Am Tropf von Spenden, Stiftungen und Staat?

Foto: Hermann Haubrich

Wie kann ein unabhängiger Journalismus, der seine öffentliche Aufgabe erfüllt, ökonomisch tragfähig, ohne Selbstausbeutung arbeiten? Medien-Start-ups in Deutschland versuchen das als Teil des kapitalistischen Systems oder als gemeinnützige Non-Profit-Unternehmen – mit Spenden, Stiftungsgeldern, staatlicher Förderung.

Die Medienbranche steckt in einer Krise. Doch der Hannoveraner Kommunikationsforscher  Christopher Buschow ist nach einer explorativen Untersuchung von 15 Online-Medien-Neugründungen skeptisch, dass diese ein „Allheilmittel für die Probleme des professionellen Journalismus sein werden“, denn „Gründer konzentrieren sich auf die Produktion von qualitätsvollen Inhalten, wie sie sie in den von Kostensenkungen gebeutelten Redaktionen zunehmend seltener vorfinden.“ Gewinnerzielungsabsichten spielten „nur eine nachgeordnete Rolle.“

Mit Spenden: Beziehungen zu Leser_innen monetarisieren

 Das gilt auch für die Wochenzeitung „Kontext“, die im April 2011 im Zuge der „Stuttgart 21“-Proteste als gemeinnütziger Verein gestartet ist – mit „viel Herzblut und wenig ökonomischem Sachverstand“. Nach einer Anschubzuwendung des Ehepaars Schairer finanziert sie sich überwiegend durch Beiträge der mittlerweile 325 Vereinsmitglieder und über Spenden. In der Redaktion arbeiten Profis, unterstützt von freien Mitarbeitenden. Ihre Unabhängigkeit wird in einem Redaktionsstatut garantiert. „Kontext“ kooperiert mit der Berliner „taz“, die jeden Samstag ihre Infos aus Baden-Württemberg veröffentlicht und mit Lizenzgebühren zu einem Viertel des Budgets beiträgt. Als Mitgründer Josef-Otto Freudenreich zum Fünf-Jahres-Jubiläum 2016 gefragt wurde, was er gerne anders machen würde, sagte er: „Die Kolleginnen und Kollegen besser bezahlen, ihnen mehr Urlaub gönnen und mehr Feste feiern.“

Ebenfalls mit Spenden starteten die „Krautreporter“  2014 ihr unabhängiges, digitales Magazin in Berlin – allerdings als GmbH. Durch Crowdfunding bekamen sie 900.000 Euro von mehr als 15.000 Abonnent_innen. Als ihre Zahl auf 5.000 schrumpfte, wurde das Unternehmen 2016 in eine Genossenschaft umgewandelt, an der sich 350 Menschen mit 150.000 Euro beteiligten. Anfang Oktober 2017 gibt es bereits 384 Genoss_innen. Die Leser_innen „sind Teil unseres Geschäftsmodells“, so Krautreporter Rico Grimm im Juni während einer Gründerrunde auf der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche. Sie würden per Mail über die Arbeit des Teams informiert und zur Recherche eingeladen. Die meisten Themen gingen auf Leserwünsche zurück. Ihm sei es lieber, wenn 1000 Mitglieder ihm sagen, worüber er schreiben solle, als wenn das ein Chefredakteur bestimme: „Wir müssen ein Ökosystem für Leser-finanzierten Journalismus schaffen.“ Auf die Frage, ob die „Krautreporter“ auch Artikel veröffentlichten, die Ärger nach sich ziehen, antwortete Grimm: „Deshalb haben wir die Genossenschaft gegründet, um Geld für solche Auseinandersetzungen zu haben.“

Es gelte, „nicht Inhalte zu verkaufen“, sondern die Beziehungen zu den Leser_innen, „den Fans zu monetarisieren“, so  Philipp Schwörbel, Mitgründer der „Krautreporter“ und Vorstand der Genossenschaft, während der ver.di-Medientage 2017. Die Finanzierung der Arbeit könne nur langfristig gesichert werden, wenn man „ein gutes Produkt“ anbiete. Leute zahlten nicht für Polizeimeldungen oder dpa-Nachrichten.

