Paradoxe Corona-Welt: Während der Bedarf an Information und gutem Journalismus steigt, schicken Verlage ihre Redaktionen nach Hause. Dabei könnten gerade die Lokal- und Regionalzeitungen die Profiteure der Krise sein.
Das findet laut taz zumindest Hannah Suppa, Chefin für Digitale Transformation der Madsack-Mediengruppe: „In einer Krise wie dieser interessiert das Unmittelbare besonders: Wie viele Infizierte gibt es in meiner Stadt, in meinem Landkreis? Was ist erlaubt? Welche Anlaufstellen gibt es in meiner Umgebung?“ Von der Krise lernen heißt siegen lernen! Für die Zeitung heißt das laut Main-Post-Chefredakteur Michael Reinhard dann auch: weniger Terminjournalismus, mehr eigene Recherchen und politische Themen. Die Zukunft des Lokaljournalismus liege nicht in der Papierzeitung. Ihre künftige Rolle sei eher die eines „regionalen Inhalte-Erstellers für relevante Themen“ – egal ob im Netz oder im Podcast.
Trotz Anzeigenverlusten: Jetzt zahlten sich die Anstrengungen im Hinblick auf die digitale Transformation aus. Will sagen: Dank avancierter digitaler Abo-Modelle können Inhalte jetzt einfacher monetarisiert werden.
Eine knallharte ökonomische Analyse der „Entwicklungen in den regionalen Zeitungsverlagen nach Corona“ liefert dagegen Holger Artus in der Publikationsreihe des „isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung“. Artus, bis Anfang 2018 Betriebsratsvorsitzender bei der „Hamburger Morgenpost“ und langjähriges Mitglied der dju-Tarifkommission, zeichnet ein düsteres Panorama der aktuellen Trends in der Regionalzeitungsbranche. Aufgrund der gleichzeitigen Einbrüche im Anzeigen- und Vertriebsmarkt erwartet er zeitversetzt das Aus für einige Printtitel. Corona werde die ohnehin schon laufenden Sanierungsprozesse weitertreiben. Ob Einrichtung von Zentral- oder Mantelredaktionen für überregionale Print- und Online-Themen, ob Standardisierung und Neustrukturierung der Produktion – der Druck aus den rückläufigen Märkten halte an. „Nur über neue Kooperationen, also der Mehrfachverwertung eines Textes für verschiedene Produkte ansonsten konkurrierender Verlage auf verschiedenen Kanälen, wird das Modell von zentralen Mantelredaktionen mittel- bis langfristig noch funktionieren.“ Ein lesenswerter Beitrag, auch wenn nicht jeder Artus‘ eher skeptisches Urteil beispielsweise über die gewerkschaftliche Rolle in diesem Prozess teilen dürfte.
Auch andere Mediengattungen reflektieren über ihre Rolle nach überstandener Pandemie. Erst seit dem 20. April sind die Buchhandlungen nach vierwöchiger Schließung wieder geöffnet. Trotz mancher Solidaritätsbekundungen bleiben die Käuferströme einstweilen aus, dürfte Amazon seine Marktanteile ausgebaut haben. Gerade kleine Verlage ächzen unter den Folgen der Seuche: Die ausgefallene Leipziger Buchmesse, abgesagte Literaturfestivals und Lesereisen. Der Börsenverein fordert weitere Staatsknete. Ein ferner Lichtblick: Die Frankfurter Messe im Oktober ist einstweilen nicht gecancelt.
Dramatischer noch die Situation des Kinos. Rund 17 Millionen Euro Einnahmen verlieren allein die deutschen „Lichtspieltheater“ Woche für Woche. Schwarzseher augurieren bereits, dass Filmliebhaber künftig vermehrt oder gar exklusiv auf Netflix, Amazon, Disney & Co. setzen. Angesichts dieser finsteren Perspektive und dem beschleunigten Niedergang des kommerziellen Kinos fordert Lars Henrik Gass, Chef der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen eine offene Diskussion über den „Kulturort Kino“. Anders als in vergleichbaren Kultursparten zeige sich die „Schere zwischen Kunst und Kommerz“ sehr deutlich. Für Gass ein denkbares Szenario: „Filmkultur wird nur im Museum überleben, das Museum aber kann ein Kino sein oder ein Online-Angebot.“ Darauf könnte es hinauslaufen: auf der einen Seite die großen Multiplexe mit Blockbuster-Programmierung, auf der anderen Seite „eine stark subventionierte Kino- und Filmbranche musealer Prägung, die auf Kunst, Experiment und gehobene Unterhaltung setzt“. Traurig oder tröstlich?
