Medienversagen zu Gunsten eines Nazis

„Vermieden werden soll, durch schädliche Interviewteile ein abträgliches Bild von Herrn Speer zu vermitteln.“ Diese vertragliche Zusicherung erhielt Albert Speer, einer der größten Verbrecher des Nationalsozialismus, vor einem Fernsehinterview im NDR. Das ist aber nur ein extremes Beispiel für den unkritischen Umgang der meisten deutschen Medien mit Speer ab 1966. Eine Nürnberger Ausstellung bietet erschreckende Einblicke.

Albert Speer, Hitlers oberster Architekt und später auch Rüstungsminister, schaffte es schon ab dem Nürnberger Prozess gegen die NS-Granden 1946, sich als einerseits reuigen und gutbürgerlichen, andererseits nicht allzu tief verstrickten Ex-Nazi zu inszenieren. Erst als ein Doktorand 1981 – kurz vor Speers Tod – halb zufällig auf Dokumente stieß, die Speers Mitverantwortung für Massenmorde belegten, begann ein langsamer Aufklärungsprozess. Der durch die Vermarktung seiner Biografie reich gewordene, ehemalige Architekt entpuppte sich als „einer der Hauptverbrecher im NS-System“, wie der Historiker Heinrich Schwendemann heute sagt.

Wie Speer seine relative Reinwaschung gelang, wird derzeit in Nürnberg sichtbar. Das dortige Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zeigt eine selbst erarbeitete Ausstellung, in der zum einen Historiker_innen wie Schwendemann in Video-Interviews die vielfältigen verbrecherischen Aktivitäten des hochrangigen Nazis auflisten. Zum anderen wird das schändliche Treiben großer deutscher Medien in Sachen Vergangenheitsverklärung deutlich.

Schon als Speer in der Nacht zum 1. Oktober 1966 nach 20 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird, wartet ein großer Pressepulk auf ihn. Seine Medienstrategie ist nun laut der Ausstellung, „wahlweise die Rolle als Zeitzeuge, unschuldiger Technokrat, Leistungsträger, Widerständler, Unwissender oder Geläuterter“ zu erfüllen. Stern und Spiegel (Titelseite schon am 26. September: „Hitlers Freund und Gegner“) zahlen für Interviews, eine Illustrierte kauft für eine sechsstellige Summe die Rechte an seinen Memoiren, auch Springers Welt wird später viel Geld für Vorabdrucke hinlegen.

1969 dann das eingangs zitierte Interview. Die Vereinbarung schließt Speers Verleger Wolf Jobst Siedler für ihn ab. Interviewer ist Joachim C. Fest, der spätere FAZ-Mitherausgeber. Fest schreibt dann auch, wie Siedler, an den beiden (auch im Ausland) extrem gut verkauften Memoirenbänden Speers mit, gibt dabei sogar Tipps zur besseren Selbstdarstellung.

Speer war so erfolgreich, weil er das Entschuldungsbedürfnis von Millionen Deutschen bediente. Seinerzeit gab es in Medien und Geschichtsforschung bereits eine (zu) große Konzentration auf Hitler. Speer passte gut dazu, denn er malte das Bild des vom „Führer“ Verblendeten aus, der allerdings selbst nicht gemordet habe. Auf dieser Basis schrieb Fest bald seine viel kritisierte Hitler-Biografie, die auch zu einem Film verarbeitet wurde, sowie noch 1999 eine Speer-Biografie. Fest „ignorierte zentrale Ergebnisse der Forschung“, wie der Nürnberger Ausstellungsband zu letzterer festhält.

Auch angelsächsische Interviewer_innen Speers gingen ihm auf den Leim und schrieben auf dieser Basis Bücher über ihn. Siedler soll sogar US-amerikanische Journalisten für Artikel bezahlt haben. Durch seinen „engen Kontakt“ zu Presseleuten war Speer „gleichzeitig Nachrichtenproduzent und Nachrichtenkontrolleur“, heißt es in der Ausstellung. Alle großen deutschen Medien rezensierten Speers Memoiren, dabei habe es aber selten einen „Abgleich mit Archivmaterial“ gegeben. Etliche der Artikel wurden übrigens von Historikern geschrieben! Auch bekannte Intellektuelle sprachen Speer ihren Respekt aus, sogar der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal. In der Nürnberger Ausstellung sind die einschlägigen Zitate nachlesbar.


„Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“, bis 26. November im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Bayernstraße 110, 90478 Nürnberg. Es gibt einen Ausstellungsband https://www.imhof-verlag.de/albert-speer.html sowie ein Begleitprogramm http://museen.nuernberg.de/dokuzentrum/kalender-details/albert-speer-in-der-brd-1195/.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Das Wetter: Es kann nur besser werden

5000 verkaufte Exemplare alle Vierteljahr, Titelseiten, die ausschließlich auf Ästhetik setzen, noch dazu mit inzwischen auf 12 angewachsenen unterschiedlichen Coverstories - zumindest bei der letzten, der immerhin schon 35. Ausgabe. „Das Wetter“-Magazin weiß sich zu präsentieren. Seit über zehn Jahren zähle es, so heißt es, zu „den schillerndsten Printmagazinen des Landes“.
mehr »

Komplett-Verweigerung der Rundfunkpolitik

Nachdem die Ministerpräsident*innen am heutigen Donnerstag zur Rundfunkpolitik beraten haben, zeichnet sich ein düsteres Bild für die öffentlich-rechtlichen Medien, ihre Angebote und die dort Beschäftigten ab. Beschlossen haben die Ministerpräsident*innen eine Auftrags- und Strukturreform und einen ab 2027 geltenden neuer Mechanismus zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags. Nicht verabschiedet wurde jedoch der fällige Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »