Wo Pressefreiheit das Leben kostet

Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin von "M Menschen Machen Medien"
Foto: Kay Herschelmann

Meinung

Vor 32 Jahren starb Egon Scotland im „Kroatienkrieg“. Ein Scharfschütze hatte auf das mit einem Presseschild gekennzeichnete Fahrzeug geschossen. Wir gedenken am 26. Juli des Korrespondenten der „Süddeutschen Zeitung“ und der vielen Medienschaffenden, die seither ums Leben kamen. Allein während des Balkankrieges waren es 45. Weltweit werden immer mehr Journalist*innen zu Zielscheiben in Konfliktregionen, geraten zwischen die Fronten. Auch dieser Tage sind in der Ukraine Journalisten getötet und verletzt worden.

So kam nach Angaben Moskaus der Militärkorrespondent der staatlichen russischen Nachrichtenagentur „Ria Nowosti“, Rostislaw Schurawljow, im Süden der Ukraine ums Leben. Neben Schurawljow sollen bei diesem ukrainischen Beschuss ein Fotokorrespondent von „Ria Nowosti“ und zwei Mitarbeiter der kremlnahen Tageszeitung „Iswestija“ getroffen worden sein. Ebenfalls am letzten Samstag wurde ein Kameramann der Deutschen Welle im Osten der Ukraine verletzt. Nach Angaben des Senders war bei Dreharbeiten auf einem Truppenübungsplatz der ukrainischen Armee etwas mehr als 20 Kilometer hinter der Front bei Druschkiwka im Gebiet Donezk ein Reportageteam unter russischen Artilleriebeschuss geraten. Beide Kriegsparteien werfen sich bei diesen Vorfällen gegenseitig die Verwendung von Streumunition vor – einer Munition, die in vielen Länder der Welt geächtet ist!

Es erfordert Mut, Kompetenz, Professionalität, aber auch Umsicht, sowohl von den Auftraggebern als auch von den Berichterstatter*innen, um direkt vor Ort das Kriegsgeschehen spiegeln, das Leid der Menschen beschreiben zu können. Es ist eine dringend notwendige Arbeit, um der Kriegspropaganda möglichst unabhängige Texte, Fotos und Videos entgegen zu setzen. Dabei setzen Kriegsreporter*innen ihr Leben aufs Spiel und verdienen unsere Hochachtung. Sie tun das für die Pressefreiheit. Erinnert sei hier auch an die „Bilderkriegerin“ Anja Niedringhaus – ein gleichnamiger Film ist heute in ZDF zu sehen – die 2014, einen Tag vor der Präsidentschaftswahl in Afghanistan, erschossen wurde.

Jenseits kriegerischer Auseinandersetzungen, die vor allem Zerstörung und unendliches Leid hinterlassen, gibt es viele starke Journalist*innen, die sich mit ihrer Arbeit der Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit durch Regierungen, korrupte Politiker*innen, die Mafia oder Drogenkartelle entgegenstellen. Sie werden verfolgt, gefoltert und getötet. Zu den gefährlichsten Ländern der Welt zählt in diesem Zusammenhang Mexiko. Erst vor wenigen Tagen wurde die Leiche von Luis Martín Sánchez Iñiguez‘ in einem Plastiksack gefunden: die Hände gefesselt, eine Botschaft mit einem Messer auf seiner Brust befestigt. Der 59jährige Korrespondent der Zeitschrift „La Jornada“ war zuvor im mexikanischen Bundesstaat Nayarit verschleppt worden. Sánchez ist bereits der dritte Korrespondent von „La Jornada“, der von Kriminellen ermordet wurde. Nur eine Woche später traf – mexikanischen Medienberichten zufolge – den Direktor des Nachrichtenportals „Lo Real de Guerrero“, Nelson Matus Peña, auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Acapulco eine tödliche Kugel. Die Verstrickung von Politik und organisiertem Verbrechen mache es lebensgefährlich, über sensible Themen wie Korruption oder Drogen- und Menschenhandel zu berichten, und lähme die juristische Verfolgung von Straftaten, so Reporter ohne Grenzen (RSF). Auf der Rangliste der Pressefreiheit hat die Organisation Mexiko auf Platz 128 von 180 eingeordnet.

Im vergangenen Jahr sind weltweit mindestens 57 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit getötet worden, fast 19 Prozent mehr als im Vorjahr, hatte RSF bilanziert. Als einen der Gründe für diesen Anstieg nannte die Organisation den Krieg in der Ukraine, wo acht Medienschaffende starben. In diesem Jahr verzeichnet die Statistik bereits zwölf Todesfälle weltweit.

Der Tod vieler Reporter*innen bleibt ungeklärt, die Täter kommen davon. Deshalb fordern Reporter ohne Grenzen und die Internationale Journalisten Föderation (IfJ) mit ihrem Mitglied dju in ver.di, endlich mehr gegen die Straflosigkeit für Verbrechen an Journalist*innen zu tun. Es seien mehr internationale Anstrengungen nötig, um Gewalttaten an Medienschaffenden zu verhindern und zu verfolgen. Dass schwere Übergriffe gegen Reporter wie Morde oder Entführungen nicht glaubwürdig verfolgt werden, gehöre in vielen Ländern zu den größten Hindernissen für einen besseren Schutz von Journalist*innen bei ihrer Berufsausübung.

Für den Tod von Egon Scotland 1991 wird der ehemalige serbische Milizenführer Dragan Vasiljković alias „Kapetan Dragan“ verantwortlich gemacht. Er führte damals eine serbische paramilitärische Einheit und wurde später in Kroatien unter anderem wegen eines Angriffs auf die zentralkroatische Stadt Glina und umliegende Dörfer, bei dem Zivilisten und auch Scotland getötet worden waren, schuldig gesprochen. Seine mehr als 13jährige Freiheitsstrafe hat er inzwischen verbüßt.

 

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