Migrant*innen in den Medien einsame Spitze

Für die einen läuft es gut, für viele nicht: Diversität im Journalismus steht nach wie vor vor Herausforderungen. Symbolbild: 123rf

Die Gleichstellung von Frauen in deutschen Medien kam erst voran, als ihre Unterrepräsentation mit Zahlen untermauert werden konnte. Doch für Journalist*innen mit Einwanderungsgeschichte fehlen solche Daten. Deshalb haben die Neuen deutschen Medienmacher*innen erstmals ermittelt, wie viele Chefredakteur*innen mit und ohne Migrationshintergrund es gibt und diese zur Vielfalt in ihrer Redaktion befragt. Die Studie „Viel Wille, kein Weg“ wird heute vorgestellt.

Menschen mit Migrationshintergrund machen inzwischen mehr als 25 Prozent der deutschen Bevölkerung aus, doch in den reichweitenstärksten Medien sind sie immer noch unterrepräsentiert.  Wie interkulturell vielfältig das Redaktionspersonal ist, entscheiden Chefredakteur*innen, von denen nur sechs Prozent aus einer Einwanderungsfamilie stammen. Das ist ein Ergebnis der Studie, die von den Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) zusammen mit Christine Horz, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der TH Köln, erstellt wurde. In 122 Redaktionen von Aachener Nachrichten bis ZDF haben nur acht von 126 Chefredakteur*innen einen Migrationshintergrund, wobei es sich um sechs Männer und zwei Frauen handelt. Mit österreichischer, dänischer oder italienischer Nationalität gehörten sie zudem mehrheitlich zu Einwanderungsgruppen, die im öffentlichen Diskurs nicht als „fremd“ betrachtet würden. Unter ihnen gebe es niemanden mit außer-europäischer Familienherkunft oder aus der Gruppe der „People of color.

Wunsch nach Diversity, aber keine datenbasierte Strategie 

Im Fokus der Untersuchung stehen die Chefredakteur*innen, weil ihre Einstellung zu Vielfalt und Gleichstellung zählt, wenn es um die Förderung von Diversität geht. Ergebnis einer quantitativen Email-Umfrage 2019: Zwei Drittel der befragten Führungskräfte wünschen sich interkulturelle Vielfalt im Personal, wie dieses Statement verdeutlicht: „Wir Journalisten fordern gerne von Politik und Gesellschaft, dass sie Vielfalt abbilden müssen. An dem Anspruch müssen auch wir uns messen lassen – daher unterstütze ich den Anspruch, dass sich die Zusammensetzung der Gesellschaft auch in den Redaktionen widerspiegeln muss, denn Journalismus findet nicht im luftleeren Raum statt.“ Doch konkret messen lassen wollen sie sich wohl doch nicht. Nur die Nachrichtenagentur Thomson Reuters wertet die Staatsangehörigkeiten der angestellten Journalist*innen für Statistiken zum Thema Diversity aus. 31 Prozent von ihnen besitzen aktuell eine ausländische Staatsangehörigkeit.

In den anderen Medienhäusern werden Daten nicht systematisch erhoben. Dafür nennen die Chef*innen immer wieder zwei Gründe. Mitarbeiter*innen sollten durch die Frage nach ihrer Herkunft nicht diskriminiert werden. In der Folge bleibe aber strukturelle Diskriminierung unsichtbar und unangetastet, kritisieren die NdM. Auch das zweite Argument, der Datenschutz werde verletzt, entkräften sie. Man könne durch anonyme oder auf Freiwilligkeit basierende Befragungen den Anteil migrantischer Journalist*innen ermitteln, wie das der WDR z.B. seit 2014 bei Neueinstellungen macht. Auch wenn die Zahlen nicht repräsentativ sind, liefern sie doch Daten für Diversity-Strategien.

Obwohl sie sich mehr Vielfalt in der Redaktion wünschen, verweigern die Medienverantwortlichen sich demnach einer gezielten Diversity-Strategie auf einer belastbaren Zahlenbasis. Um diesen Widerspruch einzuordnen, wurden die Umfrageergebnisse durch fünf qualitative Leitfaden-Interviews mit vier Chefredakteuren und einer Integrationsbeauftragten vertieft – davon zwei mit und drei ohne Migrationshintergrund.

BBC nimmt Führungskräfte in die Pflicht

So wünscht sich der aus Dänemark stammende Chefredakteur der „Welt“ Ulf Poschardt zwar mehr Diversität, will aber nicht gezielt nach migrantischem Nachwuchs suchen und lehnt eine Förderung durch Quoten ab. Auch die anderen Interviewten sagen, in ihren Medienhäusern gebe es kein verpflichtendes Diversity-Konzept mit Quoten oder festen Regeln für mehr Vielfalt, sondern lediglich einzelne Maßnahmen – wie etwa die Talentwerkstadt „WDR grenzenlos“, mit der migrantischer Nachwuchs gewonnen werden soll. Anscheinend wollen die Führungskräfte keine Verpflichtungen eingehen wie ihre BBC-Kolleg*innen in Großbritannien. Der britische öffentliche Rundfunk erfasst regelmäßig den prozentualen Anteil seiner Mitarbeiter*innen aus ethnischen Minderheiten und setzt sich jährliche Zielmarken. Bis 2020 sollten sie nicht nur 15 Prozent aller Beschäftigten, sondern auch der Leitungsebene ausmachen. Eine Führungskraft wird nur dann befördert, wenn sie Aktionen und Maßnahmen zur Erreichung der Diversity-Ziele nachweist.

„Wir beobachten, dass die Professionalität der Journalist*innen zum Teil – wie auch in den Vorgängerstudien – gegen Diversity ausgespielt wird“, konstatiert Horz, denn in den Interviews werde immer wieder betont, dass bei der Einstellung allein die Professionalität zähle – vor allem die sprachliche Qualifikation, die bei Journalist*innen mit Migrationshintergrund implizit häufiger in Frage gestellt werde. Da diese zumeist das deutsche Bildungssystem durchlaufen haben, wirkten hier unbewusste Vorurteile in den von weißen Mittelschichtsmännern dominierten Redaktionen. Deshalb schlagen die NdM vor, Bewerbungen zu anonymisieren und Personalverantwortliche zu sensibilisieren – auch für eine andere inklusive Unternehmenskultur.

In dem wissenschaftlichen Report wird deutlich, dass in der postmigrantischen Gesellschaft Vielfalt im Personal eng verbunden ist mit Vielfalt in Programm und Publikum sowie auch politischer Meinungsvielfalt. So problematisieren die meisten Medienverantwortlichen auch negative Darstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund, rassifizierte Berichterstattungsmuster und Online-Hass in den aktuellen Debatten über Einwanderung und Vielfalt. Diese spiegelten sich zunehmend in den eigenen Häusern wider, etwa wenn es um Sprachregelungen gehe. ZDF-Chefredakteur Peter Frey betrachtet die Änderung der Antidiskriminierungsrichtlinie des Presserats zur Herkunftsnennung mutmaßlicher Täter*innen da als „wenig hilfreich“.

Die NdM wollen diesen Diversity-Prozess für die Medienverantwortlichen erleichtern und bieten dafür einen vielfältigen Werkzeugkasten: Sie leiten Stellenausschreibungen an ihr Netzwerk (post-)migrantischer Journalist*innen, Mentees und Studierender weiter, kommen zur Blattkritik, veranstalten Workshops zu diskriminierungsarmer Berichterstattung und beraten zu Vielfalts- und Rekrutierungsstrategien.

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