Meinung
Zur Erinnerung: Artikel 26 des Grundgesetzes („Friedenssicherung“) bezeichnet „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“, als „verfassungswidrig“. Tatsächlich aber verfahren sowohl die politisch Verantwortlichen als auch die meisten Medien nach dem Motto: „Haltet den Dieb!“. Der Böse ist wie immer „der Russe“.
„Die russische Propaganda schlachtet das Thema aus“, bedauert die „Rheinpfalz“. Der Kasus sei ein „Lehrstück für die Funktionsweise russischer Propaganda“, findet der „Kölner Stadt-Anzeiger“. Und die „Neue Osnabrücker Zeitung“ warnt: „In Putins Psychokrieg ist das wirtschaftlich starke und nervlich schwache Deutschland sogar das ideale Angriffsziel“. Da wollen auch die Öffentlich-Rechtlichen nicht zurückstehen. „Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen“, lässt die Tagesschau einen nervösen deutschen Verteidigungsminister zu Wort kommen und beklagt „russische Spionage bei der Bundeswehr“.
Der Kinderkanal rüstet auf
Noch schlimmer treibt es das ZDF. „Dem Olaf Scholz müssen wir Marschflugkörper mal ordentlich den Marsch blasen!“ Auf dem Kinderkanal KiKa erklärt in einem Kurzvideo der „logo“-Redaktion ein kleiner deutscher Taurus als sprechende Waffe im Kindchenschema, wie überfällig doch seine Lieferung in die Ukraine sei. Lupenreine Kriegspropaganda im öffentlich-rechtlichen ZDF. Natürlich werde in diesem Format das Thema „bewusst überspitzt mit Mitteln der Satire dargestellt“, verteidigt sich die Redaktion gegen empörte Publikumsreaktionen. Humoristisch verpackte Waffenkunde? Eine „kindgerechte“ Verniedlichung von schweren Waffen, diese Infantilisierung des Kriegs dürfte schwerlich mit öffentlich-rechtlichen Programmgrundsätzen vereinbar sein.
In der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine wird von politischer Seite zunehmend auf militärische Eskalation gesetzt. Die krassesten Töne kamen zuletzt vom CDU-Mann Roderich Kiesewetter. „Der Krieg muss nach Russland getragen werden“, forderte er Mitte Februar und schwadronierte von der wünschenswerten Zerstörung russischer Militäreinrichtungen und Hauptquartiere, Ölraffinerien, Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände. Eine Wahnsinnsidee, die aber keineswegs zum Aufschrei in Politik und Medien führte. Im Gegenteil: Kiesewetters durchgeknallte Phantasien tauchten im jetzt geleakten Gesprächsmitschnitt deutscher Luftwaffenoffiziere teilweise wieder auf. Und es geht immer weiter: EU-Atomstreitmacht, NATO-Bodentruppen in die Ukraine – wer bietet mehr?
Nacherzählen statt Nachfragen
Die Medien sollen idealerweise nicht nur informieren, sondern die Politik kritisch begleiten. Im Kontext der Ukraine-Berichterstattung findet dies nur eingeschränkt statt. Viele Medien übernehmen das gelegentlich reichlich schlichte Narrativ der Politik. Da geht es dann nicht allein um die Befähigung der Ukraine zur Selbstverteidigung, sondern um einen Krieg, bei dem es um „Freiheit gegen Unfreiheit“ oder „Demokratie gegen Diktatur“ gehe. Nicht selten schwingt sich der politische Journalismus zum Akteur auf. Bei aller Liebe zur Presse- und Meinungsfreiheit: Die Massivität, mit der ein großer Teil der Leitmedien schon seit Sommer 2023 den „zaudernden“ Kanzler Scholz zur raschen Lieferung des Taurus drängen, lässt diese mehr und mehr als Einpeitscher militärischer Eskalation erscheinen. „Schwerter zu Pflugscharen“? Das ist vorbei. Die Verfechter der „Zeitenwende“ fordern Pflugscharen zu Marschflugkörpern.
Dabei liegt das letzte militärische Desaster unter deutscher Beteiligung kaum drei Jahre zurück. Schon vergessen? „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Ein Satz, mit dem 2002 der damalige SPD-Verteidigungsminister Peter Struck den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Operation Enduring Freedom begründete. Und den nur die wenigsten Medien seinerzeit kritisch hinterfragten. Alle, die nicht dieser Meinung waren, zum Beispiel Die Linke, wurden attackiert und als eine Spezies von vaterlandslosen Gesell*innen verunglimpft – auch von den meisten deutschen Leitmedien.
Rallye around the flag, hieß damals die Losung. Als 2010 die damalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt den Krieg mit den Worten „Nichts ist gut in Afghanistan“ verurteilte, warf ihr der SPD-Bundeswehrbeauftragte Reinhold Robbe „populistische Fundamentalkritik“ vor, viele Medien unterstellten ihr Naivität. Jetzt wünschte man sich von denselben Medien eine selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Fehler – aber Selbstkritik ist die Sache deutscher „Leitmedien“ nicht. Mittlerweile liegt der Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Bundestags zum deutschen Afghanistan-Einsatz vor – es ist eine Chronologie des Scheiterns.