Der plötzliche Shutdown von Kinos, Theatern und Museen hat auch die TV-Kulturmagazine vorübergehend in Bedrängnis gebracht. Erstaunlich genug, mit welcher Kreativität in den Sendern vielfach auf die vermeintliche kulturelle Brache reagiert wird. In „360G Medien“ dem Portal des Mitteldeutschen Rundfunks für Medienthemen, beschreibt René Martens, wie nach einer kurzen Zwangspause nach und nach einzelne Formate ins Programm und ins Netz zurückkehren: Das gilt etwa für „Capriccio“, die Kultursendung im Dritten des BR, die Film- und Kulturmagazine sowie „artour“ des MDR. Auf Arte online ist mit „Culture @home“ sogar ein neues Format entstanden. Dagegen pausiert die „Westart“ des WDR bereits seit dem 21. März.
Auch das gute alte Dampfradio hat – selbstredend in digitaler Version – nach wie vor einiges zu bieten. Ulrich Seidler berichtet in der „Berliner Zeitung“ über einen tschechischen Sender, der nur Vogelstimmen sendet. Die Projektbetreiber von https://www.slowradio.cz/ haben irgendwo – möglicherweise in einem waldreichen Naturschutzgebiet des Böhmischen Mittelgebirges – ein paar Mikrofone installiert. Man drückt auf Play und hört: Vögel! In Echtzeit! Das perfekte akustische Begleitprogramm zur Pandemie. Genial!
Zu einem Zeitpunkt, da überall nur von Krise, Krankheit, Siechtum und Tod die Rede ist, sorgt Burda für einen kleinen Stimmungsaufheller: Mit „Bunte Genuss & Stil“ launcht der Verlag dieser Tage ein Magazin „rund um die Kunst des Gastgebens“. Wie bitte? Sollte ausgerechnet Burda frech und mutwillig gegen das Gebot der sozialen Distanzierung verstoßen? Okay, die Erstausgabe – auf dem Titel: Prinzessin Lilly zu Sayn-Wittgenstein – erscheint erst am 20. Mai, die zwote am 28. Oktober. Bis dahin gilt die Losung von Viktoria Lauterbach: „Meine Obstkuchen machen glücklich.“
Jede Krise bringt spezifische alltagskulturelle Phänomene hervor: Corona sorgt(e) für Klopapier-Witze, verwaiste Clubs und – Masken. Wo der Gesichtsschutz obligatorisch wird, erscheinen stante pede – dem Rechercheur ist nix zu schwör – Kulturgeschichten der Maske. Eine der amüsanteren liefert die „Süddeutsche Zeitung“. Kernsatz: „In der Ordnung der Dinge ist die Schutzmaske ein strikt funktionales, pragmatisches Stück Schutzkleidung, auch wenn sie durch originelle Fertigung als ästhetische Attraktion maskiert oder durch Verwendung kostbarer Materialien wie beispielsweise Seide als Distinktionsmerkmal eingesetzt wird.“
Die Mutter der Digitalkonferenzen, die re:publica, kann in diesem Jahr – Ironie der Pandemie – nur im Netz stattfinden. Am 7. Mai als kostenlos verfolgbare eintägige Online-Konferenz.
Zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai erscheint es nützlich, den Blick auf die internationale Situation zu weiten. Das European Journalism Observatory beleuchtet die Reaktion der Medien auf die Krise weltweit, sowohl in Ländern, in denen Pressefreiheit herrscht, als auch in Ländern mit beschränkter Pressefreiheit. Ein Deutschland-Kapitel gibt es natürlich auch. Auch M Online berichtet über Mexiko, Serbien und Großbritannien.
Der 1. Mai ist inzwischen auch schon wieder Geschichte. Wer die historische Digital-Mai-Demo des DGB verpasst hat, kann hier einiges nachholen.
Ganz am Ende des aufgezeichneten Live-Streams das musikalische Highlight des Tages: Gewerkschafter bundesweit singen per virtuellem Chor „You’ll never walk alone“.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Corona: Herkels Wochenrückblick Nr. 5
Corona: Herkels Wochenrückblick Nr. 4
Corona: Herkels Wochenrückblick Nr. 3