Pressefreiheit gerade in Krisen notwendig

Dr. Bärbel Röben lebt als freie Journalistin und Medienwissenschaftlerin in Attendorn/Sauerland. 2013 veröffentlichte sie das Buch "Medienethik und die Anderen. Multiperspektivität als neue Schlüsselkompetenz", das Aspekte einer verantwortungsethischen Berichterstattung auslotet. Foto: Jan-Timo Schaube

In der Corona-Krise zeigt sich, wie unverzichtbar Pressefreiheit ist. Zum einen ermöglicht sie eine Berichterstattung im Dienste der Bürger*innen, die gesicherte Informationen und Orientierung benötigen. Zum anderen garantiert sie die dafür notwendige Unabhängigkeit der Medien und Journalist*innen. Das zeigt ein Vergleich der Corona-Berichterstattung einzelner Länder unter dem Blickwinkel, wie sie es mit der Pressefreiheit halten.

Auf der alljährlich von „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit stehen die skandinavischen Länder 2019 an der Spitze: Norwegen, Finnland, Schweden. Auch Deutschland auf Platz 13 der 180-Staaten-Skala wird noch eine „gute Situation“ der Medien im Land attestiert. Zwei der sieben ROG-Kriterien zur Messung von Pressefreiheit sind die „Pluralität“ der veröffentlichten Meinungen und die „Medienunabhängigkeit“, die es Journalist*innen ermöglichen soll, frei von politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Einflüssen zu arbeiten. Wie diese in der Corona-Berichterstattung weltweit umgesetzt werden, illustrieren Länderberichte, die das European Journalism Observatory (EJO) seit dem 18. März veröffentlicht.

Pressefreiheit von Schweden bis China

Über Schweden, einen der Spitzenreiter, schreibt Medienwissenschaftler Torbjörn von Krogh: „Die öffentlich-rechtlichen Medien berichten intensiv über die Corona-Krise, vor allem über die gesundheitliche Lage, und informieren über die Reaktionen der Behörden und der Regierung.“ Aber die schwedischen Medien thematisierten auch die Kritik an den weniger drastischen Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen das Coronavirus, so von Krogh. Medienschaffende reflektierten ihre Verantwortung in der Krisenkommunikation, denn „ auf der einen Seite sollten sie ein vertrauenswürdiger Kanal für medizinische und krisenvermeidende Informationen von den jeweiligen Instanzen sein, auf der anderen Seite müssten sie diese Informationen unbedingt auch auf Fehler und politische Eigeninteressen prüfen“. Das machten Medien in Finnland bereits, berichtet Journalistikprofessor Heikki Heikkilä. Sie hätten „proaktiv Fehlinformationen über das Coronavirus entlarvt, die über Social-Media-Plattformen verbreitet wurden“. In Ländern mit Pressefreiheit profilieren sich die öffentlich-rechtlichen Sender in der Krise als besonders vertrauens- und glaubwürdig und erreichen wie in Deutschland Rekordeinschaltquoten.

Wie wichtig dieses Vertrauen ist, um nachhaltig auch unpopuläre Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge durchzusetzen, zeigt ein Blick in Länder mit stark eingeschränkter Pressefreiheit. So konstatiert Journalistikprofessorin Svetlana S. Bodrunova für Russland – Platz 143 auf der Pressefreiheitsskala: „Viele Menschen missachten den Rat, sich selbst in Quarantäne zu begeben, Masken in der Öffentlichkeit zu tragen und öffentliche Veranstaltungen zu meiden. Gegen die Quarantänemaßnahmen regt sich viel persönlicher Widerstand. Ich nehme an, dass der Widerstand mit einem allgemeinen Misstrauen gegenüber dem öffentlichen Diskurs einhergeht.“ Es gebe keine grundlegende Verständigung darüber, ob das Land auf die Pandemie vorbereitet ist oder ob die Behörden genug tun, um die Menschen zu schützen. Die meisten Menschen suchten deshalb im Internet nach Empfehlungen. Eine desorientierende Informationslage in der russischen Corona-Berichterstattung bestätigen Reporter ohne Grenzen, wenn sie berichten, dass kremltreue Medien widersprüchliche Botschaften im In- und Ausland verbreiten. So werde behauptet, das Virus sei eine biologische Waffe, entwickelt in geheimen Laboren – wahlweise der USA, Großbritanniens oder der Nato mit dem Ziel, China zu schwächen.

Im ganz unten auf Rang 177 platzierten China steht es noch viel schlechter um die Pressefreiheit. „Das chinesische Regime setzt seine Politik der Zensur und Repression fort, obwohl dies eindeutig zur Verbreitung des Virus beigetragen hat“, kritisiert ROG-Geschäftsführer Mihr. Mehrere Bürgerjournalist*innen seien verschwunden, nachdem sie kritisch über die Zustände in Wuhan während der dortigen Corona-Quarantäne berichtet hatten. Politische Kommentator*innen, die das Krisenmanagement von Staats- und Parteichef Xi Jinping kritisierten, seien festgenommen oder unter Hausarrest gestellt worden.

Probleme werden vertuscht und Krisen ausgenutzt

Diese Beispiele verdeutlichen, dass man eine Krise wie die Corona-Pandemie am besten in Ländern mit Pressefreiheit eindämmen kann, denn Probleme lassen sich nicht lösen, wenn Regierungen sie vertuschen oder ignorieren. Können sie aber nicht mehr verschwiegen werden, nutzen autoritäre Regime sie auch im Falle der Corona-Krise, um Grundfreiheiten einzuschränken. Laut ROG-Bericht hat Präsident Juan Orlando Hernández in Honduras den Verfassungsartikel zur Pressefreiheit außer Kraft gesetzt. In Armenien dürfen Journalist*innen wegen des Ausnahmezustands nur noch amtliche Informationen zur Corona-Krise veröffentlichen. In Ungarn plant die Regierung ein Notverordnungsgesetz, das diejenigen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft, die „Falschnachrichten“ über das Coronavirus und über Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verbreiten.

Aber auch in demokratischen Gesellschaften gilt es, wachsam zu bleiben, denn auch hier werden zur Bekämpfung der Corona-Infektionen Grundfreiheiten beschnitten. So forderte die dju in ver.di bundeseinheitliche Regelungen, die Krisenkommunikation der Medien als systemrelevant anzuerkennen. Medienschaffende sollten von Kontaktsperre und Ausgangsbeschränkung befreit werden und Zugang zur Notbetreuung ihrer Kinder erhalten, damit sie ihrer Arbeit ungehindert nachgehen können. Inzwischen zählen mehrere Bundesländer Medienvertreter*innen zur „systemrelevanten Infrastruktur“. Der Deutsche Presserat weist darauf hin, dass journalistische Recherchen gerade in der Corona-Krise dringend erforderlich sind. Sicherheits- und Einsatzkräfte dürften hauptberufliche Medienschaffende nicht in ihrer Arbeit behindern. Der bundeseinheitliche Presseausweis gelte da als „hinreichendes Dokument“. Denn Pressefreiheit ist und bleibt – gerade in Krisenzeiten – ein notwendiges Grundrecht!

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