ÖRR: Qualität vor Reichweite

Elena Kountidou, Geschäftsführerin der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NDM) und Tanja Weber vom Institut für Medienkultur und Theater der Uni Köln, Medienpolitische Tagung 2023 von ver.di und DGB. Foto: Kay Herschelmann

Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat in jüngster Zeit – auch aufgrund diverser Skandale um Verschwendung und Vetternwirtschaft – gelitten. Unter dem Titel „Mit Qualität neu überzeugen – auf die Inhalte kommt es an!“ diskutierten auf der Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 10. Oktober in Berlin Medienschaffende, Wissenschaftler*nnen und Rundfunkräte über konstruktive Wege aus der Krise.

„Alle wollen Qualität, niemand will Schrott!“ Mit dieser kategorischen Ansage leitete DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi ihr Grußwort im neuen DGB-Haus am Berliner Wittenbergplatz ein. Aber was bedeutet Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Einschaltquoten und Reichweiten seien jedenfalls keine geeigneten Maßstäbe, so Fahimi. Sie verwies auf den kürzlich in Kraft getretenen Dritten Medienstaatsvertrag, nach dem die Rundfunkräte aufgefordert werden, Qualitätsstandards aufzustellen und deren Einhaltung zu überwachen. Wünschenswert sei aber eine im gesamten Unternehmen spürbare „Qualitäts-Kultur“.

Guter Journalismus statt Schrott

Gute Programme, guter Journalismus sei an einige Voraussetzungen geknüpft: ausreichende Ressourcen, redaktionelle Freiheit, Mitsprache und anständige

Yasmin Fahimi (DGB), Medienpolitische Tagung 2023 von ver.di und DGB. Foto: Kay Herschelmann

Löhne. Und Führungskräfte, die das Engagement für Qualität unterstützten anstatt „weniger Aufwand“ und „mehr Wiederholungen“ zu fordern, wie es unter den Bedingungen der digitalen Transformation vielfach geschehe. Fahimi nannte einige in der aktuellen Qualitätsdebatte erörterten Kriterien: die Verpflichtung, allen Bevölkerungsgruppen die „Teilhabe an der Informationsgesellschaft“ zu ermöglichen; die Bereitschaft, nicht nur Nachfrage nach Bewährtem zu decken, sondern auch mit innovativen Angeboten Interesse und Neugierde zu wecken.

Partizipation fördern

Eher unterbelichtet sei in der Debatte bisher die Bedeutung der Partizipation – nach innen die Mitbestimmung de Mitarbeitenden, nach außen die Beteiligung des Publikums. In diesem Zusammenhang kritisierte Fahimi die Zusammensetzung des von der Rundfunkkommission der Länder berufenen „Zukunftsrat“. Der Rat, der bis Ende des Jahres Vorschläge zur Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen vorlegen soll, sei ein reines Expertengremium – Mitarbeitende und Publikum seien „mal wieder außen vor“ geblieben. Aber, so das Fazit der DGB-Vorsitzenden: „Qualität und Partizipation schaffen Vertrauen oder lassen es wieder wachsen.“

Weniger Meinung mehr Handwerk

Brauchen wir neue Maßstäbe für Qualitätsjournalismus? Nein, findet Olaf Sundermeyer, Redakteur und Investigativreporter bei RBB Recherche, „schon eher eine Schärfung der bewährten journalistischen Maßstäbe, die in den vergangenen Jahren zulasten von Personalisierung und Meinung vor allem in einzelnen digitalen Formaten aufgeweicht wurden“. Nötig sei eine Rückbesinnung auf journalistische Standards wie die Trennung von Nachricht und Kommentar. Sundermeyer warnte vor den immer aggressiver formulierten Bestrebungen der AfD, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen.

Das Gros des Publikums vertraue weiterhin den Öffentlich-Rechtlichen. Es gelte jedoch, sie gegen die zunehmenden Attacken widerstandsfähig zu machen. Nie in der Geschichte der Bundesrepublik sei glaubwürdiger Journalismus wichtiger gewesen als „in dieser Zeit multipler Krisen und Populismuskonjunktur“. Ergänzend zu den gängigen TV- und Hörfunkformaten seien daher Mediatheken-Produktion und Podcasts sowie Investigativrecherchen, die über den Tag hinauswirkten. Dazu bedürfe es „nicht mehr Geld, sondern eine sinnvolle Umverteilung“ der Ressourcen.

Einige der von Sundermeyer genannten – nicht ganz neuen – Reformvorschläge: Gehaltsdeckel für Intendant*innen, Verkleinerung des Direktoriums, Honorardeckel für prominente Spitzenverdiener, Verringerung von Außertariflichen-Verträgen, Kürzungen bei den Ausgaben für Sportrechte.