Mit „Nischenthemen“: Unabhängig, kritisch, vernetzt

Leichter als allgemein gesellschaftspolitische Artikel, wie „Krautreporter“ oder „Oxi“ sie anbieten, lassen sich nach Buschow Nischenthemen vermarkten, die sich an eine spezifische Community wenden – etwa Lokalberichte. Ein Beispiel sind die „Prenzlauer Berg Nachrichten“, die Philipp Schwörbel bereits 2010 in dem Berliner Stadtteil gründete und die sich werbefrei ausschließlich über Leser_innen-Abos für 5 bis 15 Euro pro Monat finanzieren. Auch  Regensburg digital“, das schon seit 2008 Missstände aufdeckt und mit Klagen überzogen wird, stützt sich ökonomisch zu 70 Prozent auf freiwillige Spenden aus der Leserschaft. Ein Beitritt zum Förderverein kostet ab 10 Euro pro Monat, so der Herausgeber und verantwortliche Redakteur Stefan Aigner, der klarstellt: „Sie haben dadurch keinerlei Einfluss auf unsere Berichterstattung.“ Der Rest des Budgets kommt über Werbung rein.

Weitere „Nischenthemen“ sind etwa Medienkritik, die  Stefan Niggemeier  und Boris Rosenkranz  seit 2016 in „übermedien“ verbreiten oder Frauen, die zehn Journalistinnen seit 2015 in ihrem digitalen Magazin „Deine Korrespondentin“ in den Fokus ihrer Berichte rücken. Wissenschaft wird seit 2016 in „Perspective Daily“ thematisiert – einem Mitglieder-finanzierten Webmagazin, das sich dem konstruktiven Journalismus verpflichtet fühlt, d. h. lösungsorientiert berichtet.

Das digitale Wissenschaftsmagazin „Substanz“  starteten Georg Dahm und Denis Dilba bereits im März 2014 in Hamburg – mit 37.000 Euro aus Crowdfunding und Erspartem. Ein Jahr später war Schluss, weil es nicht genug Abos gab. „Wir hatten den klassischen Fehler gemacht, extrem viel Geld ins Produkt zu stecken und kaum etwas ins Marketing“, so Dahm, der jetzt in einer Content-Agentur arbeitet und gleichzeitig neue Projekte ankurbeln will – etwa ein Modell, „dass Medien sich Reichweite teilen und gegenseitig verlinken“.

Tanja Krämer glaubt, „dass freie Kollegen nur dann eine Chance haben, wenn sie sich stärker als Unternehmer verstehen“. Deswegen habe sie zusammen mit anderen in diesem Jahr „RiffReporter“  gegründet – als „das neue Ökosystem für freien Journalismus“ analog zum inspirierenden Lebensraum des Korallenriffs. Die User zahlen nur für die Online-Beiträge aus Wissenschaft, Gesellschaft, Umwelt und Technologie, die sie interessieren – wobei sich  Vogelkunde  als erster Renner erwiesen habe. Das Geld geht direkt an die Autor_innen, die es dann in neue Recherchen stecken können. Sie haben sich in einer Genossenschaft organisiert, die ihnen Tools zur Qualitätssicherung wie ein Lektorat, den Ausspielkanal und die verschiedenen Bezahlmöglichkeiten bietet. „Im Team arbeiten bringt Sicherheit“, so Krämer.

„RiffReporter“ hat am 11. November den erstmals vergebenen #NETZWENDE-Award erhalten. Der Medienpreis prämiert nachhaltige Innovationen im Journalismus anlässlich des Vocer Innovation Days im Verlagshaus des Spiegel. Die Auszeichnung ist eine Initiative von Vocer in Kooperation mit dem Spiegel, der August-Schwingenstein-Stiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung und Zeit-Stiftung Ebelin sowie Gerd Bucerius.

