Demokratisch und konstruktiv

Portrait Bärbel Röben

Bärbel Röben, freie Journalistin Foto: Jan-Timo Schaube

Meinung

Der Menschenrechts-Kompass in den Redaktionen sollte zum Neuen Jahr wieder justiert werden, denn er scheint durch den politischen Rechtsruck mancherorts aus dem Lot geraten zu sein. Dieser Eindruck entsteht bei der Thematisierung von Migration oder beim Umgang mit der Forderung nach mehr Vielfalt. Beim Thema Migration folgt die Berichterstattung dem konservativ dominierten politischen Schlagabtausch und aktualisiert damit diskriminierende „Flüchtlingstrom“- Horrorszenarien von AfD und Pegida. Dagegen muss sich Qualitätsjournalismus positionieren.

Die Forderung nach mehr Vielfalt in den Medien wird instrumenalisiert für rechtsextreme Meinungen und trägt so dazu bei, undemokratische Perspektiven zu popularisieren. Deutlich wird das in der Debatte über Antisemitismus, den viele Medien in Deutschland mittlerweile als importiertes Problem rahmen. Migrant*innen aus muslimischen Ländern geraten unter Generalverdacht, während Hubert Aiwanger mit seiner antisemitischen Vergangenheit für die Freien Wähler in Bayern Wahlen gewinnt. In der MENA-Region (Nahost und Nordafrika) sei „der militante Antisemitismus teilweise weiter verbreitet als in europäischen Gesellschaften“, so Antisemitismusforscherin Kim Robin Stoller. Doch in der so geframten Debatte geraten die Deutschen, die einst dem Holocaust den Weg bereiteten, aus dem Blick. Als die Süddeutsche Zeitung über Aiwangers antisemitische Vergangenheit berichtete, gingen 18 Beschwerden wegen „Kampagnenjournalismus“ beim Presserat ein. Diese wurden jedoch alle als unbegründet zurückgewiesen, denn es habe weder eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Sorgfaltspflichten noch eine Vorverurteilung gegeben.

In dem populistisch getriebenen Diskurs wird Antisemitismus für rassistische Ressentiments instrumentalisiert, die in der aktuellen Migrationsdebatte ohnehin geschürt werden. Etwa wenn Migrant*innen für Probleme der Bevölkerung mit der Gesundheitsversorgung verantwortlich gemacht werden. Zum Glück gab es einen Aufschrei in Politik und Medien, als CDU-Chef Friedrich Merz von ausreisepflichtigen Asylsuchenden behauptete: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Durch Recherche wurde die populistische Stimmungsmache auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft und Merz’ Behauptung als falsch entlarvt.

Guter Journalismus gegen rechts

Gutes journalistisches Handwerk kann dem Rechtsruck in der öffentlichen Meinung zwar einen demokratischen Spiegel vorhalten, aber die Krisen geplagten Menschen brauchen auch eine positive Orientierung, die Journalist*innen vermitteln sollten. Große Hoffnung liegt da beim konstruktiven Journalismus, dem es darum geht, Problemlösungen zur Diskussion zu stellen und so demokratische Aushandlungsprozesse wieder zu beleben.

Das setzt Wissen und Differenzierungen voraus, um nicht Falschbehauptungen und Desinformationen aufzusitzen. „Anstatt unzählige Meinungen, braucht der Mediendiskurs vor allem gute Recherchen und Analysen, die sich auf Expertise stützen“, konstatieren die Neuen deutschen Medienmacher*innen NdM Ende November in ihrer Pressemitteilung zum 15jährigen Bestehen und wünschen sich: „Journalismus muss informieren, nicht polarisieren.“ Besonders in Zeiten von Kriegen brauche es „auch Strategien gegen Hass im Netz und Aufklärung zu Desinformationen, am besten mehrsprachig. Denn guter Journalismus bedeutet, Alternativen zu radikalisierenden Social-Media-Debatten zu bieten, anstatt sie zu reproduzieren.“ Statt rechtsradikalen Parteien und rechtspopulistischen Thesen „massig Schlagzeilen und Sendeplätze zu widmen, müssen mehr Betroffene rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt zu Wort kommen“, wünschen sie sich. Die deutsche Medienlandschaft benötige „echte Repräsentanz und Perspektivenvielfalt, damit sich alle Mitglieder unserer pluralistischen Gesellschaft in der Berichterstattung wiederfinden, informiert sind und sich nicht abwenden.“

In der Tat sind die Medien inzwischen diverser geworden – sowohl in ihren Produkten als auch im Personal, mit Ausnahme der Führungskräfte. Vielfalt, für die sich die NdM einsetzen, ist mehrdeutig, erläutert Kommunikationsleiterin Milena Jovanovic im Gespräch mit M. Zunächst betrifft sie Identitätsmerkmale wie Migrationshintergrund, Geschlecht oder soziale Herkunft. Es reiche aber nicht, wenn auch BIPoC-Kolleg*innen vor der Kamera sitzen, entscheidend sei eine demokratische Grundhaltung. „In Zeiten des Rechtsrucks muss sich Journalismus seiner demokratischen Verantwortung bewusst sein“, heißt es denn auch auf dem NdM-Wunschzettel. Vielfalt der Meinungen müsse sich „auf das demokratische Spektrum beziehen, rechtsextreme und menschenfeindliche Äußerungen gehören hier nicht dazu“, so Jovanovic.

Meinungssprektrum offen halten

In einem ethischen Abwägungsprozess ist es also durchaus zu rechtfertigen, wenn Stimmen am rechten politischen Rand der Gesellschaft nicht medial verstärkt werden. Denn denen geht es nicht um Demokratie, sondern um die Instrumentalisierung derselben für ihre Machtbestrebungen, ihnen geht es nicht um kommunikative Vielfalt, sondern um die eigene Wortführerschaft. Die Diskursverschiebung nach rechts bedeutet auch eine Verengung des demokratischen Meinungsspektrums. Diese Entwicklung macht sich inzwischen in der gesamten Gesellschaft breit, warnt die Journalistin Katja Maurer im Blog der Hilfsorganisation Medico International. Wenn die Regierung Kritik an israelischer Politik generell unter Antisemitismus-Verdacht stellt, werde die Bekämpfung von Antisemitismus bezogen auf Israel „eine obrigkeitsstaatliche Angelegenheit und hat keine Idee mehr von Aufklärung, Bildung und gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Und das in Kriegszeiten“.

Ich wünsche mir für 2024 eine Wiederbelebung des demokratischen Diskurses – differenziert,

fakten- und menschenrechtsbasiert mit dem Ziel, gemeinsam sozialverträgliche Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu entwickeln. Wir Journalist*innen sollten uns da stärker unserer Verantwortung als „vierte Gewalt“ bewusst werden und den Mächtigen auf die Finger schauen statt an ihren Lippen zu hängen!

Bärbel Röben

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