Defizite bei der Repräsentanz

Paulina Fröhlich vom Berliner Think Tank „Progressives Zentrum“ ist Co-Autorin der vor drei Jahren erschienenen Studie „Die Talkshow-Gesellschaft“. Die Hauptkritik dieser Arbeit richtet sich auf die extrem ungleiche Repräsentanz gesellschaftlicher Kräfte in den vier wichtigsten Talk-Formaten. So rekrutieren sich zwei Drittel der Gäste aus Politik und Medien, Vertreter der Zivilgesellschaft sind „vernichtend gering“ präsent. Geht es um wirtschaftliche Fragen, liegt der Anteil der Arbeitgeberseite mit 75 Prozent deutlich vorn. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind meist Aktivist*innen der Klimabewegung – „mit großer Wahrscheinlichkeit sitzt dann Luisa Neubauer im Talkshowsessel“.

ARD-Chefredakteur Oliver Köhr räumte Defizite bei der Auswahl der Talk-Gäste ein. Auf diese auch von der ARD-Gremienvertreterkonferenz unlängst formulierte Kritik habe das Erste inzwischen reagiert. Die Moderator*innen würden künftig vertraglich auf eine „Multiperspektivität“ in Gästeauswahl verpflichtet. Gehe es um Flüchtlingsfragen, sei auch ihm im Zweifel der Bürgermeister einer betroffenen Gemeinde als Gesprächspartner lieber als ein Bundespolitiker.

Studienautorin Fröhlich wünscht sich in diesen politisch aufgewühlten Zeiten Formate, die ihrer hohen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden: Weniger „Show-Schlagabtausch“ und mehr konstruktive Debatten mit Erkenntnisgewinn für alle Beteiligten. „Das muss der Auftrag von Talk-Shows sein“, so Fröhlich, „und wenn sie das nicht erfüllen, müssen wir sie eigentlich auch nicht haben“.

Olaf Sundermeyer kritisiert das Stadt-Land-Gefälle in der medialen Darstellung. Wieso zum xten Mal in einem Talk Gregor Gysi mit einem AfD-Repräsentanten konfrontieren? Das sei zwar bequem für die jeweilige Redaktion, viel interessanter sei aber der Bürgermeister von Seelow oder der von Bitterfeld-Wolfen, die gerade die Wahl gegen einen AfD-Kandidaten gewonnen haben. Das im RBB-Fernsehen erprobte Bürgertalk-Format „Wir müssen reden“ belege: Mit etwas mehr Mut zum Risiko sei es gar nicht so schwer, der „Berliner Blase“ zu entkommen.

Deutsche Unterhaltung?

Das nächste Panel begab sich auf die „Suche nach dem öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsprofil“. Für Jasmin Maeda, Senderchefin ZDFneo, verkörpert die Wissenschaftsshow „Mai-Think“ mit Mai Thi Nguyen-Kim den Prototyp eines gelungenen Unterhaltungsformats: sachliche Darstellung von Wissenschaft

Elena Kountidou, Tanja Weber, Sissi Pitzer, Jasmin Maeda, Medienpolitische Tagung von ver.di und DGB.
Foto: Kay Herschelmann

inklusive persönlicher Haltung, gelegentlich satirisch zugespitzt. Als kleiner Sender habe man die Chance, sich inhaltlich und formal speziell auf jüngere Zielgruppen zu fokussieren. „Neo steht für Experimente, Innovation, für Formatlabore“, sagt Maeda. Dazu zähle „Nischiges“ wie die Drama-Serie „Safe“ über Kinder- und Jugendpsychiatrie, den Talk „Neo Ragazzi“ mit Tommi Schmitt und Sophie Passmann oder das satirische „Browser Ballett“.

Tanja Weber vom Institut für Medienkultur und Theater der Uni Köln, zugleich Mitglied der diesjährigen Grimme-Preis-Jury Fiktion, assoziiert mit öffentlich-rechtlicher U-Qualität vor allem „Vielfalt in jeglicher Hinsicht“. Die finde sie bedauerlicherweise selten in der Prime Time von ARD und ZDF. Die Mediatheken würden von ihren Filmstudierenden kaum genutzt, außer für Arte-Produktionen. Aus ihrer Lehrtätigkeit wisse sie, dass junge Leute ARD und ZDF im fiktionalen Bereich wenig zutrauen. Geläufig sei ihnen allenfalls das digitale Jugendangebot „funk“. Deutsche Qualitätsfiktion lernten sie eher indirekt kennen – über Netflix.

Auch Elena Kountidou, Geschäftsführerin der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NDM) schwebt eine Unterhaltung vor, „in der alle vorkommen“. Dieses Vielfaltsideal finde aber in den Programmen nicht statt. Die Rollenbesetzungen in öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsformaten seien nach wie vor sehr defizitär: Einwanderungsgeschichten, behinderte und queere Menschen gebe es noch zu wenig, und wenn, dann eher in den Mediatheken als im linearen Programm. Die im Frühjahr bei Disney+ angelaufene Serie „Sam – ein Sachse“, basierend auf der Lebensgeschichte von „Sam“ Meffire, dem ersten afrodeutschen Polizisten Ostdeutschlands, habe bei deutschen Produzenten keine Chance bekommen. „Es fehlt an Mut, aus den ausgetrampelten Pfaden rauszugehen“, monierte Kountidou. Nötig sei ein Transformationsprozess, der auch das Führungspersonal in den öffentlich-rechtlichen Anstalten – „ich sehe da kaum Entscheidungsträger mit Diversitätsmerkmalen“ – umfassen müsse.

