Tagesspiegel: Streik sendet klares Signal

Warnstreik beim Tagesspiegel: Jörg Reichel (l.) und Renate Gensch sprechen zu etwa 150 Streikenden.
Foto: Christian von Polentz

„Wir kommen am Verhandlungstisch nicht mehr weiter!“, hieß es von der Gewerkschaftsseite nach der achten Verhandlung um Tarifregelungen für Verlag und Redaktion des Berliner „Tagesspiegel“. Zwei Wochen später nun die Konsequenz: 520 Beschäftigte der Holtzbrinkschen Hauptstadtzeitung waren für den 6. April zu einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen. „Tarifvertrag jetzt!“ und „Schluss mit Nullnummern“, stand auf Transparenten vor den Verlagstoren. Ein „kräftiges Signal“ dank überwältigender Beteiligung, konstatiert ver.di.

So etwas hat es beim Holtzbrinckschen Hauptstadtblatt seit 30 Jahren nicht gegeben: Arbeitsniederlegung von 0 bis 24 Uhr. Etwa 150 Beschäftigte aus Redaktion und Verlag versammelten sich in der Mittagszeit zur Streikkundgebung. Auch Renate Gensch, die dju-Vorsitzende für Berlin und Brandenburg, und Sylvia Vogt, Redakteurin und Mitglied der ver.di-Tarifkommission, sprachen zu den Versammelten – beide begrüßten die große Streikbeteiligung und hofften auf die entsprechende Wirkung. Zumindest werde am morgigen Tag wohl nur eine Notausgabe der Zeitung erscheinen können.

Bereits vor der letzten Tarifverhandlung am 23. März hatten 130 Kolleginnen und Kollegen aus Redaktion und Verlag „Der Tagesspiegel“ im Rahmen einer aktiven Mittagspause gemeinsam gegen die Hinhaltetaktik der Geschäftsführung des zur Holtzbrinckschen Holding gehörenden Verlages protestiert. Schließlich wird seit Juni 2021 um einen Tarifvertrag verhandelt. Doch kam bislang kein annehmbares Angebot. Nach den neuesten Arbeitgebervorstellungen sollen nur Redakteurinnen und Redakteure mit einem Bruttoverdienst bis 3939 Euro, Verlagsangestellte mit einem Bruttoverdienst bis 3230 Euro sowie Studierende eine Entgelterhöhung bekommen – alle anderen nicht. „Dieses Angebot müssen wir ablehnen, weil es trotz galoppierender Inflation für die Mehrheit der Beschäftigten keine Verbesserungen bringt“, sagt dju-Verhandlungsführer Jörg Reichel.
Künftige Gehaltserhöhungen sowie die zwischen den Sozialpartnern vereinbarte Einführung des Branchentarifvertrages knüpft die Geschäftsführung an die Vorbedingung, dass der Verlag im Vorjahr „schwarze Zahlen“ geschrieben habe. Die Arbeitgeberseite begründet das nun auch mit steigenden Kosten durch den russischen Krieg in der Ukraine sowie hohen Energie- und Papierkosten.

ver.di und der DJV Berlin/JVBB wollen dagegen für die kommenden Jahre schrittweise Gehaltssteigerungen verbindlich vereinbaren. Für die Redaktion sollen Gehälter und Regelungen nach dem bundesweiten Manteltarif- und dem Gehaltstarifvertrag für Redakteur*innen an Tageszeitungen gelten. Für den Verlag wird gefordert, die Gehälter mindestens analog dem Gehaltstarifvertrag für Angestellte an Tageszeitungen auf dem Niveau von Nordrhein-Westfalen zu vereinbaren, da Jahresleistung und Urlaubsgeld schon in einem Haustarifvertrag tarifiert sind.

Man wolle sich „bei der Einführung des Branchentarifvertrages nicht der potentiell kreativen Buchführung des Holtzbrinck-Verlages unterwerfen“, sagt Jörg Reichel. „Schlussendlich will der Arbeitgeber damit das unternehmerische Risiko auf die Belegschaft übertragen. Das ist inakzeptabel.“ Deshalb habe die Tarifkommission beschlossen, den Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Das sei mit dem Warnstreik eindrücklich geschehen. „Wir warten jetzt auf ein besseres Angebot“, so Reichel. Komme es nicht, werde über weitere Arbeitskampfmaßnahmen entschieden. Einen neuen Verhandlungstermin gibt es bisher nicht.

Redaktion am 7. April: Tatsächlich erscheint „Der Tagesspiegel“ am Folgetag nur mit einer 16-seitige Notausgabe, statt – wie donnerstags üblich – mit 32 Seiten. Auch die Homepage der Zeitung war am Streiktag verwaist. Tagesspiegel.de konnte den Leserinnen und Lesern lediglich Schubladenbeiträge und Agentur-Nachrichten bieten. Dazu die dju-Pressemitteilung.

 

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