungsfunktionen bekleiden.

Teilzeitarbeit „Segen wie Fluch“

In Deutschland arbeiten acht Prozent der Journalist*innen in Teilzeit, aber unter ihnen sind fünfmal so viele Frauen wie Männer. Lauerer erläutert auf Nachfrage von M, das könne man mit der im Gleichstellungsbericht der Bundesregierung analysierten Gender Care Gap erklären, die auch für die Medienbranche gelten dürfte. Danach arbeiten Mütter nämlich besonders häufig in Teilzeit und unbezahlte Pflegearbeit werde überwiegend von Frauen geleistet. Eine Teilzeit-Beschäftigung könne „Segen wie Fluch“ sein, so Lauerer. Einerseits schaffe etwa eine Führungsposition in Teilzeit die Flexibilität, Kinderbetreuung und Karriere zu koordinieren – ein Modell, das in Deutschland aber noch wenig Schule mache. Andererseits seien es unter den Teilzeitbeschäftigen vor allem Frauen, die gerne mehr arbeiten würden. Im Journalismus werde die Arbeitszeit reduziert, um Kinder oder ältere Verwandte zu betreuen sowie mehr Freizeit zu haben. Ein möglicher Grund könne auch die Prekarisierung des Berufs sein, denn die teilzeitbeschäftigten Journalist*innen hätten doppelt so häufig Nebenjobs wie Kolleg*innen, die Vollzeit tätig sind.

Wie schon in früheren Studien zeigten sich im Geschlechtervergleich beim Netto-Einkommen erhebliche Unterschiede, so Lauerer. Sie und ihren Kolleg*innen, die sich „der klassischen Berechnung lediglich annähern“ konnten, ermittelten eine Gender Pay Gap von durchschnittlich 25 Prozent, d. h. in Deutschland verdienen Journalistinnen circa 800 Euro weniger als ihre männlichen Kollegen. Ein Grund sei, dass sie anteilig etwas häufiger bei Online-Medien und Zeitschriften arbeiten, wo das Gehaltsniveau im Allgemeinen niedriger sei. Zudem komme hier die „unter Journalistinnen verbreitetere Teilzeitanstellung, die durchschnittlich geringere Berufserfahrung und geringere Repräsentation in Führungspositionen zum Tragen“.

Vergleiche man nur die Journalist*innen, die Vollzeit tätig und seit mehr als 15 Jahren im Beruf sind, so betrage die Lohnlücke immer noch durchschnittlich 13 Prozent, d.h. etwa 500 Euro. Zu Beginn ihrer Karriere verdienten beide Geschlechter nahezu gleichermaßen rund 2.100 Euro, doch mit steigendem Berufsalter öffne sich die Gender Pay Gap, denn mehr Männer sitzen dann in den Chefsesseln und erfahrene Frauen in Führungspositionen bekämen weniger Gehalt. Nur 40 Prozent dieser Journalistinnen verdienten monatlich über 3.000 Euro, aber fast 70 Prozent der männlichen Führungskräfte kommen auf dieses Gehaltsniveau und darüber.

Bedeutet der niedrigere Einkommensunterschied unter den jüngeren Journalist*innen nun eine zunehmende Geschlechteregalität? Corinna Lauerer bezweifelt das angesichts der Schere, die sich zwischen den erfahrenen Journalist*innen auftut. Dieses Phänomen werde etwa damit erklärt, dass Mütter für Arbeitgeber häufig als „unattraktive Mitarbeiter“, Väter aber als besonders zuverlässig gelten und sogar von einem finanziellen „Daddy-Bonus“ profitieren könnten. Mögliche weitere Gründe für die Benachteiligung von Frauen seien männlich dominierte Machtstrukturen und Seilschaften, zu denen Journalistinnen schwerer Zugang fänden sowie weniger forderndes Auftreten bei Gehaltsverhandlungen. Auch das im Juli 2018 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz hat sich bisher nicht als effektives Werkzeug im Kampf für Lohngleichheit erwiesen. Die Klage der festfreien ZDF-Reporterin Birte Meier wurde am 5. Februar vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg abgewiesen. Meier hatte eine offizielle Auskunft über die Bezahlung ihrer Kollegen verlangt, um dann eine Anpassung ihres Entgelts zu erstreiten.

Stagnation bei Führungskräften

Während 2005 nur 22 Prozent der Führungskräfte in den Medien weiblich waren, stieg ihr Anteil bis heute immerhin auf 30 Prozent, so Lauerer. Am deutlichsten zeige sich die verbleibende männliche Dominanz in der Führungsriege am obersten Ende der Fahnenstange. Während der Frauenanteil in der Redaktionsleitung bei 33 Prozent liege, kämen Journalistinnen in der Kategorie der Chefredakteure, Herausgeber und Programmdirektoren nur auf 21 Prozent. In den meisten Redaktionen stagniert oder sinkt der Anteil an Führungsfrauen, auch in den Printredaktionen, stellte ProQuote Medien Ende Januar fest. Der Verein zählt und vergleicht seit 2012 die Frauenanteile in den journalistischen Führungspositionen deutscher Medien und gewichtet dabei nach Hierarchie-Ebenen – je höher die Position, desto größer die Machtfülle. Bei der Zeit sank danach der Frauenmachtanteil erstmals unter die 30-Prozent-Marke. Aktueller Spitzenreiter ist der Stern mit 44,4 Prozent, auf Platz zwei folgt der Spiegel mit 37,3 Prozent. Die übrigen Titel dümpeln größtenteils bei Werten um die 25 Prozent oder sogar noch darunter. Schlusslichter bleiben FAZ (17,1 %) und Focus (13,9 %).

Die Gefahr, dass „sicher geglaubte Frauenrechte wieder in Frage gestellt“ werden, sehen auch Gewerkschafterinnen, die für den Internationalen Frauentag 2019 das Motto wählten: „Wir für ein soziales Europa“. Der Aufstieg rechtspopulistischer und nationalistischer Kräfte in der EU berge die Gefahr, dass „demokratische Errungenschaften geschliffen werden“. Dazu gehören auch gute Arbeitsbedingungen, die im Journalismus auf eine harte Probe gestellt werden. Und irgendwann wird auch der Idealismus, der nach einer Studierendenbefragung 2014 vor allem den weiblichen Nachwuchs bei der Stange hält, nicht mehr ausreichen, das notwendige Medienpersonal zu rekrutieren.

 

 

 

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