Wo bleibt die kritische Begleitung?
Immerhin: Gelegentlich begeben sich einzelne Medien sogar in einen Dialog mit dem Publikum. Im Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“ des Deutschlandfunks stellten sich am 1. März Marcus Pindur, Sicherheitsexperte im DLF-Hauptstadtstudio und Christian Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP) medienkritischen Fragen von DLF-Hörerin Anne-Kristin Kupke. Das Ausgangsthema: „Von Krieg und Abschreckung: Haben wir zu viel Militärrhetorik in den Medien?“ Demokratische Medien sollten nicht „Steigbügelhalter“ der Politik sein, sondern sie kritisch begleiten, forderte Kupke. Tatsächlich aber seien nach ihrer Wahrnehmung die „Meinungskorridore enger geworden“, sie vermisse eine „größere Perspektivenvielfalt“ in den politischen Sendungen des DLF. Ihre Gesprächspartner hörten geduldig zu, ließen sie aber anschließend – im Ton verbindlich, in der Sache hart – cool abblitzen. Zu wenige Stimmen? Manche Dinge hätten sich eben inzwischen erledigt.
Warum habe es ausschließlich Berichte über militärstrategische Debatten auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), dem Familientreffen von Verteidigungspolitikern, Militärs und westlichen Think Tanks, gegeben? Parallel habe auch eine Münchner Friedenskonferenz stattgefunden, wandte Kupke ein – mit Rednern wie dem Philosophen Olaf Müller, dem Ex-Diplomaten Michael von Schulenburg und dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Themen unter anderem: Alternativen zur vorherrschenden Kriegslogik, die Verteidigung des Pazifismus in Zeiten wie diesen, Chancen einer blockfreien Welt. Wieso kein Bericht darüber?
Wer braucht schon Freunde
Das sei eine „Frage der Relevanz“, bürstete Pindur die Hörerin ab, „wir sind halt zur MSC gefahren“. Die Forderung nach Frieden reiche nicht. „Die Diskussion ist über diese Debatte tatsächlich hinweggegangen.“ Wirklich? Müsste es nicht eher heißen: Einige Redaktionen haben keine Lust mehr auf grundsätzliche Kontroversen? Sie diskutieren offenbar lieber im wohligen Kreis der Gleichgesinnten. Oder wirkt da die Schere im Kopf? Wer allzu sehr vom medialen Mainstream abweicht, schafft sich erfahrungsgemäß keine Freunde.
Die Sendung belegt anschaulich die Repräsentationslücke zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung, wie sie der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger schon 2013 in seiner Studie „Meinungsmacht“ festgestellt hatte. Am Beispiel der Haltung zu Waffenlieferungen hatte er damals die Einbettung führender deutscher Journalisten in transatlantische Thinktanks untersucht – unter besonderer Berücksichtigung der Münchner Sicherheitskonferenz. Daran hat sich offenbar seither wenig geändert.
Die Schlagseite der Talkshows
Spektakulär etwa die Einseitigkeit bei „Maybrit Illner“ am 29. Februar. Thema: „Putin droht, Europa zerstritten – Ukraine auf verlorenem Posten?“ Die Gäste: Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ex-MSC-Leiter Wolfgang Ischinger, Carlos Masala, Politologe Bundeswehr-Uni München, Marina Weisband, deutsch-ukrainische Publizistin und Grüne, Schanna Borissowna Nemzowa – russische Journalistin, Tochter des 2015 ermordeten Politikers Boris Nemzow und Nicole Deitelhoff, Friedens- und Konfliktforscherin. Letztere auch nicht gerade eine Hoffnungsträgerin in Sachen Perspektivvielfalt: „Wenn wir Putin jetzt nicht aufhalten, werden wir ihn danach an der Nato-Außengrenze aufhalten müssen“, so die Quintessenz ihres Beitrags.
Sicher ist diese Sendung nicht repräsentativ, aber es fällt auf: Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Militärs und Politiker*innen, die vom herrschenden NATO-Narrativ abweichen, kommen in der öffentlichen Debatte selten vor. Die Deutungshoheit in den allermeisten Printmedien und leider auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk liegt inzwischen fast ausschließlich bei Kräften, deren politische Strategievorschläge sich in der Losung „Waffen, mehr Waffen, noch mehr Waffen für die Ukraine“ erschöpfen.
DLF-Hörerin Kupke hat Recht: Mit Perspektivenvielfalt, die für eine demokratische Meinungsbildung notwendig ist, hat das nichts mehr zu tun. Putin Monster – NATO gut? „Wertebasierter“ Westen kontra „imperialistische“ Russen? Das ist binäres, undifferenziertes Denken. Wie heißt es in der ver.di-Grundsatzerklärung: „Eine Welt ohne Konflikte wird es niemals geben. Aber eine Welt ist möglich, in der Konflikte friedlich geregelt werden. Allgemeine Abrüstung und eine durch die Völkergemeinschaft legitimierte Weltpolitik sorgen für Frieden. Wir setzen uns für eine Welt ohne Atomwaffen ein.“