Mit Stiftungsgeldern und Gemeinnützigkeit

Vor allem Wissenschaftsjournalismus unterstützen die 78 deutschen Stiftungen, die auch journalistische Projekte als Förderzweck nennen. Eines der erfolgreichsten stiftungsfinanzierten Start-ups ist das Recherchebüro correct!v, das 2014 als gemeinnützige GmbH mit drei Millionen Euro von der Brost-Stiftung für die ersten drei Jahre startete. Das Team deckt durch investigative Recherche Missstände wie „Marketingstricks der Pharmakonzerne“ auf und stellt die Rechercheergebnisse anderen Medien, aber auch Journalist_innen ohne Honorar zur Verfügung. Wegen eines  kostenlosen Faktenchecks für Facebook wurde correct!v im Januar heftig kritisiert. Inzwischen finanziert die „Open Society Foundation“ von Milliardär George Soros mit 100.000 Euro die Überprüfung von „Fake News“ durch ein vierköpfiges correct!v-Team im Projekt „Echt jetzt“.

Stiftungen und vor allem Mitgliedsbeiträge sollen die langfristige finanzielle Absicherung und journalistische Unabhängigkeit garantieren. Das Recherchebüro hat im November 2017 mit 2.540  die Hälfte der angepeilten 5.000 Mitglieder gewonnen, wobei diese im Durchschnitt 100 Euro pro Jahr zahlten, so correct!v-Gründer David Schraven auf Nachfrage von M. Doch dieses Mitglieder-Ziel sollte schon Ende 2015 erreicht werden, schreibt Medienforscher Volker Lilienthal in seiner Anfang Oktober veröffentlichten Fallstudie. Durch Befragungen und Beobachtungen in einer Feldphase von April bis Juli 2016 analysierte er mit seinem Team Arbeitsstrukturen und ökonomische Nachhaltigkeit des Recherchezentrums. Fazit: „Drei Jahre nach Gründung ist correct!v noch nicht konsolidiert.“ Schraven ist optimistischer: „Wir haben in diesem Jahr einen Gesamtetat von über zwei Millionen Euro, obwohl die Gelder der Brost-Stiftung jetzt auf 500.000 Euro zurückgegangen sind.“ Die in der Studie genannten 30.000 Mitglieder seien ein langfristiges Wunschziel, aber schon mit 5.000 sind wir „unkaputtbar“, so Schraven.

Genauso wie „Kontext“ ist correct!v als gemeinnützig anerkannt, weil das Medienprojekt auch Weiterbildungsveranstaltungen anbietet und so den in der Abgabenordnung verankerten Förderzweck der Volksbildung erfüllt. Auch über andere Förderzwecke kann der Status der Gemeinnützigkeit erreicht werden, etwa Verbraucherschutz (netzpolitik.org oder finanztip.de) oder Völkerverständigung (hostwriter.org ). Gemeinnützigkeit bedeutet Befreiung von Gewerbe- und Körperschaftssteuer.

Netzwerk Recherche macht sich für gemeinnützigen Journalismus stark – etwa mit einer  „Gründertour“. Doch eine gesetzliche Verankerung von Journalismus als gemeinnützig wird auch skeptisch gesehen – etwa von Josef-Otto Freudenreich: „wenn ich mir vorstelle, Springer wäre plötzlich gemeinnützig…“  Oder wenn gar rechtspopulistische Magazine wie compact-online.de von der Gemeinnützigkeit profitierten? Da Gemeinnützigkeit neue Geldquellen erschließt, wollen New York Times und der britische Guardian mit eigenen gemeinnützigen Organisationen in den USA um das Geld der Förderer werben, heißt es im nr-Newsletter vom 19. September. :“Gründen nun bald auch „Der Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ gemeinnützige Tochter-Organisationen?“

Die Journalist_innengewerkschaft dju in ver.di befürchtet, durch das Verbot, Gewinne zu machen und Rücklagen zu bilden, könne Gemeinnützigkeit sich negativ auf journalistische Handlungsfreiheit auswirken. Sie kollidiere zudem mit der Pressefreiheit nach Artikel 5 GG, da gemeinnützige Medienunternehmen der Kontrolle der Finanzämter unterstehen. Wo bleibt da die Staatsferne? Stefan Aigner von „regensburg digital“ sieht das ähnlich: „In den Augen des Finanzamts ist unsere Arbeit nicht gemeinnützig. Egal. Das macht uns umso unabhängiger.“

