Der Markt politischer Newsletter-Formate boomt. Alle paar Wochen wartet ein neues Verlagshaus mit eigenen digitalen Informationsangeboten für ausgewählte Zielgruppen auf. Eines der bedeutendsten Projekte ist das bereits 2020 von Ex-Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner gegründete „Table Media“. Mit dem zum Jahresbeginn 2023 gestarteten „Late Night Memo“ umfasst das Portfolio inzwischen ein Dutzend sogenannter „Professional Briefings“.
Als Pioniere des Genres Polit-Newsletter gelten hierzulande vor allem zwei Publizisten: Gabor Steingart, ehemaliger Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros und Sebastian Turner, in den Nuller Jahren Vorstandschef der Werbeagentur Scholz & Friends sowie von 2013 bis 2021 Aufsichtsratsmitglied des Holtzbrinck-Konzerns.
Steingart startete 2011 – damals noch beim „Handelsblatt“ – mit dem Morning Briefing eines der ersten Polit-Newsletter-Formate. Sieben Jahre später gründete er das Unternehmen Media Pionier, das durch das Medienschiff „ThePioneer One“ („als Patroullenschiff der Demokratie täglich im Berliner Regierungsviertel unterwegs“) schnell einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte. Seit 2019 ist der Springer-Konzern mit knapp 36 Prozent an Media Pioneer („Das Problem sind nicht die kritischen Journalisten, sondern die harmlosen“) beteiligt. Produkte sind unter anderem das Hauptstadt-Briefing, das Tech-Briefing sowie weitere Podcasts, etwa das monatliche World-Briefing mit Ex-Außenminister Sigmar Gabriel oder das Literatur-Format „Edle Federn“ mit Bestsellerautorin Juli Zeh.
Newsletter für spitze Zielgruppen
Einige der wachstumsstärksten Newsletter erscheinen seit 2014 im Verlag des „Tagesspiegel“. Darunter der von Chefredakteur Lorenz Maroldt gegründete „Checkpoint“, zwölf lokale Newsletter für sämtliche Berliner Bezirke, die „Morgenlage“ sowie weitere themenspezifische Newsletter unter der Dachmarke Tagesspiegel Background. Als graue Eminenz im Hintergrund setzte Sebastian Turner früh auf die Diversifikation der Marke „Tagesspiegel“ mithilfe von Special-Interest-Publikationen und Newslettern.
2020 verließ er den Holtzbrinck-Konzern und machte sich mit der Trafo Media Tech an den Aufbau seines eigenen digitalen Medienhauses in Berlin. Als erstes tägliches Fachbriefing im Rahmen der Dachmarke Table Media erschien China Table. Das Themenspektrum umfasst Wirtschaft, Finanzen und Handel, internationale Beziehungen und Gesellschaft bis hin zu Technologie und Wissenschaft. Bis auf Stellen- und Veranstaltungsanzeigen ist der Newsletter werbefrei.
Laut Selbstdarstellung des Verlags verbindet das Angebot als „das neue Leitmedium für die deutschsprachige China-Berichterstattung“ journalistischen Anspruch mit umfassender China-Expertise. Die Redaktion berichtet aus Peking, Brüssel und Berlin „das Entscheidende für Entscheidende“. So viel exklusive Qualität hat ihren Preis: Abonnent*innen erhalten den Newsletter für 199 Euro im Monat. Das gleiche Preisschild hängt am Monatsabo für Europe.Table, dem Briefing „für EU-Regulierung und Europa-Politik aus den europäischen Entscheidungszentren“.
Mit Themen-Briefings zum Erfolg
Seit 2021 kamen weitere Briefings zu den Themen Afrika, Bildung, Forschung, internationale Klimapolitik, ESG (Nachhaltigkeitspolitik), Landwirtschaft/Ernährung sowie Außen- und Sicherheitspolitik dazu. Diese wöchentlichen Newsletter kosten im Monatsabo 149 Euro. Daneben gibt es werktäglich den kostenlosen Nachrichtenüberblick 100 Headlines sowie mit Berlin.Table einen Newsletter zur Bundespolitik.
Die Berlin.Table-Redaktion wird geleitet von Stefan Braun, vormals langjähriger Parlaments-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung. „Wir wollen weglassen, was exzellente Politik-Kenner schon wissen und ihnen dafür das liefern, was sie anderswo nicht oder nur weit verstreut finden würden“, beschrieb Braun gegenüber dem Mediendienst Kress die inhaltliche Philosophie von Berlin.Table. Die exklusive Zielgruppe dieses Professional Briefings eigne sich auch ideal für passgerechte Werbebotschaften, lockt die Redaktion. „Mit dem Berlin.Table erreichen Sie über 50.000 Empfänger mit Ihrer Werbung einfach und direkt“, heißt es in einem Anschreiben an Probe-Abonnenten, das Late-Night-Memo sei „konsequent auf die politische Spitze zugeschnitten“, die Redaktion „exzellent vernetzt“.
Die Strategie heißt „deep journalism“
Als Chefredakteurin der Dachmarke Table Media agierte von Anfang an Antje Sirleschtov, zuvor Ressortleiterin beim Tagesspiegel. Ein großer Teil der inzwischen mehr als 100 Mitarbeiter*innen kommt aus Redaktionen etablierter Medien. Zum Beispiel Ex-Spiegel-Mann Horand Knaup, Malte Kreutzfeldt von der Tageszeitung (Taz), Vera Weidenbach und Daniel Schmidthäussler von der ARD oder Okan Bellikli vom Wissenschaftszentrum Berlin.
Für Table-Media-Herausgeber Sebastian Turner ist der von ihm so genannte „deep journalism“ die probate Strategie zur Rettung der Qualitätsmedien, deren bisheriges Geschäftsmodell durch die Gesetze der Digitalisierung vor dem Scheitern steht. Die von Unternehmen wie Politico, Tagesspiegel und Table Media betriebene „Vertikalisierung“ schaffe ein neues Mediensegment: die „Domänen-Leitmedien“. Ihr gemeinsames Merkmal: Angebote, Preis und Tiefe der Berichterstattung würden je nach Thema und Leserschaft neu gebündelt und bepreist, frei von den Zwängen der Drucktechnik und der Logik der Werbemärkte. Turners optimistisches Fazit: „Mit Deep Journalism gibt es wieder ein Betriebssystem, das mehr Qualität auch wirtschaftlich belohnt.“
Lesehinweis: Sebastian Turner/Stephan Russ-Mohl (Hg.): Deep Journalism – Domänenkompetenz als redaktioneller Erfolgsfaktor. Herbert-von-Halem-Verlag Köln 2023, 316 Seiten, 25 Euro.