Nachdem der Hype um die Streamingdienste wie Netflix oder Disney+ seinen Höhepunkt überschritten hat, brauchen die Video-on-Demand-Anbieter dringend zusätzliche Einnahmequellen. Sie setzen dabei immer mehr auf werbefinanzierte Modelle und das Geschäft mit den Daten der Nutzer*innen. Für das Publikum werden die Angebote der Videoplattformen damit zum Teil günstiger. Zumindest was die Abo-Gebühren angeht.
Die Nachfrage und der Wettlauf um die besten und attraktivsten Filme und Serien ist ungebrochen. „Die Streamingdienste sind dazu gezwungen, möglichst schnell neue Inhalte, Trends und Ideen zu identifizieren und zu kaufen, um im harten Wettbewerb zu bestehen.“ So formulierte es vor kurzem die Chefin der größten TV-Messe der Welt MIPCOM, Lucy Smith. Denn nur, wenn das Angebot attraktiv bleibt, bleibt auch Netflix & Co die zahlende Kundschaft erhalten. Es sei eine große Herausforderung, die Abonnent*innen zu halten und die Wachstumsraten weiter zu steigern, „aber da nähern sie sich offenbar einer Grenze“, so Smith.
Tatsächlich tobt aktuell eine harter Verdrängungswettbewerb. Mit immer mehr und immer teureren Inhalten wollen sich die Anbieter gegenseitig übertrumpfen. Netflix etwa hat letztes Jahr seinen bisher kostspieligsten Film veröffentlicht: Die Auftragskillergeschichte „The Gray Man“ mit Ryan Gosling und Chris Evans hat 200 Millionen Dollar gekostet.
Brutaler Verdrängungswettbewerb beim Streaming
Neben der Frage, wer das alles noch schauen soll, stellt sich auf Anbieterseite die Frage, wer die kostspieligen Formate überhaupt noch bezahlen kann? Noch kein Streamingdienst kann schwarze Zahlen vorweisen. Die Gesamtverschuldung von Netflix beispielsweise beläuft sich auf über 15 Milliarden Dollar. Und auch Disney+ hat mit weltweit 235 Millionen Abos im aktuellen dritten Quartal letzten Jahres zwar Konkurrent Netflix (223 Mio. Kunden) überholt, doch der Dienst lohnt sich auch für den US-Medienkonzern mit einem operativen Verlust von 1,47 Milliarden Dollar im vorletzten Quartal noch nicht. Jeder Anbieter möchte den anderen übertrumpfen und setzt darauf, dass einigen im Verlauf des Wettbietens finanziell gesehen die Luft ausgeht und größere die kleineren „schlucken“. Ein Altmeister des internationalen Programmhandels ist Jan Mojto, Geschäftsführer von Beta Film, ehemals Vertrauter von Leo Kirch und in dessen Konzern Mitglied der Führungsspitze. Er prognostiziert: „Es wird zu einer Marktbereinigung kommen.“
Das sieht UFA-Chef Nico Hofmann („Unsere Mütter Unsere Väter“, „Kudamm“ u.a.) ähnlich: „Wieviel Investment können die Streamer verkraften, um die kostspieligen Produktionen zu finanzieren.“
Streamer setzen auf Werbung
All das führt aktuell zu einer Abkehr, sich ausschließlich auf Abos zu verlassen. Fast alle Dienste haben inzwischen kostenfreie oder stark vergünstigte Angebote mit Werbung eingeführt. Für Amazon Freevee etwa fallen keine Gebühren an, das neue „Basis-Abo“ von Netflix mit Werbung kostet monatlich 4,99 Euro.
Wie groß das wirtschaftliche Potential ist, hat Maria Rua Aguete vom Londoner Marktforschungsunternehmen Omdia vorgerechnet: Rund 190 Millionen Milliarden Dollar wurden letztes Jahr in Online-Werbung investiert, 2027 sollen es 362 Milliarden Dollar sein. „Bei diesen Aussichten ist es keine Überraschung, wenn alle großen SVOD-Dienste, einschließlich Netflix, auch von diesem Wachstum profitieren möchten“, sagte sie. Die Direktorin der Forschungsabteilung schätzt, dass bis 2027 fast 60 Prozent der weltweiten Netflix-Fans die werbefinanzierte Version nutzen werden. Daraus würden 23 Prozent der US-Einnahmen dann generiert, global gesehen sollen es 14 Prozent sein.
Was in Deutschland gerade anfängt, ist in den USA schon Standard: Paramount+ hat zehn Minuten Werbung pro Stunde mit 26 Spots, Peacock setzt fünf Minuten ein, HBO Max vier Minuten während Disney ein Zeitfenster von sechs Minuten stündlich eingeplant hat. Für das Publikum werden so die Angebote der Videoplattformen deutlich preiswerter. Zumindest was die Abo-Gebühren angeht. Zahlen muss es aber weiterhin – mit den eigenen Daten. Denn hier liegt der wirklich lukrative Vorteil, den Video – on – Demand – Dienste durch den Einsatz von Werbung gewinnen. Als beispielsweise Disney in den Vereinigten Staaten im Dezember sein Werbeangebot startete, waren direkt 46 Unternehmen am Datengeschäft beteiligt, darunter Amazon Web Service, Google und Microsoft. Datenplattformen wie Adobe, Oracle und Qualtrics mischen ebenfalls mit.
Und auch Netflix hat sich gerüstet, um ins Daten-Business einzusteigen. Unter anderem heuerte das Unternehmen ehemalige Top Manager von Snap an. Zusätzliche Unterstützung kommt von Microsoft. Der Softwarehersteller wird die technische Infrastruktur, die Werbeformate sowie das Sammeln und Managen der Daten organisieren.
Abschied vom Abo-Modell
Ein weiterer Trend, der aktuell beginnt, wird zurzeit vor allem in den USA sichtbar: Unter anderem mit der Diskussion über den Siegeszug der FAST (Free Ad-supported Streaming Television) – Kanäle, der in Amerika bereits begonnen hat. Das sind frei verfügbare, werbefinanzierte Angebote, die per Internet zu empfangen sind. Sie bieten zum großen Teil lineares Programm an, ähnlich wie herkömmliche TV-Sender. Laut einer aktuellen Studie der Marktforschung nScreen Media werden die Werbeeinnahmen durch solche virtuellen linearen Kanäle von 2,1 Milliarden Dollar im Jahr 2021 auf 4,1 Milliarden Dollar im Jahr 2023 steigen.
Bei uns kann beispielsweise Pluto TV abgerufen werden. Das Streamingportal des Medienunternehmens Paramount Global bietet über 100 Fernsehstreams an und stellt zudem Filme zum Abruf bereit. Ein anderer Service ist Tubi. Die Plattform von Fox Entertainment wird von 56 Millionen Konsument*innen monatlich genutzt, ist in Europa aber noch nicht zugänglich. Tubi-Programmchef Adam Lewinson erklärte, dass Fernsehen schon immer ein kostenloses, werbefinanziertes Modell gewesen sei: „In den letzten Jahren hatte man den Eindruck, dass die Zukunft des Fernsehens hinter einer Bezahlschranke liegen würde. Ich glaube, dass die Zukunft des Fernsehens kostenlos, werbefinanziert und ein Mix aus linearen und abrufbaren Inhalten sein wird.“