Bsirske-Interview nach Besuch in der Türkei

Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske informierte sich Ende Mai auf einer Türkei-Reise über die Situation der nationalen Gewerkschaften, die sich nach dem Referendum „deutlich verschlimmert“ habe. Im Interview mit ver.di-Publik berichtet er von willkürlichem Vorgehen gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, vor allem gegen Medienschaffende.

In der druckfrischen Ausgabe der ver.di-Mitgliederzeitung Publik (Seite 8) resümiert der Gewerkschaftsvorsitzende nach Gesprächen in Ankara aktuelle Entwicklungen: „Mir wurde berichtet, dass seit dem Putschversuch 33 Fernsehsender, 36 Radiostationen, 62 Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen, 29 Verlagshäuser und Distributionskanäle geschlossen worden sind. 3000 Journalistinnen und Journalisten haben ihren Job verloren… Insbesondere die kritischen Medien stehen massiv unter Druck. Unlängst wurden zwei Journalisten der größten Zeitung des Landes, Söczü, verhaftet. Aus Protest ist die Zeitung dann weiß erschienen, also ohne einen einzigen Buchstaben. Wobei von dieser weißen Zeitung 500 000 Exemplare verkauft wurden.“

Ausführlicher geht Bsirske auf Kontakte mit der Journalistengewerkschaft TSG ein, die die Kampagne „Journalismus ist kein Verbrechen“ ins Leben gerufen hat, Inhaftierte und ihre Familien unterstützt. Die TSG habe „für sich als zentrales Motiv formuliert, dass, wenn die Presse schweigt, dies das Ende der Demokratie ist“. Es sei Aufgabe der Gewerkschaften, öffentliche Aufmerksamkeit zu schaffen und für Pressefreiheit einzutreten. So erklärt Frank Bsirske: „Wenn es zu einer Anklage gegen Deniz Yücel kommt, dann sollten wir von unserer Seite auch für eine Prozessbeobachtung sorgen. Er ist ein ver.di-Kollege, der seit über 100 Tagen in Einzelhaft sitzt, ohne bislang zu wissen, was ihm konkret vorgeworfen wird.“


Frank Bsirske über Türkei: „Harmlose Aktivitäten genügen, um verdächtigt zu werden“

Auf die Frage, ob die Gewerkschaften in der Türkei den Betoffenen (Inhaftierten, d. Red.) helfen können, erläuterte Frank Bsirske in einem Interview in der „Welt“ am 3. Juni 2017: Sie versuchen es auf jeden Fall und es gibt da ganz bewundernswerte Bemühungen. Aber die türkische Regierung behindert auch die Arbeit der Gewerkschaften massiv. Die beiden großen linken Gewerkschaftsbündnisse DISK und KESK, die für ein Nein beim Referendum geworben hatten, sind starken Repressalien ausgesetzt. Viele Hunderte Gewerkschaftsfunktionäre und Mitglieder auf allen Ebenen wurden in den vergangenen Monaten verhaftet. Vor allem aus dem kommunalen und staatlichen Bereich und aus den Medien aber beispielsweise auch aus der Bauindustrie, die sehr wichtig für die türkische Wirtschaft ist.“ (Red. 6.6.2017)

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