Editorial: Freiheit kontra Einfalt

„Oder gibt es einen Einfältigen, der da glaubt, eine Nation könne frei sein, solange ihre Presse nicht frei ist“, fragte schon der ungarische Dichter Petöfi im Jahre 1848 in seinem veröffentlichten „Tagebuch“. O ja, es gibt sie die „Einfältigen“ – bis heute.

Sie führen Freiheit und Demokratie im Munde und schränken im gleichen Atemzug die Pressefreiheit ein. So ist inzwischen für Präsident Bush jeder Journalist verdächtig, der seinen „Krieg gegen den Terrorismus“ in Frage stellt. Das Verhältnis zwischen den Medien und der Bush-Regierung hat sich drastisch verschlechtert, unter dem Deckmantel der „nationalen Sicherheit“ ge­raten kritische Journalisten ins Visier der Administration.
Auch in der Türkei war in den 90er Jahren das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus die Grundlage, um unliebsame Journalisten zu bedrohen, zu ermorden oder ins Gefängnis zu stecken. Im Zuge verschiedener Reformen und einer Liberalisierung der Strafgesetze 2005 wurde dieses Gesetz revidiert, auch die Staatssicherheitsgerichte wurden abgeschafft. Dennoch ist die Meinungsfreiheit türkischer Journalisten und der Bürger nach wie vor stark eingeschränkt, stehen „Beleidigung“ und „Aktionen gegen nationale Interessen“ unter Strafe. Auf dieser Basis konstruierte Vorwürfe führen zur Inhaftierung von Journalisten (M 3 / 2007).
All das steht im Widerspruch zu Geist und Wortlaut der Europäischen Menschenrechtskonvention und damit auch zur Aufnahme der Türkei in die Europäische Union.
Aber der Blick der gegenwärtigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft richtet sich ebenso nach Osten auf die ehemaligen Sowjetrepubliken. Leider auch hier oft einäugig: Freiheitliche Grundwerte geraten gegenüber profitablen Wirtschaftsbeziehungen ins Hintertreffen. Wobei unaufgeklärte Morde wie der an der kompromisslosen Journalistin Anna Politkowskaja schlaglichtartig belegen, wie es in Russland um die Freiheit der Medien bestellt ist. In Zentralasien wähnen sich viele Länder auf dem Weg zu einer demokratischen Gesellschaft, gesteuert offenbar von Petöfis „Einfältigen“. Die Regierenden treten Menschenrechte und Pressefreiheit in Ländern wie Usbekistan und Turkmenistan mit Füßen. (Kolumne; Titelthema)
Auch die deutsche Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ wird in diesem Jahr den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Osteuropa richten. Vielleicht bietet der 3. Mai, der „Tag der Pressefreiheit“, gerade in diesem Jahr Anlass, um Mitglied in dieser Organisation zu werden. Schon ein bescheidener Jahresbeitrag hilft KollegInnen weltweit – von aktiver Mitarbeit ganz abgesehen, die stets willkommen ist (www.reporter-ohne-grenzen.de).

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Italien: Protest gegen Entlassung von EU-Korrespondent

Der italienische Journalist Gabriele Nunziati, Brüsseler Korrespondent der Nachrichtenagentur Agenzia Nova, hatte der Sprecherin der Europäischen Kommission, Paula Pinho, eine Frage zur Verantwortung Israels für den Wiederaufbau des Gazastreifens gestellt. Daraufhin beendete seine Agentur das Arbeitsverhältnis mit ihm.
mehr »

Ver.di fordert Big-Tech-Regulierung

Durch die problematische Verquickung von politischer, medialer und ökonomischer Macht sind die dominierenden Online-Plattformen längst nicht mehr neutrale Mittler diverser Inhalte, sondern werden selbst zum kuratierenden Medium. Der Raum für Machtmissbrauch in Form politischer Einflussnahme oder Desinformation ist immens. Um die Resilienz unserer Demokratie vor einer autoritären Übernahme zu stärken, besteht akuter Handlungsbedarf.
mehr »

Nachrichtenkonsum fördert die Demokratie

Immer mehr Menschen konsumieren selten oder gar keine Nachrichten oder nehmen diese nur noch indirekt über soziale Medien wahr. Eine Schweizer Studie kommt nun zu dem Schluss, dass die Nachrichtennutzung direkt mit dem Wissen über aktuelle Geschehnisse zusammenhängt. Jene, die selten oder kaum journalistische Medien konsumieren, wissen deutlich weniger über politische und gesellschaftliche Themen. Das wirkt sich demokratische Prozesse aus.
mehr »

Medienkompetenz live und vor Ort

Daß Medienkompetenz nicht nur digital, sondern auch im real life vermittelt werden kann  zeigt ein Projekt aus Berlin. Durch aktive Medienarbeit möchte das Meko Neukölln Kinder und Jugendliche darin stärken, ihre Stimme zu erheben, sich einzubringen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Angebote sollen die Teilnehmenden befähigen, sich selbst auszudrücken und ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen.
mehr »