Arbeiten beim Rundfunk

Mark Hassenzahl, Cutter und Personalrat im Westdeutschen Rundfunk, geißelte in einem medienpolitischen Zwischenruf den „vorauseilenden Gehorsam“ öffentlich-rechtlicher Intendant*innen gegenüber rechten Kräften, die ARD und ZDF kaputtsparen wollten. Anstatt selbstbewusst eine Beitragserhöhung einzufordern, würden lediglich die knapper werdenden Mittel umgeschichtet. Die Qualität von Beiträgen leide, weil aufgrund digitalisierungsbedingter Mehrarbeit keine sorgfältige Abnahme mehr möglich sei. Sogenannte „Regiostücke“, die von den elf Landesstudios aus Spargründen für immer größere Sendegebiete produziert würden, gingen an den Informationsbedürfnissen großer Teile der Bevölkerung vorbei. Hassenzahl: „Für die Freien, die die Stücke im Regionalen zu 100 Prozent produzieren, wird der Kuchen dadurch immer kleiner.“

Nora Freier, stellvertretende Leiterin des Instituts für Demokratie- und Partizipationsforschung an der Uni Wuppertal bilanzierte die bisherigen Erfahrungen mit „gesellschaftlicher Beteiligung an der Programmgestaltung“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Im Rahmen einer „Blitzlichtstudie“ habe vor allem der „ARD-Zukunftsdialog“ und das 2021 vom Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Grimme-Institut organisierte Format „Mein Fernsehen“ positive Noten bekommen. Ihr Fazit: Die Partizipation nach außen werde bei den Öffentlich-Rechtlichen „substantiell als wesentliches Kriterium wahrgenommen“. Hinsichtlich der Formate sei allerdings „durchaus noch viel Luft nach oben“.

„Erklärt uns mehr, zeigt uns mehr die Hintergründe!“ Nach den Erfahrungen der NDR-Programmleiterin „Gesellschaft“ Juliane von Schwerin dürstet das Publikum nach vertiefter Information in einzelnen Formaten. Ein Wunsch, den man schon im neubearbeiteten Sonntagabendtalk mit Caren Miosga berücksichtigen werde. Als Beispiel für ein gelungenes Community-Management bei jungen Angeboten

Nora Freier, Juliane von Schwerin, Sissi Pitzer und Christoph Schmitz, Medienpolitische Tagung von ver.di und DGB. Foto: Kay Herschelmann

nannte sie das NDR-Reportageformat „Steuerung F“ von „Funk“ mit inzwischen 1,2 Millionen YouTube-Abonnenten. Allein die letzten zehn Reportagen hätten an die 50.000 Kommentare erzeugt, die bearbeitet und beantwortet worden seien. ARD Aktuell habe ungefähr 14 Millionen Follower auf allen sozialen Kanälen und täglich 50.000 Kommentare. „Wir haben inzwischen ganze Heerscharen von Community Managern eingestellt, die nichts anderes machen als in den Dialog zu gehen“, so Schwerin.

Dialog auf Augenhöhe

Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz wünscht sich in der Kommunikation zwischen Sendern und Publikum „mehr Dialog auf Augenhöhe“. Die Bürger*innen als Beitragszahler hätten ein Recht auf erhöhte Transparenz. Wie aber können die Mitarbeitenden besser mitgenommen werden? Vorrangig sei hier die Einbeziehung aller Beschäftigtengruppen in die reguläre Mitbestimmung sowie auch die Einbeziehung von festangestellten und freien Mitgliedern der Personalvertretung in die Rundfunkräte. Diese gelte speziell für die Verwaltungsräte. Befriedigend sei in dieser Hinsicht nur die Repräsentanz im SR, SWR, WDR und bei Radio Bremen. „Gerade da, wo über Strukturen, über Finanzen, über Personal entschieden wird, braucht es Mitspracherechte“, so Schmitz. Angesichts der im Dritten Medienstaatsvertrag erweiterten Aufgaben seien mehr Kompetenzen für die Gremien nötig, „damit sie besser dazu beitragen können, dass dieser Reformprozess gelingt“.

Schmitz plädierte auch für eine Stärkung der Redaktionsausschüsse, ihre Mitsprache bei Diskussionen über die Programmentwicklung. Warum? „Die Kolleginnen und Kollegen haben ein hohes Ethos, sie müssen für Versäumnisse in den Sendern den Kopf hinhalten“. Auch müssten sie sich den Angriffen erwehren, die bei Demonstrationen sogar zu körperlichen Übergriffen führten. Dabei könnten gerade sie aufgrund ihrer größeren Nähe zu den Nutzer*innen das am besten leisten, was ansonsten „mühsam über Beteiligung organisiert wird“.


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