Meinung
Der „Deutsche Diversity-Tag“ wurde 2013 von der „Charta der Vielfalt“ ins Leben gerufen, einer Initiative von Unternehmen, die vielfältige Talente der Belegschaft nutzen wollen, um Produktivität und Innovationskraft zu erhöhen. Das Bewusstsein für Unterscheidungen nach Geschlecht, Ethnie, sozialer Herkunft, körperlicher Konstitution oder sexueller Orientierung wächst auch in den Medien. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind durch ihren gesetzlichen Integrationsauftrag dazu verpflichtet, private Sender und die Presse nicht. Doch die ökonomischen Argumente zählen bei allen: Wenn sie überleben wollen, müssen sie ein vielfältiges Publikum bedienen, das seine Themen in den Medientexten wiederfindet und Identifikationsangebote erhält. Das geht nur, wenn sich diese Diversität im Personal spiegelt – auch in den Führungsetagen. Aber eine “Alibi-Frau” oder ein “Vorzeige-Migrant” reichen nicht, um für Sexismus oder Rassismus zu sensibilisieren!
An die wirtschaftliche Vernunft appellieren auch zivilgesellschaftliche Intitiativen, die sich vor allem aus menschenrechtlichen Motiven für mehr Vielfalt engagieren: ProQuote, Neue deutsche Medienmacher*innen, Leidmedien oder Lesben- und Schwulen-Verband setzen sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass Menschen unterschiedlicher Identitäten gleichberechtigt behandelt werden. Denn wenn man sie in einzelne Schubladen sortiert, fördert das Klischees von der kopftuchtragenden Muslima, dem faulen Arbeitslosen, der tapferen Rollstuhlfahrerin oder dem türkischen Gemüsehändler. Sortiert man diese unterschiedlichen Zuschreibungen dann noch hierarchisch, dann bedeutet das eine strukturelle Diskriminierung in den Medien und in der Lebenswelt – mit realen Folgen, etwa bei Wohnungs- oder Jobsuche. Oder eine reale Lebensgefahr, wie zuletzt rassistisch oder antisemitisch motivierte Anschläge in Hanau und Halle zeigen.
Es bedarf noch mehr Sensibilisierung für Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Islamophobie, Antisemitismus oder Antiziganismus in deutschen Redaktionen, damit Menschen unterschiedlicher Identitäten durch inklusiven Journalismus gesellschaftlich als zugehörig markiert werden! Und es bedarf struktureller Veränderungen in den Medienhäusern. Das bedeutet, dass weiße Männer und Frauen, die etwa aufgrund ihrer sozialen und ethnischen Herkunft privilegiert sind, Positionen in den Chefetagen räumen und Macht abgeben.
Da ist es leichter, sich – wie an diesem Diversity-Tag – zu mehr Vielfalt zu bekennen. Es reicht aber nicht, wenn veränderte Einstellungskriterien, Diversity-Checklisten oder Sensibilisierungsworkshops freiwillig und unverbindlich bleiben. Die meisten zivilgesellschaftlichen Initiativen verstärken deshalb ihren Druck, indem sie konkrete Zielvorgaben für mehr Diversität wie eine Quote fordern: 50 Prozent für Frauen, 30 Prozent für Menschen mit Migrationsgeschichte, 7 Prozent für LSBTI-Menschen. Nur für Menschen mit Behinderungen gibt es eine gesetzliche Quote von 5 Prozent, von der Unternehmen sich aber frei kaufen können. Bleibt zu hoffen, dass unsere nächste Bundesregierung den Mut und die Macht hat, gesetzliche Quoten auch für andere “Minderheiten” zu verabschieden und ihre Einhaltung durchzusetzen. Wie notwendig das für unsere Demokratie ist, zeigt aktuell der wieder aufflammende Antisemitismus in Deutschland.
Mehr zum Thema in der letzten M-Printausgabe: https://mmm.verdi.de/beruf/vielfaeltig-fair-und-chancenreich-72147