Mit „guter Arbeit“: Gegen Selbstausbeutung, mit öffentlichen Geldern

 Unabhängigkeit und journalistische Qualität haben ihren Preis. Für Medien-Neugründungen gibt es nur eine Chance auf ökonomische Nachhaltigkeit, wenn auch genug für den Lebensunterhalt der Mitarbeitenden bleibt. Nach den Befunden von Buschow haben Medien-Start-ups in Deutschland aber „keine größere Zahl stabiler journalistischer Beschäftigungsverhältnisse zur Folge“, Journalismus wird zur Nebentätigkeit. Auch in der nr-Gründerrunde wurde deutlich, wie viel Selbstausbeutung Journalist_innen für das selbstbestimmte Arbeiten in Kauf nehmen: „Kamikaze-Mentalität bei der Gründung“, „12 Stunden Arbeit pro Tag“. Jedoch: „Das ist Stress, aber mein eigener.“

Um die Medien-Start-ups ökonomisch zu unterstützen, gibt es verschiedene politische Handlungsoptionen – etwa die Nutzung der Haushaltsabgabe, mittelbar über die Landesmedienanstalten. So bietet die BLM in Bayern ein Medienlabor  als „Ideen-Inkubator für digitalen Journalismus“ und die LfM in Nordrhein-Westfalen unterstützt seit 2015 Lokaljournalismus-Projekte über ihre Stiftung „Vor Ort NRW“. Buschow schlägt steuerliche Anreize für private Medieninvestoren vor, die an „nachhaltige, qualitätsvolle Produktion von Journalismus“ geknüpft sind. Die dju in ver.di plädiert – analog zu Zeitungen und Büchern – für eine ermäßigte Mehrwertsteuer von 7 Prozent auch für Online-Medien, gebunden an Qualitätskriterien wie Ausbildungsstandards, Tarifverträge und Redaktionsstatute.

Fazit und Ausblick

Vielfältig, journalistisch anspruchsvoll sind die Medienprojekte – aber immer noch Inseln im kapitalistischen Meer. Ihre Unabhängigkeit ist auf Dauer nur durch ökonomische Nachhaltigkeit zu sichern, zu der auch faire Arbeitsbedingungen und Bezahlung der Beschäftigten gehören, und durch Transparenz der Finanzen, so dass sich z.B. Native Advertising verbietet. Ansonsten gibt es viele unterschiedliche Einnahmequellen, die kombiniert werden können: Crowdfunding, Mitgliedsbeiträge, Genossenschaftsanteile, Abos, Spenden, Stiftungsgelder, gekennzeichnete Werbung und staatliche Förderung – etwa über die Landesmedienanstalten oder Steuergesetze. Von Gemeinnützigkeit kann Journalismus profitieren, auch wenn er nicht ausdrücklich als Förderzweck verankert ist. Denn die Bindung an Bildung, Verbraucherschutz oder Völkerverständigung garantiert den Journalismus, den eine funktionierende Demokratie braucht: kritisch, unabhängig, im Interesse der Zivilgesellschaft.

Dieser Artikel  ist zuerst in der November-Ausgabe von „Oxi  – Wirtschaft anders denken“ erschienen  und wurde aktualisiert übernommen.  

Lesen Sie auch das Interview mit Günter Bartsch, Geschäftsführer beim Netzwerk Recherche (nr) und zuständig für die Förderung gemeinnütziger Journalismus-Projekte und Gründungen


Zum Weiterlesen

Christopher Buschow: Die Neuordnung des Journalismus. 2017

Netzwerk Recherche: Gemeinnütziger Journalismus weltweit. 2015

Handbuch des selbstbestimmten Lokaljournalismus im Netz. 2016

Volker Lilienthal: Recherchejournalismus für das Gemeinwohl. Correct!v – eine Journalismusorganisation neuen Typs in der Entwicklung, in M&K 4/2017, S. 659–681

 

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