EU-Kommission geht gegen TikTok vor

Portrait von Jasper Prigge

Jasper Prigge, Rechtsanwalt für Urheber- und Medienrecht in Düsseldorf Foto: Kay Herschelmann

Mit dem Digital Services Act (DSA), der nun in der gesamten EU gilt, werden vor allem die großen sozialen Netzwerke stärker als bislang reguliert. Zu diesen gehört auch TikTok. Die Plattform hat in der EU mittlerweile 135,9 Millionen monatlich aktive Nutzer*innen und ist vor allem bei Jugendlichen beliebt. Die EU-Kommission hat TikTok daher im April vergangenen Jahres als „sehr große Online-Plattform“ (Very Large Online Plattform, kurz: VLOP) eingestuft. In der Konsequenz muss die Plattform damit beginnen, eine Reihe von Vorgaben umzusetzen, unter anderem zum Schutz vor Minderjährigen.

Nun ist die EU-Kommission noch einen Schritt weiter gegangen und hat im Februar mitgeteilt, dass sie ein förmliches Verfahren gegen TikTok eingeleitet hat. Dieses soll dazu beitragen, „potenziellen Risiken für die Ausübung des Grundrechts auf körperliches und geistiges Wohlbefinden, für die Einhaltung von Kinderrechten sowie für die Auswirkungen auf Radikalisierungsprozesse zu begegnen“. Dabei geht es um mehr als eine Lappalie: TikTok wird schon länger vorgeworfen, dass die Funktionsweise der Plattform gezielt Verhaltenssüchte fördern könne.

Onlinedienste machen süchtig

So berichtet das EU-Parlament, dass durchschnittlich jedes vierte Kind und jede*r vierte*r Jugendliche, insbesondere die 16- bis 24-Jährigen, mehr als sieben Stunden pro Tag im Internet verbringen. Ein Anstieg der psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen könne auch mit einer exzessiven Nutzung von sozialen Medien zusammenhängen. „Süchtig machende Online-Dienste wie Facebook, TikTok und Instagram“ richteten sich vielfach an Minderjährige – mit Folgen für die psychische Gesundheit. Sie sind so gestaltet, dass sie Nutzer*innen so lange wie möglich auf der Plattform halten.

EU-Kommission beschreibt das Kaninchenloch

Die EU-Kommission spricht in ihrer Pressemitteilung zudem von „Rabbit Hole“ Effekten. Nutzer*innen, die ein Video ansehen oder liken bekommen zunehmend gleiche Inhalte angezeigt. Sie werden dazu verleitet diese anzusehen – bis sie auf der Plattform schließlich nur noch mit einem Thema konfrontiert werden. Das mag bei Kochrezepten vergleichsweise harmlos sein. Gefährlich wird es aber, wenn Nutzer*innen permanent mit Verschwörungsideologien oder anderen problematischen Inhalten konfrontiert werden und dadurch ein verzerrtes Bild der Realität erzeugt wird.

Um derartigen Gefahren vorzubeugen, sind sehr große Online-Plattformen nach dem DSA verpflichtet, eine ausführliche Risikobewertung ihres Dienstes vorzunehmen. TikTok betonte im August 2023, zahlreiche Änderungen vorgenommen zu haben, um den Anforderungen des DSA zu genügen. Die Möglichkeiten, illegale Inhalte zu melden, seien verbessert worden. Die Personalisierung kann deaktiviert werden. Nutzer*innen zwischen 13 und 17 Jahren würde keine personalisierte Werbung angezeigt.

Verbot von TikTok in Europa möglich

Was TikTok zur Verminderung der Risiken für Nutzer*innen tut, fasste die Plattform im September 2023 in einem Bericht an die EU-Kommission zusammen. Offenbar war es zu wenig. Nun wird die Behörde in Brüssel nachprüfen, ob Verstöße gegen EU-Recht vorliegen und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um sie nachhaltig abzustellen. Darüber hinaus beschäftigt die EU-Kommission, ob die Altersverifikationstools von TikTok wirksam sowie ob angemessene Datenschutzeinstellungen gewährleistet sind.

Für TikTok könnte das Verfahren noch unangenehm werden, denn nach dem DSA droht nicht nur ein Bußgeld in Höhe von bis zu sechs Prozent des globalen Jahresumsatzes. Mit der förmlichen Einleitung des Verfahrens wird die Kommission weitere Beweise sammeln. Dabei ist TikTok zur Mitwirkung verpflichtet, beispielsweise muss die Plattform auf Verlangen nach Art. 67 DSA Auskünfte erteilen. Zeigt sich TikTok nicht ausreichend zur Kooperation bereit, kann die Kommission mit empfindlichen Zwangsgeldern reagieren. Im Extremfall ist sogar ein zeitweiliges Verbot der Plattform in Europa möglich. Wie lange es dauert, bis das Verfahren der EU-Kommission gegen TikTok abgeschlossen sein wird, ist allerdings schwer zu sagen. Gesetzliche Fristen gibt es keine.


 EU gegen „TikTok Lite“ (Update: 22.04.2024)

Die Europäische Union untersucht nun, ob das Bonusprogramm der neuen „Lite“-Version von TikTok gegen Datenschutzrecht verstößt. Nutzer*innen erhalten bei „TikTok Lite“ Punkte für jedes angesehene Video. Kritiker*innen befürchten, dass damit ein erhöhtes Suchtpotenzial einhergeht. Der DSA verbietet sogenannte „Dark Patterns“, also manipulative Praktiken, mit denen User*innen auf den Plattformen gehalten oder zu Käufen animiert werden. Die Tochter des chinesischen Konzerns ByteDance hatte „TikTok Lite“ vor kurzem in Frankreich und Spanien auf den Markt gebracht.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »

Für mehr Konfrontation

Die Wahlen zum EU-Parlament endeten – nicht unerwartet – in vielen Mitgliedsstaaten mit einem Rechtsruck. In Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, den Niederlanden und anderswo wurden eher euroskeptische, nationalistische, migrationsfeindliche Kräfte der extremen Rechten gestärkt. Auch in Deutschland haben 16 Prozent der Bürger*innen, mehr als sechs Millionen Menschen für die rechtsextreme, völkische AfD gestimmt – trotz NS-Verharmlosungen, China-Spionage und Schmiergeldern aus Russland. Immerhin sorgte die große Protestwelle der letzten Monate, die vielen Demonstrationen für Demokratie dafür, dass die AfD-Ausbeute an den Wahlurnen nicht noch üppiger ausfiel. Noch Anfang…
mehr »