Wenn die Bürgerinnen und Bürger ihrer urdemokratischsten Aufgabe – dem Wählen – nachgehen, sollen sie zuvor die Möglichkeit gehabt haben, sich ihre Meinung über die Medien möglichst frei zu bilden. Die Wahlberichterstattung ist daher besonders reguliert. Eine Studie der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle zeigt, wie der rechtliche Rahmen in Europa aussieht – und dass es gerade in Deutschland bei den Onlinemedien noch hakt.
Wahlen sind ein Stück weit Ausnahmezustände. Das gilt sowohl für die Parteien und ihre Kandidat_innen, die gewählt werden wollen. Es gilt aber auch für die Medien, die in Wahlzeiten besonders wichtig sind, sollen sie doch frei und fair über die unterschiedlichen Standpunkte und Wahlprogramme berichten, damit sich das Wahlvolk – so die Theorie – ein ausgewogenes Bild machen und zu einer Entscheidung kommen kann. Rundfunk-, Presse- und Meinungsfreiheit sind deshalb in Wahlzeiten von besonderer Bedeutung. Gleichzeitig gelten gerade an Wahltagen oder kurz davor strenge Regulierungen für die Medien, etwa das Verbot der Veröffentlichung von Wahlumfragen oder Nachwahlbefragungen. Was wie ein Paradoxon erscheint, ist jedoch der Versuch, durch Regulierung die freie Meinungsbildung und damit den Wahlausgang durch Medienberichterstattung nicht zu verfälschen.
Welche Vorschriften in Sachen Wahlberichterstattung in Europa konkret gelten, hat die Europäische Audiovisuelle Informationsstelle, die zum Europarat gehört und in Straßburg sitzt, in ihrem aktuellen Bericht unter die Lupe genommen. Dabei blickt sie nicht nur auf die unterschiedlichen Mediengattungen (Rundfunk, Print, Online), sondern auch ausführlich auf ausgewählte Länder. Neben Deutschland sind das Spanien, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Niederlande, Polen und Russland.
Länderspezifische Vorgaben
Wenig überraschend: Am strengsten reguliert sind die Rundfunkangebote. Dazu gehört zum Beispiel das Verbot von Wahlwerbung genauso wie das bereits erwähnte Verbot der Veröffentlichung von Wahlumfragen, wie es in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen am Wahltag gilt. In Italien ist sogar bereits 14 Tage vor der Wahl die Berichterstattung über Wahlumfragen untersagt. Hinzu kommen Vorschriften für die Zuteilung von Sendezeiten für Parteien oder die verpflichtende Ausstrahlung von Wahldebatten im Fernsehen, etwa in Polen.
Einigermaßen streng geht es ebenfalls für Printmedien zu. Beim Umgang mit Wahlumfragen etwa ist auch hier Italien besonders konsequent: Bereits 15 Tage vor dem Wahltag dürfen Umfragen nicht mehr veröffentlicht werden. In Großbritannien ist es verboten, Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe vor der Schließung der Wahllokale zu veröffentlichen. Reglementiert ist auch der Umgang mit politischer Werbung. So ist in Frankreich den Zeitungen per Wahlgesetz untersagt, in den sechs Monaten vor einer Wahl Werbung für Wahlzwecke zu schalten. Das spanische Wahlgesetz wiederum schreibt vor, dass die Preise für Wahlwerbung nicht höher sein dürfen als für kommerzielle Werbung. Besonders ist auch hier die italienische Regelung: Printmedien müssen darüber informieren, ob sie Wahlwerbung veröffentlichen wollen, damit andere Parteien die gleichen Chancen für die Veröffentlichung ihrer Werbung haben.
Unterschiedlich ist das europäische Bild bei den Onlinemedien – ob Onlinezeitungen, Internetauftritte von Rundfunkanbietern oder soziale Medien wie Facebook und Twitter. So gelten etwa in Spanien die Vorgaben des Wahlgesetzes auch online. Danach darf nach Abschluss des Wahlkampfs in Onlinemedien keine Wahlwerbung mehr stattfinden. Italien wendet sein Veröffentlichungsverbot von Wahlumfragen 15 Tage vor dem Wahltag auch online an. In Russland gilt eine Frist von fünf Tagen vor der Stimmabgabe.
Ungleiche Regulierung in Deutschland
Ein Ungleichgewicht in der Regulierung von Rundfunk, Print und Online sieht die Studie aber besonders in Deutschland: „Während der Gesetzgeber dem Rundfunk eine besondere Bedeutung für den Wahlkampf beimisst und daher eine strenge Regulierung vornimmt, setzt er im Bereich der Presse auf die Verankerung allgemeiner Grundsätze verbunden mit der Selbstregulierung durch den Pressekodex und agiert schließlich im Online-Bereich nur sehr zurückhaltend, vertraut mithin auf eine freiwillige Selbstkontrolle.“
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der Onlinekommunikation und dass vor allem die Jüngeren vermehrt das Netz und soziale Netzwerke als erste Nachrichtenquelle nutzen, fällt das Urteil der Autor_innen entsprechend harsch aus: „Daraus, dass den Gefahren für die Meinungsvielfalt und parteipolitische Chancengleichheit unter anderem durch Fake News, Social Bots und Online-Aktivitäten staatlicher Stellen nicht wirksam begegnet werden kann, muss der Schluss gezogen werden, dass in Deutschland grundsätzlich Regulierungsbedarf im Online-Bereich besteht.“ Wer will, kann darin einen Arbeitsauftrag für die deutschen Medienpolitiker_innen lesen. Bis zur nächsten Bundestagswahl ist es nicht mehr lang.